Studie zur Wirkung russischer Social-Media-Kampagnen

Die meisten Menschen glauben nicht an die von Russland verbreiteten Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine – auch wenn sie häufig Social Media nutzen. Entscheidend für die Wirkung der Propaganda ist vielmehr, ob sie grundsätzlich empfänglich für Verschwörungserzählungen sind. Dies zeigt die Studie eines internationalen Teams um Forschende der Technischen Universität München (TUM).

Die Studie wurde in rund 20 europäischen und amerikanischen Staaten durchgeführt. Demnach unterscheidet sich der jeweilige Anteil der Menschen, die den russischen Behauptungen glauben, deutlich.

Social Media gelten als enorm wirkungsvolles Instrument, um falsche Informationen in der öffentlichen Meinung zu verankern. Auch während des Angriffs auf die Ukraine, der als „erster TikTok-Krieg“ bezeichnet wurde, setzt Russland massiv auf die sozialen Medien, um seine Narrative zu verbreiten. Doch reicht es tatsächlich aus, die sozialen Medien zu fluten, um die Überzeugungen großer Teile der Bevölkerung zu beeinflussen? Ein internationales Team um Forschende der Hochschule für Politik an der TUM hat diese Frage in der ersten Phase des russischen Angriffs auf die Ukraine untersucht. Im April und Mai 2022 befragten sie jeweils rund tausend Personen in 19 Staaten, darunter Deutschland und weitere EU-Staaten, die USA, Großbritannien und Brasilien. Die Befragten gaben an, wie stark sie an zwei Behauptungen glauben, die von staatlichen russischen Stellen verbreitet wurden: Die Regierung der Ukraine sei antisemitisch und von Neonazis kontrolliert. Und die USA finanzierten die Entwicklung biologischer Waffen in der Ukraine.

Informationskrieg auf den Plattformen

Die Behauptung über biologische Waffen hielten 23 Prozent der Befragten für sicher oder ziemlich sicher wahr. Bei der Aussage zur ukrainischen Regierung waren es 14 Prozent. An beide Rechtfertigungen des Krieges glaubten neun Prozent. In elf Ländern stimmte mehr als ein Viertel der Menschen zumindest einer der beiden Behauptungen zu. Nur in vier Staaten glaubten mehr als zehn Prozent beiden Aussagen. „Russlands Versuch, die breite Öffentlichkeit in Europa zu Beginn des Angriffskriegs von seinem Narrativ zu überzeugen, ist größtenteils erfolgslos geblieben“, sagt Prof. Yannis Theocharis, Inhaber des TUM-Lehrstuhls für Digital Governance. „Das ist bemerkenswert angesichts des intensiven Informationskriegs, den Russland auf allen Social-Media-Plattformen führt.“

Die Staaten unterschieden sich deutlich voneinander. Während in Schweden nur drei Prozent der Befragten beide Behauptungen und 14 Prozent mindestens eine der beiden Behauptungen für sehr oder ziemlich sicher wahr hielten, waren es in Serbien 35 beziehungsweise 65 Prozent. Auch in Griechenland (24 bzw. 50 %), Ungarn (14 bzw. 37 %), Italien (9 bzw. 32 %) und Rumänien (10 bzw. 31 %) glaubten mehr als 30 Prozent zumindest einer Aussage. In Großbritannien (4 bzw. 16 %), Polen (4 bzw. 16 %), Dänemark (4 bzw. 18 %) und Deutschland (5 bzw. knapp 20 %) hielt dagegen weniger als ein Fünftel der Befragten eine der Äußerungen für wahr. Im Mittelfeld befanden sich beispielsweise die USA (5 bzw. gut 20 %), Brasilien (8 bzw. 27 %) und die Niederlande (4 bzw. 28 %).

Jüngere anfälliger für Falschinformationen

Außerdem stellte das Forschungsteam fest, dass ältere Menschen weniger anfällig für die Falschinformationen waren als jüngere Menschen, was im Gegensatz zu früheren Studien steht. Womit hängen diese Unterschiede zusammen? Ist der Konsum von Social Media der ausschlaggebende Grund? Tatsächlich glaubten Menschen, die häufig Facebook, YouTube und TikTok nutzten, eher an die Propaganda. Der Effekt fiel allerdings gering aus, bei anderen Social-Media-Kanälen war er nicht vorhanden oder sogar umgekehrt. Ein anderer Faktor fiel dagegen stark ins Gewicht: Bei Menschen, die grundsätzlich an Verschwörungserzählungen glauben, war die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, dass sie die Behauptungen über die Ukraine für richtig hielten. „Anders als vielfach angenommen, spielen die sozialen Medien nicht die entscheidende Rolle bei der Frage, ob sich Unwahrheiten durchsetzen“, sagt der Studienleiter Dr. Jan Zilinsky vom Lehrstuhl für Digital Governance der TUM. „Es reicht nicht, die sozialen Medien mit Desinformation zu fluten. Entscheidend ist vielmehr, ob die Konsumentinnen und Konsumenten grundsätzlich für Verschwörungserzählungen empfänglich sind.“

Ob die Befragten an Verschwörungstheorien glauben, ermittelten die Forschenden, indem sie ihnen eine Reihe von Aussagen vorlegten, beispielsweise: „Ein Großteil unseres Lebens wird von Komplotten kontrolliert, die an geheimen Orten ausgeheckt werden.“

Eine pro-russische Haltung, die ein Teil der Befragten angegeben hatte, wurde vom Forschungsteam in den statistischen Auswertungen berücksichtigt und hatte keinen Einfluss auf die Ergebnisse. Andere mögliche Faktoren für die Wirkung der Falschinformationen, etwa eine Ablehnung des eigenen politischen Systems, spielten höchstens eine unbedeutende Rolle. Die Forschenden plädieren nun dafür, verstärkt die Gründe für Verschwörungsdenken zu untersuchen. Studienautorin Dr. Franziska Pradel betont: “Wer die Demokratie nachhaltig gegen Desinformationskampagnen wappnen will, muss die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen verstehen und gesellschaftliche Strategien dagegen entwickeln.“


Download der Studie: https://www.tandfonline.com

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

VG Bild-Kunst setzt Meldungen aus

In einem Sonder-Newsletter teilte die VG Bild-Kunst mit, dass die Meldemöglichkeiten für Mitglieder der Berufsgruppen I (Bildende Künstler*innen, beispielsweise Maler*innen, Bildhauer*innen und Architekt*innen) und II (Fotograf*innen, Bildjournalist*innen, Grafiker*innen, Illustrator*innen, Designer*innen, Karikaturist*innen, Pressezeichner*innen, Bildagenturen, angewandte Kunst) für das Jahr 2021 bis Anfang Dezember 2021 ausgesetzt werden.
mehr »

Berliner Polizei gerät in Erklärungsnot

Bei den jüngsten Protestaktionen von A 100-Gegner*innen in Berlin-Neukölln und Treptow ist die Berliner und Bundespolizei massiv gegen Journalistinnen und Journalisten vorgegangen, die darüber berichten wollten. Für Renate Gensch, Landesvorsitzende der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg, ist es ein “Unding“, dass Journalist*innen teilweise mit polizeilicher Einkesselung an der Berufsausübung gehindert wurden, sie sieht eine „klare Behinderung der Pressefreiheit“.
mehr »

M Print goes Blendle

Mit seinem Online-Kiosk ist Blendle im September 2015 auch in Deutschland gestartet und bietet seitdem Leser_innen eine einfache und bequeme Lösung, einzelne Artikel aus verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften auf ein und derselben Plattform zu kaufen. Jetzt hat das niederländische Unternehmen in Deutschland den Blendle-Buttons gelauncht. Nutzer_innen können nun einzelne Artikel direkt auf der Website des betreffenden Mediums mit nur einem Klick erwerben und via Blendle weiterlesen. Neben „Menschen Machen Medien“ führen den Blendle-Button in Deutschland auch Cicero, Bilanz, Rhein-Zeitung, Neues Deutschland, Übermedien oder die Hannoversche Allgemeine ein.
mehr »

Leistungsschutzrecht auch für Journalisten

Die Internationale und die Europäische Journalisten-Föderation wenden sich gegen ein EU-Leistungsschutzrecht für Presseverlage ohne Vergütung für Journalisten. IFJ und EFJ könnten den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt „in dieser Form nicht unterstützen“, erklären die Organisationen, die über 300.000 Journalisten in ganz Europa vertreten. Das Thema wird derzeit im Europäischen Parlament und in den EU-Mitgliedstaaten diskutiert.
mehr »