Die Kontextwochenzeitung braucht Geld, weil die juristische Auseinandersetzung um die Veröffentlichung aus Chatprotokollen eines Neonazis in eine weitere Runde geht. Der Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag erkennt ein Urteil des OLG Karlsruhe nicht an und klagt erneut gegen das Zeitungsprojekt aus Stuttgart. Alles in allem geht es um 260.000 Euro.
Zack, da knallt ein Comic von oben ins Bild. Wer derzeit auf Kontextwochenzeitung.de einen Artikel anklickt, bekommt eine Seyfried-Zeichnung zu sehen, auf der rechts ein paar Nazis stehen und links deutlich mehr Anti-Nazis. Dazu der Schriftzug „Für Kontext kämpfen“ und ein Button: „Jetzt spenden“.
Auslöser ist Marcel Grauf. Weil Kontext dessen rechtsradikale Äußerungen aus seinen Facebook-Chats veröffentlicht hat, will der Mann Schadensersatz haben. Der Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag klagt erneut gegen das Zeitungsprojekt aus Stuttgart. Sein Schmerzensgeld beziffert Grauf auf 60.000 Euro. Die sollen die Kontext-Redaktion (30.000 Euro) und zwei Redakteure (je 15.000 Euro) bezahlen. Dazu kommen weitere diverse Anträge auf Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, die jeweils mit Werten zwischen 20.000 und 40.000 Euro beziffert werden. Addiert man alles zusammen, ergibt sich ein Streitwert von insgesamt 260.000 Euro. Und nach dem Streitwert richten sich die Prozesskosten.
Zeitung soll platt gemacht werden
Genau das ist offensichtlich die Keule, mit der Kontextwochenzeitung platt gemacht werden soll. Die Zeitung arbeitet seit acht Jahren spendenfinanziert, sollte sie verlieren, wäre sie pleite. Und auch wenn sie natürlich davon überzeugt ist, im Recht zu sein – vor Gericht weiß man nie, was passiert. Also hat die Redaktion für den Fall des Falles zu Spenden aufgerufen: „Wir werden nicht klein beigeben.“
Der juristische Streit um die Veröffentlichung mit Namensnennung währt nun schon anderthalb Jahre. Im Mai 2018 hatte Kontext Auszüge aus Graufs Facebook-Chats veröffentlicht, darin beschimpft Grauf Ausländer, wünscht sich einen Weltkrieg, und verziert seine Äußerungen gerne mit Hitler-Emojis oder „Sieg Heil“. Die Redaktion war und ist der Ansicht, dass die Öffentlichkeit wissen soll, wes Geistes Kind dieser Mitarbeiter der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum und Heiner Merz ist.
Marcel Grauf behauptete jedoch, die 40 von Kontext zitierten Chat-Auszüge seien gefälscht. Und sein Name habe in der Öffentlichkeit sowieso nicht zu suchen, weil er nur ein Mitarbeiter sei. Er klagte gegen die Veröffentlichungen und bekam in erster Instanz Recht. Kontext nahm also die Artikel von ihrer Webseite und ging in Berufung. Vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe dann urteilten die Richter anders: Es sei ziemlich unwahrscheinlich, dass sich jemand die Mühe mache, in 17.000 Seiten Chat-Protokollen 40 Stellen zu ändern. Und den Namen eines parlamentarischen Mitarbeiters, der sich derart rassistisch äußert, zu veröffentlichen, sei im öffentlichen Interesse, befanden die Richter des OLG. Kontext stellte die beklagten Artikel wieder auf ihre Seite.
Anwaltlich aufmunitioniert
Doch Marcel Grauf lässt nicht locker. Er hat sich die Rechtsanwaltskanzlei Höcker aus Köln an seine Seite geholt, eine renommierte Medienrechtskanzlei, die unter anderem bereits die AfD vertreten hat und den türkischen Präsidenten Erdogan. Kürzlich begann der umstrittene Ex-Chef des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen in der Kanzlei zu arbeiten. Er ist Mitglied der konservativen „Werteunion“ in der CDU, deren Sprecher Rechtsanwalt Ralf Höcker ist. Die Kanzlei wirbt auf ihrer Webseite mit Sätzen wie: „Mit `Zuckerbrot und Peitsche´ vermeiden wir negative Berichterstattung schon im Vorfeld.“ Und: „Wir schützen vor existenzgefährdender Berichterstattung – selbst, wenn sie berechtigt sein sollte.“ Zudem verkündet sie: „Wir verteidigen ausschließlich die Betroffenen unrechtmäßiger Berichterstattung.“
Dass Marcel Grauf eine „unrechtmäßige Berichterstattung“ erlebt habe, sieht Kontext-Anwalt Markus Köhler von der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer naturgemäß anders: „Im Gegenteil.“ Dass seine Kanzlei nun wieder in Sachen Pressefreiheit vor Gericht ziehen muss, überrascht eher. Denn das Urteil des OLG Karlsruhe hatte ausführlich begründet, es sei „hinreichend glaubhaft“ gemacht worden, „dass die vorgelegten Chat-Protokolle authentisch sind“. Damit hätte der Rechtsstreit zu Ende sein können. Doch Graufs Anwaltskanzlei geht den Verfahrensweg nun neu und hofft offenbar in Frankfurt/Main auf ein anderes Urteil. Wann die Parteien sich im kommenden Jahr vor Gericht treffen werden, ist noch unklar.
Zunächst bis Weihnachten ruft Kontextwochenzeitung zu Spenden auf, um für den Prozess gewappnet zu sein. Das Kostenrisiko beläuft sich laut Kontext auf 100.000 Euro. In der ersten Spenden-Aktionswoche sind bereits etwa 25.000 Euro eingegangen.
Wer spenden will:
Betreff „Aufrecht gegen rechts“
Konto: KONTEXT: Verein für ganzheitlichen Journalismus e.V.
GLS Bank
IBAN: DE80 4306 0967 7011 8506 00
BIC: GENODEM1GLS