Politiker auf Abhörkurs

Fehlende Balance zwischen Freiheit und Sicherheit

Seit den Anschlägen vom 11. September beschneiden demokratische Regierungen weltweit Bürgerrechte mit immer schärferen Polizei- und Sicherheitsgesetzen. Journalisten genießen hierbei keine Ausnahmeregelungen. In Deutschland steht derzeit so genanntes präventives Abhören nicht nur bei konservativen Politikern auf der Wunschliste: Die Polizei soll wie die Geheimdienste auch dann abhören dürfen, wenn gar kein konkreter Tatverdacht vorliegt.

Zwar scheiterte die bayerische Staatsregierung jüngst mit ihrem Gesetzesvorschlag, doch im rot-liberalen Rheinland-Pfalz soll das präventive Abhören bald legalisiert werden. Der bayerische Entwurf sah vor, dass Strafverfolger schon vorab zur Gefahrenerkennung und -abwehr Telefon, Fax, E-Mail, SMS überwachen, unterbrechen oder gar sperren dürfen. Datenschützer und Politiker kritisierten den Entwurf scharf. Ungewöhnlich deutlich forderte der Bayerische Landesdatenschutzbeauftragte „klare rechtsstaatliche Grenzen“: Der Straftatenkatalog sei zu umfassend, Berufsgeheimnisse sollten berücksichtigt werden. Ausnahmen für Journalisten, Rechtsanwälte, Abgeordnete oder Geistliche waren übrigens nicht vorgesehen.

Massive Verschärfung

Der bayerische Gesetzesentwurf sollte Modellcharakter für andere Bundesländer haben. Dabei hat Thüringen bereits im letzten Sommer das präventive Abhören legalisiert. Und auch der Polizeigesetzentwurf aus dem rot-liberal regierten Rheinland-Pfalz will das Abhören zur Gefahrenabwehr erlauben. Verabschiedet hat den Entwurf aus dem liberalen Justizministerium das Kabinett bereits im Februar, das Placet des Landtags fehlt noch.

Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Walter Rudolf bemängelt die fehlende „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“. So sieht der Entwurf eine Antwortpflicht auch von Zeugnisverweigerungsberechtigten wie Journalisten zur Gefahrenabwehr vor und ermöglicht den Einsatz von Wanzen und Video-Kameras in Wohnungen sowie Rasterfahndung auch zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung. Rudolf vermisst auch überzeugende Argumente, warum solche „massive Verschärfungen“ überhaupt nötig waren. Konkrete Defizite in der Gefahrenabwehr seien ihm bislang nicht zu Ohren gekommen. Ob der Richtervorbehalt angesichts dieser tiefen Eingriffsbefugnisse überhaupt noch eine „sichere Schranke“ sein könne, bezweifelt Rudolf. Eine Studie der Universität Bielefeld stellte überdies kürzlich fest, dass etwa drei Viertel aller Abhöranträge mangelhaft begründet seien. Nur in wenigen Ausnahmen hätten die Richter einen Antrag nicht genehmigt.

Kein Schutz für Träger von Berufsgeheimnissen

Der bayerische Entwurf sah übrigens auch vor, inaktive Standortmeldungen von Handys abzuhören. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz genehmigte bereits bundesweit den Zugriff auf die Standortdaten eingeschalteter Handys auf Basis des § 100i StPO. Die Standortdaten gehören zu den so genannten Telekommunikationsverbindungsdaten. Diese geben darüber Aufschluss, wer mit wem wie lange und wann telefoniert hat, oder wer wann welche Website aufgesucht hat. Mit Hilfe der Verbindungsdaten können Strafverfolger und Geheimdienste Beziehungsgeflechte ausmachen. Diese bei den Telekommunikations- und Internetbetreibern gespeicherten Verbindungsdaten dürfen Staatsanwälte bereits beim bloßen Anfangsverdacht auf Basis des Paragrafen 100g StPO verlangen. Träger von Berufsgeheimnissen wie Journalisten oder Rechtsanwälte stehen dabei unter keinem besonderen Schutz.

Hier steht ebenfalls eine gesetzliche Verschärfung ins Haus. Denn noch dürfen laut Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV) diese Daten nur maximal sechs Monate gespeichert werden. Im Frühjahr 2002 verabschiedete der unionsgeführte Bundesrat ein Gesetz, um die Daten mindestens sechs Monate zu speichern. Der Bundestag hat allerdings nicht zugestimmt. Zwar verlangt das Teledienste-Datenschutzgesetz (TDDSG) noch, dass die Nutzungsdaten sofort zu löschen sind, sofern diese nicht der Abrechnung dienen. Doch in der Praxis, so klagen Datenschützer, hält sich kaum ein Internet- oder Telekommunikationsbetreiber an diese Regelung.

Bremen ist Spitzenreiter

Schon heute gilt die Bundesrepublik Deutschland als Abhör-Weltmeister. So nehmen seit Jahren die Abhöraktionen zu. Zuletzt wurden im vergangenen Jahr 21.874 Anschlüsse abgehört. Die Zahl der Betroffenen dürfte um ein Hundertfaches höher liegen, schätzt der schleswig-holsteinische Landesdatenschützer Helmut Bäumler. In Bremen wurden, bezogen auf die Einwohnerzahl, die meisten Telefone überwacht. Gefolgt wird Bremen von Hessen und Hamburg. Der Medienstandort Hamburg war in den vier Jahren zuvor unangefochten der bundesweite Spitzenreiter. Auffallend zurückhaltend hingegen zeigen sich die Rheinländer: Während in Bremen etwa 10,2 und in Hamburg 7,1 Verfahren auf 100.000 Einwohner kommen, sind es in Nordrhein-Westfalen gerade einmal 2,9. Das vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts zur Praxis und Effizienz von Telefonüberwachungsmaßnahmen steht seit über einem Jahr aus.

 

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