Zunehmende Bedrohung der Presse

Grafitti in Berlin

Foto: Martin Niewendick

Journalist*innen sind zunehmend massiven Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt. Seit dem Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten auf Israel am 7. Oktober sind die Pro-Palästina-Demonstrationen zurück auf deutschen Straßen. Für Pressevertreter*innen wird es dabei oft brenzlig. Wie schon in der Vergangenheit sind Anfeindungen, Bedrohungen und Angriffe auf Journalist*innen durch wütende Aktivist*innen an der Tagesordnung.

Ein trauriger, vorläufiger Höhepunkt war der Angriff auf einen Bild-Reporter vor dessen Haustür im vergangenen Juli: Der Täter und eine Komplizin waren dem Mann nach einer Demonstration offenbar nach Hause gefolgt. Der Täter zückte ein Messer, konnte dann aber vertrieben werden.

Das rote Dreieck

gilt als Symbol der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Experten zufolge nutzt die Hamas das rote Dreieck seit dem terroristischen Überfall auf Israel im Oktober 2023, um ihre Feinde zu markieren. Propalästinensische Aktivisten behaupten dagegen, das rote Dreieck symbolisiere einen Teil der palästinensischen Flagge.

Auf das Gebäude des Berliner Tagesspiegels wurde in der Nacht zum vergangenen Dienstag ein Farbanschlag verübt. An einem Garagentor befand sich ein großer roter Schriftzug „German Media Kills!“ und ein rotes Dreieck.

Aggressives Grundrauschen

Das aggressive Grundrauschen, dass es auch auf vielen Pro-Palästina-Demonstrationen gibt, beschäftigt auch die Sicherheitsbehörden. Es ist Teil eines allgemeinen Anstiegs antisemitischer Straftaten, die im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gewachsen sind.

715 antisemitische Straftaten, davon 19 Gewalttaten, hat das Bundeskriminalamt im zweiten Quartal 2024 vorläufig registriert. Im ersten Quartal von Januar bis Ende März wurden 793 antisemitische Straftaten, davon 14 Gewalttaten, verzeichnet – das geht aus einer Anfrage der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hervor.

Den Zahlen des Bundeskriminalamtes zufolge fielen im Zeitraum April bis Ende Juni 302 Fälle in die Kategorie Volksverhetzung, 298 Fälle werden als „ausländische Ideologie“ gewertet. Dazu kommen 256 rechts motivierte, und 12 links motivierte Taten.

Konkrete Zahlen zu Angriffen auf die Presse liefert das BKA nicht, und auch bei unabhängigen Meldestellen wie RIAS gibt es dazu keine genauen Informationen. Auf Anfrage sagt ein Sprecher, es würden zwar antisemitische Vorfälle so präzise wie möglich erfasst, Statistiken zu Straftaten und Bedrohungen gegen Journalist*innen gehörten aber nicht dazu.

Anfeindungen an der Tagesordnung

Deshalb: Nachfrage bei den Kolleg*innen selbst. „Wenn die Situation im Nahen Osten hochkocht, kann man die Uhr danach stellen, dass es auch auf deutschen Straßen ziemlich schnell eskaliert“, sagt der Reporter des Tagesspiegel Julius Geiler auf Anfrage. Als Pressevertreter sei man vor allem auf Pro-Palästina-Demos nicht gern gesehen und müsse oft mit Anfeindungen rechnen. „Das ist für mich kein komplett neues Phänomen, das war zuletzt etwa 2021 so“ sagt Geiler. Im Jahr 2021 kam es zur letzten militärischen Auseinandersetzung im Nahen Osten.

Auch ihn persönlich hat es in der Vergangenheit immer wieder getroffen, schon vor dem 7. Oktober. „Da wurde ich zum Beispiel angesprochen und mir wurde gesagt, ich solle mich nicht mehr in Kreuzberg und Neukölln blicken lassen, das würde sonst schlecht ausgehen.“ Sein Name sei vor drei Jahren auf eine Kreuzberger Litfaßsäule gemalt worden, mit dem Hinweis, er habe „Kreuzberg-Verbot“. Vor einigen Jahren sei er außerdem auf einer Demonstration während einer Live-Schalte gezielt mit Böllern beworfen worden und musste den Dreh abbrechen.

Mitte August kam es zu einem weiteren Protest von Anti-Israel-Aktivist*innen, und dieses Mal zog die Demonstration vor das Axel-Springer-Gebäude in Berlin-Mitte. Gekommen waren einige hundert Personen, die sich von aggressiven Parolen vom Lautsprecherwagen aufpeitschen ließen.

Auch die Presse wurde mit eigenen Parolen bedacht. Vor allem auf Höhe des Axel-Springer-Gebäudes, wo die Menge zum stehen kam, riefen Demonstrant*innen: „Deutsche Medien lügen, hetzen und betrügen!“ Schon eine Straße vor dem Medienhaus prangt ein Graffiti an einer Hauswand: „Friede den Hütten, Krieg der Bild“. An diesem Samstag war die Stimmung gewohnt aggressiv, zu Angriffen auf Journalist*innen kam es an diesem Tag jedoch nicht.

dju in ver.di dokumentiert Übergriffe

„Seit dem 7. Oktober haben wir bundesweit 51 Angriffe auf Journalist*innen im Zusammenhang mit Pro- Palästina-Demos dokumentiert“, sagt Renate Gensch, Mitglied im dju-Bundesvorstand und Landesvorsitzende der dju Berlin-Brandenburg. „In Berlin sind es allein 42 von Versammlungsteilnehmern, drei von der Polizei. Dazu kommen Vorfälle in München, vereinzelt in Duisburg, Bamberg, Leipzig und Halle (Saale).“

Von den Anfeindungen auf Demonstrationen erfahre die Gewerkschaft von Mitgliedern und anderen Kolleg*innen. Zusätzlich beobachte man auch selbst, nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten. „Die Pro-Palästina-Demonstrationen sind oft absolut pressefeindlich, weil natürlich auch kritisch berichtet wird“, sagt Gensch.

Körperlicher Angriff

Anfang diesen Jahres wurde ein jüdischer Student und pro-israelischer Aktivist von einem Kommilitonen vor einer Bar in Berlin zusammengeschlagen. Die pro-palästinensische Szene spielte den antisemitischen Vorfall danach herunter.

„Da kommt es teils zu heftigen Bedrohungen wie etwa ‚Verpisst euch, sonst geht es euch wie dem jüdischen Studenten‘, der in Berlin angegriffen wurde. Wo man sich dann schnell selbst korrigiert: ‚äh, zionistischen Studenten‘“. Dazu der Vorwurf, man würde ja nur die „bürgerliche Pressefreiheit“ verteidigen – „also ich kenne nur eine Pressefreiheit“.

Angst um körperliche Unversehrtheit

Sebastian Leber vom Tagesspiegel berichtet schon seit vielen Jahren über antidemokratisch Szenen aller Couleur. „Mit körperlichen Angriffen muss man als Reporter heutzutage leider rechnen und ich fürchte, es wird auch noch schlimmer werden“, sagt Leber im Gespräch mit M. „Ich hatte auch schon öfter Angst um meine körperliche Unversehrtheit.“

Die Palästina-Szene sei sehr aggressiv und skrupellos, da sehe er schon Parallelen zu anderen militanten Gruppen – und die Aggressivität habe in den vergangenen Jahren zugenommen. „Schon 2014 und 2021 gab es das, und es wird seitdem schlimmer“, sagt er. „Diese Leute sind oft skrupellos und interessieren sich kaum für Konsequenzen und schrecken nur noch vor wenigen Dingen zurück.“

Neben körperlichen Angriffen werde immer wieder versucht, Journalist*innen zu diskreditieren, indem sie sich an die Chefredaktion, Vorgesetzte oder den Verlag wendeten, oder auch nachts im Newsroom anrufen und fordern, Texte von der Website zu nehmen.

Nachholbedarf bei der Polizei

Auch die Polizei sei manchmal eher Teil des Problems. Beim Staatsschutz kenne man sich gut aus, der reagiere schon im Vorfeld von Demonstrationen mit sogenannten Gefährderansprachen und ähnlichem. Ganz anders sehe es bei Polizist*innen aus, die solche Demos begleiten. „Einmal wollten Beamte bei einer Querdenkerdemo, dass ich meinen Presseausweis offen trage. Dort ist normalerweise aber die Meldeadresse zu lesen, und ich sollte also mit meiner sichtbaren Wohnadresse herumlaufen“, sagt Leber. Da wiederum griffe einem die Gewerkschaft unter die Arme, und ermöglichen etwa, als Adresse auf den Presseausweisen ihre Geschäftsstelle anzugeben, was sehr hilfreich sei.

Nachholbedarf bei der Polizei sieht auch Renate Gensch. „Wir sind mit der Polizei im Gespräch und äußern auch Kritik, wenn sie Journalist*innen nicht ausreichend schützen.“ Es sei schon vorgekommen, dass die Polizei Pressevertreter*innen in brenzligen Situationen sagt, sie sollten „weggehen“. Die Polizei müsse für den Schutz der Pressefreiheit sorgen und die Journalist*innen dabei unterstützen, dass sie ihre Arbeit unbedroht ausüben könnten, fordert Gensch.

Wichtiger Rückhalt der Redaktionen

Für Sebastian Leber ist auch die Rückendeckung seiner Redaktion sehr wichtig. „Der Tagesspiegel unterstützt seine Reporterinnen und Reporter sehr gut, ich fühle mich dort seit Jahren gut umsorgt – juristisch, aber auch mit mentalem Beistand.“ Es helfe sehr, über solche Erlebnisse mit anderen zu sprechen. Bei Chefs, Betriebsrat und in der ganzen Kollegschaft gebe es eine hohe Sensibilität.

„Trotz alle dem arbeite ich gerne in dem Bereich, weil ich denke: Die Lage ist ernst“, sagt Leber. Die zunehmende Radikalisierung gefährde das demokratische Zusammenleben, fürchtet er.

Auch Tagesspiegel-Co-Chefredakteur Christian Tretbar ist alarmiert. Am Dienstag erklärte er im rbb: „Die antisemitischen Schmierereien verurteilen wir aufs Schärfste und sehen darin einen Angriff auf die freie Berichterstattung. Wir lassen uns jedoch davon nicht einschüchtern und setzen unsere journalistische Arbeit unbeirrt fort.“


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