Meinung
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat kürzlich klargestellt, dass eine Staatsanwaltschaft auch zu Informationen aus „Vorermittlungen“ verpflichtet sein kann (Beschluss vom 24.7.2023 – OVG 6 S 26/23), also aus dem Vorstadium eines förmlichen Ermittlungsverfahrens. Konkret ging es um mehrere Fragen, die ein Journalist des „Tagesspiegel“ gegenüber der Berliner Generalstaatsanwaltschaft gestellt hatte. Inhaltlich betrafen diese Vorermittlungen einen Bundesminister, der wegen eines Grußworts bei einer Bank in die Kritik geraten war. Die Behörde hatte in einer Pressemitteilung erklärt, dass sich keine Hinweise auf ein strafbares Verhalten ergeben hätten. Der Journalist wollte nun wissen, welchen Inhalt das schriftliche Ergebnis der Vorprüfung habe und ob dieses dem betroffenen Minister bekanntgemacht worden sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft lehnte die begehrte Auskunft ab. Der Journalist stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dem das Verwaltungsgericht Berlin stattgab. In ihrer Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wurde dann geltend gemacht, dass Auskünfte grundsätzlich nicht erteilt werden könnten, weil dies frühestens ab Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zulässig sei. Dem hält das Gericht zutreffend entgegen, dass vor dem Hintergrund der Bedeutung der durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützten Pressefreiheit eine umfassende Abwägung mit den entgegenstehenden privaten Interessen vorzunehmen sei. Es führt aus, dass bei Vorermittlungen noch gar nicht klar sei, ob ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliege. Aus diesem Grunde, so das Gericht, werde die Abwägung „regelmäßig zugunsten des Betroffenen ausgehen“. Anders sei es aber, wenn bereits bekannt sei, dass die Behörde einen Anfangsverdacht prüfe. Hier war es so, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Vorermittlungen sogar selbst bekannt gegeben hatte.
Darüber hinaus, so das Gericht, diene die beantragte Auskunft der öffentlichen Aufgabe der Presse. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft geltend mache, dass nur eine „rechtmäßige Berichterstattung“ eine Auskunftspflicht begründen könne, verhelfe dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Gericht stellte klar, dass die Behörde nicht einerseits ein Verfahren öffentlich machen kann, um sich dann auf den Schutz privater Rechte zu berufen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Betroffene als Bundesminister im Licht der Öffentlichkeit steht und die Berichterstattung über das Ergebnis der Vorermittlungen, die keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht ergeben haben, auf ein großes Interesse interessierter Leserinnen und Leser stößt.
Grundvertrauen gegenüber der Presse
Die Behörde habe auch nicht dargelegt, dass die weitere Berichterstattung eine Stigmatisierung des Betroffenen nach sich ziehe. Das Verwaltungsgericht habe unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Auskunft nicht auch bedeute, dass die Informationen uneingeschränkt veröffentlicht werden dürften. Die Verwertung falle „allein in die redaktionelle Verantwortung des jeweiligen Presseorgans, wobei grundsätzlich darauf zu vertrauen sei, dass die Presse sich ihrer Verantwortung bewusst sei und insbesondere das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, die Grundsätze des Pressekodex und die dazu ergangenen Richtlinien beachte.“
Aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts lassen sich mehrere Merkposten ableiten, die bei Auskunftsanfragen im Stadium von (Vor-)Ermittlungen beachtet werden sollten. Zunächst einmal können Ermittlungsbehörden in ihrer Informationspolitik nicht nach Belieben hin- und herschwanken. Wenn sie über Verfahren informieren, können sie sich später nicht auf den Standpunkt stellen, dass Auskünfte zum Ausgang des Verfahrens nicht erteilt werden müssen. Zugleich sind Auskünfte in diesem Verfahrensstadium die Ausnahme und nicht die Regel, weil noch unklar ist, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt.
Überwiegt das Recht der Presse an der Auskunftserteilung, entscheidet sie alleine darüber, wie sie die begehrten Informationen publizistisch nutzen will. Dass sie rechtswidrig berichten könnte, rechtfertigt eine Verweigerung der Auskunft nicht. Man könnte also sagen, das Gericht bringt der Presse ein Grundvertrauen entgegen, dass diese ihre Sorgfaltspflichten im Rahmen der Berichterstattung verantwortungsvoll wahrnehmen wird. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen.
„Behörden sind zur Auskunft verpflichtet“ von Jasper Prigge auf M Online:
Jasper Prigge
ist Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht in Düsseldorf
Foto: Kay Herschelmann