Schon entdeckt? Nordstadtblogger

Scho entdeckt?

Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt es zunehmend mehr. Sie sind hochinteressant, aber oft wenig bekannt. Deshalb stellt M in jeder gedruckten Ausgabe und auf M Online einige davon vor.

Die Dortmunder Nordstadt hat mehr zu bieten, als Schauplatz düsterer Fernsehkrimis zu sein. Das meinen auch die Nordstadtblogger, die ihren Stadtteil beschreiben, aber nicht abgeschrieben haben. Vor sechs Jahren stellte der ehemalige Redakteur und Redaktionsleiter der Westfälischen Rundschau Alexander Völkel die journalistische Internetplattform online.

Die Schließung der Westfälischen Rundschau in Dortmund kann man als Geburtsstunde der Nordstadtblogger bezeichnen. Denn ans Aufgeben dachte Gründer Alexander Völkel, für den Journalismus eine Lebenseinstellung ist, nie. Im Gegenteil: Weil er nicht tatenlos zusehen wollte, wie die Medienvielfalt seiner Stadt verloren geht, gründete er das neue online-Angebot. Heute gelten die Nordstadtblogger als Experten für soziale Themen und als Plattform der Nordstadt. „Wir möchten den Menschen eine Stimme geben, denen sonst niemand zuhört“, sagt Völkel. Ein Blick auf seine Seite macht klar, was er meint. „Roma“ und Refugees welcome“ lauten die Rubriken, unter denen man zum Teil aufwändig recherchierte Geschichten lesen kann. Langzeitarbeitslose, Migranten und sozial Schwache kommen hier zu Wort, die sie betreffende Politik wird hinterfragt. Dass Mut zum investigativen Journalismus dazu gehört, beweist Redaktionsleiter Völkel immer wieder. So fühlt er den Rechtsextremisten Dortmunds auf den Zahn und berichtet ausführlich über deren Tun. „Wir wollen das demokratische System unterstützen, nicht unterwandern“, lautet sein Credo. Und: „Uns geht es um Vielfalt in der medialen Einfalt.“

Für die Inhalte zeichnen meist ehrenamtliche Gastautoren verantwortlich, fast allesamt Journalistinnen und Journalisten. Ein festes drei köpfiges Redaktionsteam betreut und aktualisiert die Seiten, beantworte E-Mails und Anfragen. Seit April 2017 haben die Nordstadtblogger ein eigenes Redaktionsbüro im Kulturort Depot, einem ehemaligen Straßenbahndepot mit kreativem Umfeld. Hier bieten die Nordstadtblogger journalistische Praktika für Studierende an sowie professionelle Arbeitsmöglichkeiten für die Ehrenamtlichen, die sich selbst keine eigene Ausrüstung leisten können oder wollen. Hier finden auch Redaktionsbesprechungen, Workshops, Schulungen und Interviews statt.

Das größte Problem der Nordstadtblogger ist und bleibt die Finanzierung. Gründer Völkel zahlt nicht nur mit Herzblut, sondern auch mit seinem eigenen Geld. Doch das allein reicht nicht, um das Ganze am Laufen zu halten. Daher wurde im Oktober vergangenen Jahres ein Abo-Aufruf gestartet. „Mit den Soli-Abos – wir wollen eine Paywall vermeiden – wird ein Teil der Fixkosten wie Miete, Versicherung finanziert. Doch perspektivisch reicht es noch nicht“, sorgt sich Völkel um die Zukunft. Lohnkostenzuschüsse nach dem neuen Teilhabechancengesetz für zwei Mitarbeiter hängen am seidenen Faden. „Es ist und bleibt schwierig“, sagt der Mann, der auch in diesem Fall keinen Gedanken ans Aufgeben verschwendet.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »