„Wo Empfängerinnen und Empfänger senden“

Medienpolitische Tagung zum Rundfunk ohne Kommerz, aber mit Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern

Ende Oktober trafen sich Lage-Hörste rund 50 Fachleute, für die der Umgang mit Begriffen wie NKL (Nichtkommerzieller Lokalfunk), OK (Offener Kanal), Freie Radios, Bürger- und Campusfunk Alltag ist. Ziel der Tagung der IG Medien und der Heinrich-Böll-Stiftung, gemeinsam veranstaltet mit dem „Solidaritätsfonds Demokratische Medien“ und der DAG, war allerdings, in eine breitere Öffentlichkeit zu wirken: „Die Stabilisierung und der Ausbau der nichtkommerziellen partizipativen Medien als Träger der Rundfunkfreiheit in Deutschland ist eines der wichtigsten medienpolitischen Ziele der kommenden Jahre,“ hieß es in der Abschlußerklärung der IG Medien.

Trotz der Vielfalt der Begriffe für den diskutierten Gegenstand selbst – am häufigsten wohl fiel im Zusammenhang mit allen Spielarten von Bürgerradios der Begriff „Konvergenz“. Sind auch rechtliche Bedingungen und Organisationsformen sehr unterschiedlich in den Bundesländern, in denen die weit über 100 Sender ihre Programme ausstrahlen – in der alltäglichen Praxis gibt es weitgehend Annäherung. Am deutlichsten wurde das am Beispiel Niedersachsens, dem Bundesland, das zur Zeit mit den am weitesten entwickelten Modellen aufwarten kann. Dort strahlen inzwischen die meisten Stationen den ganzen Tag lang bis weit in den Abend hinein ihre Programme aus. Dagegen gibt es in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel nur stundenweise „Fensterprogramme“ für die Offenen Kanäle in den Programmen der kommerziell-privaten Lokalsender; in Sachsen haben die nicht-kommerziellen Stationen zum Teil nur vier Stunden Sendezeit pro Woche.

Bürgerfunk-Vielfalt in Niedersachsen

Da die niedersächsischen Bürgerfunkangebote noch in einer Erprobungsphase laufen und die Politiker demnächst über die Absicherung auf Dauer entscheiden müssen, waren vor allem Vertreter aus diesem Bundesland nach Hörste gekommen. Über die augenblickliche Praxis gab in Hörste Klaus-Jürgen Buchholz einen Überblick, in der NLM (Niedersächsische Landesmedienanstalt) für diesen Bereich zuständig: Im Lande existieren zur Zeit sechs OKs und sechs NKLs. Träger der Sender sind in Niedersachsen in der Regel eingetragene, als gemeinnützig anerkannte Vereine; in anderen Bundesländern betreiben die Landesmedienanstalten zum Teil den Bürgerfunk in eigener Regie. (Die Bezeichnung „Bürgerfunk“ steht hier verkürzend für alle Spielarten der vorgestellten Modelle). Dabei übernimmt auch in Niedersachsen die NLM zu 90 Prozent die Finanzierung der Sender, von denen allerdings einige Schwierigkeiten haben, den geforderten Eigenanteil von zehn Prozent aufzubringen. Werbung und Sponsoring im Programm selbst sind nicht zulässig. Der gegenwärtige Versuchsbetrieb ist bis zum März 2002 befristet. Bis dahin erhalten die niedersächsischen Bürgerfunker insgesamt 40 Millionen Mark von der Landesmedienanstalt, finanziert aus deren Zwei-Prozent-Anteil an den Rundfunkgebühren. – Allerdings ist auch dieses Geld für die Landesmedienanstalten nicht auf Dauer gesichert. Aktuell wird es in zunehmendem Maße von der Filmförderung in Anspruch genommen.

Konvergenz in der Praxis

Nach dem eigenen theoretischen Anspruch stehen die offenen Kanäle jedermann und -frau offen; eigentlich will die Station nur eine technische Plattform für Sendungen zur Verfügung stellen, die nach dem Prinzip der „Schlange“ in den Äther gelangen: alles hintereinander, gerade in der zufälligen Reihenfolge, in der sich die einzelnen Programmmacher und -macherinnen angemeldet haben. Ganz anders dagegen – jedenfalls auf dem Papier – die nichtkommerziellen Lokalsender: Deren Veranstalter sehen für sich einen Programmauftrag, der vor allem die Herstellung lokaler Öffentlichkeit als seinen Schwerpunkt sieht. Doch faktisch hat sich in der Praxis einiges verändert: Nicht die „Schlange“ charakterisiert wirklich das Sendeprinzip, sondern es gibt zumindest „Thementage“, an denen die unter der Hand zu Programmachern gewordenen Aktivisten freier Radios Sendungen zu einem Problem bündeln; bestimmte Gruppen – Studierende, Lesben und Schwule, Senioren – suchen auch für die von ihnen produzierten Bänder feste Termine, um ihre Hauptzielgruppen einigermaßen sicher zu erreichen. Im ausgestrahlten Programm haben sich somit die Unterschiede zwischen Offenen Kanälen und nicht-kommerziellen Sendern abgeschliffen: Die Hierarchie der Themen sei ähnlich, hat Klaus-Jürgen Buchholz von der NLM festgestellt: „Den größten Anteil am Wort- beziehungsweise Informationsprogramm haben kulturelle Beiträge, gefolgt von Politik / Wirtschaft / Soziales. Auf Platz drei rangiert die lokale Sportberichterstattung.“ Buchholz lobt einen „hohen Grad exklusiver Berichterstattung“, nicht nur im Vergleich zu Informationssendungen privat-kommerzieller Sender, sondern auch zu denen öffentlich-rechtlicher Anstalten. Unzufrieden zeigt sich der NLM-Vertreter dagegen mit der „sehr beschränkten“ Vielfalt an Sendeformen und Darstellungsweisen. Die praktische Konvergenz hat im übrigen inzwischen auch zu einem organisatorischen Zusammenschluß geführt: Der niedersächsische „Landesverband Bürger-Medien“ (LBM) vereinigt partnerschaftlich OKs wie NKLs, und in gemeinsamen „Thesen zur Weiterentwicklung der Bürgermedien“ fordern sie einträchtig, den Regelbetrieb ihrer Stationen im Landesrundfunkgesetz festzuschreiben..

Bürgerradios als Teil der Grundversorgung?

Einen Weg dafür, wie das gehen könnte, skizzierte in Hörste Martin Stock. Der Medienrechtler aus Bielefeld sieht den Bürgerfunk nicht als „drittes Säulchen“ neben den zwei etablierten „Säulen“ Kommerz- und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Für diesen Ansatz sieht Stock keine verfassungsrechtliche Basis, die auf Dauer dem „community radio“ eine andere Funktion ermöglichte als die eines „Feigenblatts“ in einem ansonsten zunehmend „neoliberalen Konzerndoktrinen“ unterworfenen Mediensystem. Stock skizzierte gegen die „Sogwirkung“ des „Marktrundfunks“ eine juristische Alternative: „Öffentlich-rechtlicher und nichtkommerziell-privater Rundfunk treten Arm in Arm auf, sie stellen – mit verteilten Rollen – die eine Seite des dualen Systems dar.“ Praktische Schlußfolgerung, so Stock: Der nichtkommerzielle Sektor müßte in einen Rundfunkstaatsvertrag einbezogen und über einen festen Anteil an den Rundfunkgebühren auf Dauer gesichert werden. Damit könnten „community radios“ eine lokale journalistische „Grundversorgung“ gewährleisten.

Doch Stocks Position ist unter Medienjuristen im Detail umstritten, wie sein Kollege Wolfgang Hecker von der Verwaltungsfachhochschule Frankfurt/Main deutlich machte, der nichts vom Ausbau der NKLs zu „,professionellen‘ Varianten der bestehenden Medienbetriebe“ hält. Hecker sieht darin die Gefahr des Verlusts der Zugangsöffentlichkeit der NKLs, die er auf jeden Fall gewahrt und mit „Elementen eines neuen semi-professionellen Journalismus aktiver Laien“ verbunden sehen will. Für den Ausbau des NKL favorisiert Hecker dessen künftige Berücksichtigung im Rundfunkstaatsvertrag und findet darin ebenso die Unterstützung von Martin Stock wie für die Erwägung, bei privat-kommerziellen Rundfunkanbietern eine Abgabe zugunsten der Finanzierung des Bürgerfunks zu erheben – ein Modell, das laut Stock in Großbritannien schon erfolgreich praktiziert werde.

Ohnehin kann bei dem einen oder anderen Problem der Bürgerradios in Deutschland der Blick über den nationalen Gartenzaun hinweg vielleicht zur Lösung beitragen, wie Barbara Thomaß von der Universität Hamburg verdeutlichte. Sie gab einen Überblick über die bunte Vielfalt des Bürgerfunks in den europäischen Ländern und machte dabei unter anderem deutlich, daß der Ruf nach gesetzlichen Regelungen eine „sehr deutsche Frage“ sei: In Südeuropa habe es selbstverständlich zuerst Bürgerradios gegeben, und erst nachträglich hätten diese eine Absicherung in Paragraphen gefunden – da kamen in Hörste bei dem einen oder der anderen wehmütige Erinnerungen an längst vergangene Zeiten von „Piratensendern“ wie „Radio Dreyecksland“ hoch.

Klassengrenzen in der Kommunikationsgesellschaft

An diesem viel gelobten und mehr noch staatlich angefeindeten Beispiel selbst organisierter und selbstbestimmter Medienarbeit hat Karlheinz Grieger immerhin zwölf Jahre teilgenommen, doch in Hörste schaute er keineswegs melancholisch zurück. Er betreibt seit einigen Jahren Bildungsarbeit innerhalb der Gewerkschaften und sieht heute seine Aufgabe vor allem darin, den DGB und die Einzelgewerkschaften Partei ergreifen zu lassen zugunsten der heutigen Formen von Partizipationsmedien. Deshalb widmete er sich unter der Überschrift „Die Medien- und Kommunikationsgesellschaft darf keine Klassengesellschaft sein“ vor allem der Zukunft der Bürgermedien. Deren Notwendigkeit sieht Grieger auch darin begründet, daß in der verheißenen „Kommunikationsgesellschaft“ der Zukunft verstärkt bestimmte gesellschaftliche Gruppen ausgegrenzt zu werden drohten: Kinder, Frauen, alte Menschen, Migrantinnen, Arbeitslose, sozial und beim Zugang zu Bildungschancen Benachteiligte…

Dagegen fordert Grieger ein Konzept der „Zweiwegekommunikation“, in dem auch Zuhören und Zuschauen als „aktive Tätigkeit“ verstanden wird, auf die MedienempfängerInnen vorbereitet werden müßten. So könnten sie die Konstruktionsmechanismen der Medien und deren Machtverhältnisse durchschauen, was am allerbesten durch eigene Medienarbeit möglich sei. Dafür seien NKLs und OKs wichtige Medienkompetenzzentren. In ihnen mitzuarbeiten rief Grieger Gewerkschaften und GewerkschafterInnen auf: „Das Schielen auf zentrale, große Medienwirkung und Präsenz in den Massenmedien verstellt oft den Blick dafür, was für wertvolle und für die Zukunft der Medien hilfreiche Prozesse sich in der alltäglichen Graswurzelarbeit der ,Basis‘ abspielen.“

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