Kritik am Ende?

31. Mainzer Tage der Fernsehkritik

Eitel Harmonie und Einigkeit herrschte bei den 31. Mainzer Tagen der Fernsehkritik zum Thema „Jugendwahn und Altersangst“. Obgleich es für Euphorie wahrlich keinen Anlaß gab. In Serien dominiere zunehmend „das zarte Lebensgefühl der Surfer“, kaum ein Fernsehautor traue sich noch, „eine Oma ins Drehbuch zu schreiben“, so faßte Filmproduzent Bernd Burgemeister das Desaster – für jung und alt – treffend zusammen. Versammelt waren, wie im ZDF alljährlich Usus, rund 400 Macher, Programmverantwortliche und Kritiker. Vertreter der Werbewirtschaft natürlich auch, sind sie doch gewichtige Mitgestalter des Programms. Eine bunt zusammengemischte Diskutantenrunde also und ein explosiv streitbares Thema! Woran lag es bloß, daß es dennoch so zahm zuging?

Die Veranstalter hatten dies Dilemma geradezu herbeiorganisiert, die Podien entsprechend besetzt. Motto: Richtig nett wird es erst, setzt man alle, die aus einem Lager kommen, gemeinsam in eine Runde. Folglich wurde zwar auf allen Podien der Tagung das höllisch interessante Phänomen erörtert, daß Fernsehfilme zwangsläufig immer glatter und langweiliger werden müssen. Doch Kontroversen kamen erst gar nicht auf. Und, wie man sich lebhaft vorstellen kann, wollte sich niemand – freiwillig und unaufgefordert – gern für den Trend zum schlechten Fernsehfilm verantwortlich erklären.
So verpufften kritische Worte und böse Vorwürfe – trotz breiter Öffentlichkeit – nahezu ungehört. Sicher, Regisseur Nico Hofmann („Der Sandmann“) konstatierte eine „Diktatur der Sender“ und beschrieb den zunehmenden Druck und Einfluß der Programmacher auf die Regisseure: Von der Besetzung bis zum Schnitt und der Musik, alles müsse der Regisseur sich neuerdings erkämpfen. Schauspielerin Gisela Schneeberger fragte sich, wer sich mit jenen jung-reichschön konzipierten Schloßbewohnern, die in Massen über den Bildschirm geistern, noch identifizieren solle? Doch wen interessiert es? Regisseure und Darsteller diskutierten im trauten Kreise auf ihrem Podium (Foto oben).

„Im Würgegriff der Werber“

Die Programmverantwortlichen Günter Struve (ARD), Markus Schächter (ZDF) und RTL-Chef Fred Kogel (Foto unten) wälzten lieber eigene Probleme: Die Werbewirtschaft, die sich auf eine Zielgruppe von 14 bis 49 eingeschossen habe, sei an allen Mißständen schuld! Kogel wähnte sich gar im „Würgegriff der Werber“ und Schächter gab vor, hoffnungsvoll auf eine „Zielgruppenöffnung“ der Werbewirtschaft zu schielen. Schließlich sei die Mehrheit der Porschefahrer über 50, wie letztlich auch die Entscheider in Wirtschaft und Gesellschaft. Wow, ein herrlicher Konsens!
Doch, oh Wunder, auch die toughen Werber rafften sich auf ihrem Podium zu seltener Geschlossenheit auf. Man erfuhr Erstaunliches Über die Zweiteilung der Gesellschaft in jung und alt sei man in der Branche längst hinaus, die Zielgruppen-Definition interessiere nicht mehr. Zynismus herrsche in den Sendern selbst, so die einhellige Meinung der Runde. Claudia Langer, Chefin einer Münchner Werbeagentur, gab sich gar verzweifelt angesichts des ewig gleichen verdummenden Programms: „Ja, wir wissen doch schon gar nicht mehr, wo wir unsere Werbung schalten sollen.“
So maulte, knötterte und log ein jeder hübsch in seiner Ecke. Genarrt war einzig das Publikum. Na, sowas! Wer die moralisch-verwerflichen Vermarktungs-Strategien – jene miesen Qualitätskiller, die das Fernsehen so unansehnlich macht – hervorbringt, war schlicht nicht zu ermitteln! Einen wunderbaren Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeiten hatten die Veranstalter eingerichtet. Bloß kein interdisziplinärer Austausch! Da hätte ja eventuell jemand Rede und Antwort stehen müssen!

Kritik(er) elegant ausgeschaltet

Blieb nur ein Problem. Von der Kritik ist – wie der Name schon sagt – meist Ärger zu erwarten. Wie stellt man sie kalt? Auch dies, von den Veranstaltern bereits im Vorfeld geklärt: Man betrieb „fishing for kompliments“, lud die richtigen Kritiker zum richtigen Thema: „Mein schönstes Fernseherlebnis“. Und siehe da, aus eifernden und nervenden Nörglern – sofern sie überhaupt einmal welche waren – wurden freudige Lobhimmler. Das Resultat: Etwa Rose-Maria Gropps (FAZ) redundante, schöngeistige und nichtssagende Hommage an Francis Durbridge. Und Oliver Hergesell (Berliner Zeitung) glänzte mit einer Laudatio auf den amerikanischen Medienstar Larry Flint – voll des Lobes für dessen Machtpotential, eifrig in der Politik mitzumischen.
Eine elegante Methode, Kritiker auszuschalten. Wer wollte da noch protestieren? Na also, Fernsehkritiker sind überflüssig, Labertaschen, geduldige Huldiger, Rosa-Brillen-Vertreter. Die passende Theorie lieferte der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze (Entdecker der „Erlebnisgesellschaft“). Jene, die immer noch nicht akzeptieren wollten, daß der Gestaltungsimpuls des Fernsehens der Marktanteil sei, seien die schlimmsten. Angeblich habe sich die Gereiztheit der solcherart kritisierten Sender gelegt. Verführte der Kulturindustrie gäbe es sowieso nicht mehr. Denn: „Wir alle sind die Kulturindustrie“, spitzfindelte der Professor. Beifall für dieses postmoderne Credo bekam er prompt: Vom stellvertretenden Chef der Boulevard-Hochglanzgazette „TV-Spielfilm“, Michael Eckert, Meister des Häppchenjournalismus, der – wie er berichtete – „in zwei, drei Sätzen ein bißchen Hintergrund erklärt, warum man einschalten soll“.

„Stille Leidenschaft“

Ist die Kritik also am Ende? Keineswegs, Bundespräsident Roman Herzog gab den Haus- und Hofkritiker des ZDF. Gestand „stille Leidenschaft“ für das Vorabendprogramm und ließ sich dennoch hinreißen, über die „übertriebene Untreue“ in Liebesverhältnissen zu fabulieren, die junge Schauspieler dort vorexerzierten. Sprach jene begütigenden und gleichzeitig mahnenden Worte, die wirklich nichts in Frage stellen. Kurz, der Bundespräsident zeigte wieder einmal sein unschlagbares Talent, mit scheinkritischen Argumenten zu provozieren und diese mit opportunistischen Selbst-Responsen wieder zu entkräften. Letztendlich appellierte er an die Zuschauer und deren Geschick, einem schlechten Programm zu entweichen. „Medienkompetenz“ oder auch „Befähigung zum klugen und verantwortungsvollen Umgang mit den Medien“ nannte er das.
Die Mainzer Tage – ein Flop? Nein, aber hart an der Grenze. Spannende Einblicke, was gutes Fernsehen heißt, gaben Fernsehmacher Horst Königstein und WDR-Chefin Marion von Haaren. Man hatte das angenehme Gefühl: Da lieben welche das Fernsehmachen, sind leidenschaftlich dabei. Ein Lichtblick auch Radiomacher Helmut Lehnert, der mit „Radio Eins“ unter anderem auch jüngere Leute erreicht. Lehnert erteilte dem ganzen berechnenden Zielgruppengerede eine erfrischende Absage: Er wende sich bewußt weder an Jugend, noch an alte Menschen. Ihm gehe es um aktive Hörer, solche, die die Gesellschaft verändern wollen. Die passiven, die dies nicht wollen, spreche er gar nicht erst an. Begründung: Er sei eben selbst ein Aktiver. Gelegentlich verirren sich noch Menschen zu den Mainzer Tagen der Fernsehkritik, die sich einen feuchten Kehricht um ökonomisches Kalkül und Vermarktungsstrategien scheren.

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