Laut wiehernder Amtsschimmel über Monate in Niedersachsen
Der Bremer Journalist Eckhard Stengel staunte nicht schlecht, als er einen beim Landgericht Aurich angeforderten Beschluss in Form eines Fax in Händen hielt. Eigentlich wollte er das Urteil als E-Mail übersandt bekommen, zwecks tagesaktueller Berichterstattung. Nun fand Stengel vor dem 32-seitigen Urteil noch als Deckblatt eine Gebührenrechnung.
Im Amtsdeutsch hieß es, für die Übermittlung der anonymisierten Fassung der Entscheidung als Fax sei eine Dokumentenpauschale in Höhe von 12,50 Euro binnen eines Monats zu entrichten. In Klammern folgte eine Reihe von Ziffern, Buchstaben und Zeichen als Hinweis auf die Quelle, auf der die geforderte Gebühr beruht.
Als gestandener Journalist überprüfte Stengel die Quelle. Eine Gebührenzahlung für eine Presseauskunft von einem Pressesprecher – wie er dachte – war für ihn keine Option. Den entsprechenden Passus fand Stengel allerdings an anderer Stelle, und zwar in der Justizverwaltungskosten-Ordnung. Der Wortlaut war jedoch etwas schwammig. Fax-Übersendungen sollten nur dann gebührenfrei bleiben, wenn die Versendung dem öffentlichen Interesse diene. Das sah Stengel als gegeben und antwortete entsprechend optimistisch auf den Gebührenbescheid, es müsse sich um ein Missverständnis handeln.
Das sah Jürgen Rohlfs, Vizepräsident des Landgerichts Aurich, anders. Er habe am Telefon kostenlos Auskunft gegeben. Aber die Anforderung des Fax sei an die Geschäftsstelle des Gerichts gegangen und deshalb gebührenpflichtig. Stengel habe den Beschluss als Fax ja nicht von ihm, Rohlfs, bekommen. Dass Rohlfs den Journalisten selbst dazu aufgefordert hatte, offiziell in der Geschäftsstelle um die Übersendung des kompletten Beschlusses zu bitten, sei unerheblich. Allerdings könne Stengel gegen den Gebührenbescheid eine „Einwendung“ einreichen. Mittlerweile argwöhnisch geworden, erwiderte dieser, er werde das nur machen, wenn nicht auch noch für die Bearbeitung der Einwendung eine Gebühr anfalle. Stengel wandte sich an die Pressestelle des Ministeriums für Justiz in Hannover. Das war im März letzten Jahres. Damit hatte der Bremer den Niedersächsischen Amtsschimmel laut zum Wiehern gebracht und schlussendlich eine Änderung der Verwaltungsvorschrift erwirkt.
Bis dahin war es allerdings ein weiter von Mails, Briefen und Telefonaten gepflasterter Weg, an dessen Rand laufend neue Mitspieler auftauchten. Hatte Stengel es zunächst nur mit dem Pressesprecher des Landgerichts zu tun, so kamen die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hinzu, die Revisorin und ein Rechtspfleger. Auf Bitte des Bremer Journalisten stieg der dju-Landesgeschäftsführer, Friedrich Siekmeier, für das Recht auf kostenfreie Informationen über Gerichtsurteile in den Ring. Der Pressesprecher des Niedersächsischen Justizministeriums, Alexander Wiemerslage, wurde auch aus Aurich um Auskunft über die Praxis der Gebührenerhebung in anderen Gerichten Niedersachsens gebeten.
Wiemerslage erklärte Stengel zwar, dass das Ministerium keinerlei Eingriffsrecht in die Praxis der Gerichte habe. Es gelte schließlich in Deutschland die Gewaltenteilung. Aber Wiemerslage initiierte eine Umfrage zu der Thematik bei den Gerichten Niedersachsens. Die ergab kein einheitliches Bild, aber der Auricher Rechtspfleger teilte dem Bremer Journalisten im Juni vergangenen Jahres mit, dass „überwiegend“ keine Kosten erhoben werden. Also wolle er mit seiner Entscheidung zu dem speziellen Fall auf eine grundsätzliche Entscheidung in Hannover warten.
Die kam im vergangenen Dezember in Form einer klaren Formulierung. Im Niedersächsischen Vorschrifteninformationssystem für die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz steht jetzt unter „6. Auskünfte an die Medien“ unter Punkt 6.1: Werden gerichtliche Entscheidungen auf Antrag zu Zwecken der Berichterstattung überlassen, ist aus Gründen des öffentlichen Interesses von der Erhebung einer Gebühr für die Überlassung abzusehen.
Stengel brauchte die Gebühr nicht entrichten. Vielleicht sollte mal jemand ausrechnen, um wie viel die Bezahlung der Amtsstunden, die für die Klärung einer Frage aufgewendet wurden, die in einer Demokratie keine Frage sein sollte, diese Gebühr von 12,50 Euro übersteigt!