Journalisten Zutritt verweigert

Landgerichtsurteil: Hamburgs Justizsenator handelt ohne Rechtsgrundlage

Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) mag es gar nicht, wenn Journalisten mit Haftinsassen über seine Strafvollzugspolitik reden, und verweigerte zweieinhalb Jahre lang Interviewgenehmigungen. Der WDR wollte sich das nicht bieten lassen und hat vor Gericht nun Recht bekommen.

Uwe Homann ist Häftling in Hamburgs Langzeitstrafengefängnis Santa Fu. Seit Jahren versucht der 62-jährige, in den offenen Vollzug verlegt zu werden. Die Sozialprognosen, die nötig sind, um auf ein Leben in Freiheit vorbereitet zu werden, sind gut: Homann ist verheiratet, hat hinter Gittern eine Berufsausbildung zum Yoga-Lehrer gemacht und erfüllt damit die Bedingungen, um in den offenen Vollzug verlegt zu werden. Seit 1998 hat er dies sogar schriftlich, eingeklagt beim Hamburger Strafvollstreckungsgericht. „Das Gericht besteht in seiner Urteilsbegründung sogar darauf, dass Homann in den offenen Vollzug verlegt wird“, sagt der Fernsehjournalist Wilfried Huismann. Doch die Justizbehörde weigert sich seit 1998, den Gerichtsbeschluss umzusetzen. Statt sich im offenen Vollzug auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, schmort Homann weiter hinter Gittern. Die Aussicht auf Einsicht in der Justizbehörde ist gering.

Ein Schicksal, das den Fernsehjournalisten Wilfried Huismann neugierig gemacht hat. Der mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete WDR- Mitarbeiter will wissen, warum ausgerechnet die Justizbehörde einen Gerichtsbeschluss nicht umsetzt, wer dafür verantwortlich ist und wie so eine Entscheidung zustande kommt. Auch interessiert er sich, ob es stimmt, was Homann behauptet: Dass sich die Haftbedingungen in Hamburgs Gefängnissen seit Amtsantritt von Kusch erheblich verschärft haben, „auf ein Niveau, das selbst das alte Zuchthauskonzept noch als fortschrittlich erscheinen lässt“, wie der Häftling in einer jüngst von ver.di herausgegebenen Broschüre sagt. Um alle Seiten ausgewogen zu Wort kommen zu lassen, will Huismann auch mit Homann reden und das Interview mit der Kamera aufzeichnen. Doch seit mehr als einem Jahr verweigert die Justizbehörde Huismann die Drehgenehmigung, wie sie jedem Journalisten, der um Interviews mit den Betroffenen der Strafvollzugspolitik ihres Senators anfragt, seit Amtsantritt von Roger Kusch die rote Karte zeigt.

Intervention der dju blieb ohne Erfolg

Recherchieren in Hamburgs Gefängnissen ist mit Kusch nahezu unmöglich geworden. Meist ist von „Sicherheitsbedenken“ die Rede, auch Journalisten, die vorher jahrelang in Hamburgs Gefängnissen mit Insassen reden konnten, wird seit zweieinhalb Jahren der Zutritt verweigert: Fernsehjournalisten dürfen nicht drehen, Rundfunkjournalisten keine Interviews aufzeichnen und Print-Journalisten weder Zettel noch Stift mit hinein nehmen, weil sie keinen offiziellen Zutritt als Journalisten bekommen, sondern sich lediglich als ganz normale Besucher hineinschleichen können. So sorgt der Justizsenator dafür, dass meist nur einer sprechen kann, wenn es um Hamburgs Strafvollzugspolitik geht: er selbst.

Jegliche Bemühungen, diese neue Hamburgische Art von Zensur zu beenden, scheiterten bisher. Weder das Argument, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht hat zu erfahren, wie der mit Steuergeldern finanzierte Strafvollzug funktioniert, fruchtete, noch die Intervention der dju in ver.di, doch wieder zu einem professionellen Arbeitsverhältnis zurückzukehren.

Entscheidung ignoriert

Der WDR hat nun gegen die eigenwillige Auffassung des Justizsenators geklagt und Recht bekommen. In seiner Urteilsbegründung hat das Hamburger Landgericht festgestellt, dass sich der Justizsenator falscher Rechte bemächtigt hat. Nach Gesetzeslage sei nämlich nicht die Justizbehörde für die Entscheidung über das Interview zuständig, sondern der Anstaltsleiter; ein „Selbsteintrittsrecht der übergeordneten Behörde besteht nicht“, so der Richter, es fehle an einer „gesetzlichen Grundlage“ für die von der Justizbehörde angenommene Zuständigkeit. Auch könne das Interview die Eingliederung des Gefangenen fördern, weil es „Kontakte wie in Freiheit“ ermögliche. Über ein Interview mit Strafgefangenen soll also neben dem Häftling selbst in Zukunft wieder der Anstaltsleiter entscheiden: So war es in Hamburg vor Amtsantritt des CDU-Senators jahrelang Praxis und in nahezu allen Fällen wurden die Interviewwünsche positiv beschieden.

Roger Kusch scheint die Gerichtsentscheidung nicht wirklich zu interessieren. Ein erneutes schriftliches Ersuchen des WDR blieb bis Redaktionsschluss erfolglos. Jürgen Thebrath, Leiter der WDR-Programmgruppe Inland, spricht von einer Blockade für Journalisten, die in Hamburg verhängt worden sei: In anderen Bundesländern habe man ganz andere Erfahrungen gemacht und stattdessen kooperativ zusammengearbeitet.

Aktenzeichen: Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 9, 609 Vollz 178 / 03

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Keine Auskunft zu Pegasus

Auch Onlinemedien fallen unter die vom Grundgesetz gedeckte Pressefreiheit. Das erkannte das Bundesverwaltungsgericht  erstmals an. Arne Semsrott, Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform FragDenStaat, hatte nach Presserecht vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt. Nun erkannte das Gericht grundsätzlich an, dass Presseauskunft Onlinemedien genau so wie Printmedien erteilt werden muss. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist aber nicht verpflichtet, einem Journalisten Auskünfte über den Erwerb und Einsatz der Software "Pegasus" zu erteilen.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »