Buffet reichhaltig – Häppchen kleiner

VG WORT 1995/96: Notbremse bei den sozialen Aufgaben

Der leichte Rückgang des Inkassos, den die VG WORT im Jahre 1995 mit minus zwei Prozent beim Wahrnehmen von Urheberrechten zu verzeichnen hatte, belegt, daß auch im Sektor Zweitverwertung die Zeiten üppiger Zuwächse vorerst pass sind.

Insgesamt wurden zwar noch immer stolze 103,01 Mio. Mark erlöst (1994: 105,20 Mio. Mark), jedoch sind schwarze Wolken am Zweitverwertungshorizont aufgezogen, durch die verregnete Ernten auf dem Acker geistiger Früchte nicht mehr auszuschließen sind.

Beispiel Bibliothekstantieme: Diese erbrachte 1995 mit 18,24 Mio. Mark knapp 18 Prozent des Gesamteinkommens und stellt die zweitwichtigste Einnahmequelle dar. Darin enthalten war nach einer von Bund und Ländern anno ’94 erzwungenen Novellierung ein Plus von 4,4 Prozent prinzipiell. De facto bezahlt worden ist der Erhöhungsbetrag jedoch noch nicht, obgleich die VG WORT einen gesetzlichen Anspruch darauf hat.

Anhebung der Bibliothekspauschale gefordert

Schlimmer noch: Gestiegene Ausleihzahlen und höhere Lebenshaltungskosten rechtfertigen die für 1996 geforderte 13prozentige Anhebung der Pauschalzahlung; im Gegenzug haben Bund und Länder mit dem „Angebot“ gekontert, in den Jahren 1996 und 1997 nur die bisherige Pauschale weiter zu zahlen. Ergebnis: Erstmals seit Existenz der Bibliothekstantieme (1972) muß die VG WORT die zuständige Schiedsstelle beim Deutschen Patentamt bemühen, wobei besonders pikant ist, daß Bund und Länder in diesem Jahr noch nicht einmal die quartalsweise fälligen Abschlagszahlungen geleistet haben, als handele es sich um eine Art Subvention, die nach Belieben ausgesetzt werden könne.

Erneut rückläufig war das Aufkommen aus Videovermietung (von 3,2 Mio. Mark auf 2,7 Mio. Mark), eine direkte Auswirkung der Rezession in der Branche der Videotheken.

Ein drittes Beispiel dafür, wie mühselig die Wahrnehmung von Zweitrechten geworden ist und bis auf weiteres bleiben wird, bietet die Lesezirkelvergütung: Diese konnte von 151 000 auf 177 000 Mark angehoben werden, doch um den Preis, diese Summe auf die drei Jahre 1995 bis 1997 einzufrieren. Überdies ist der Verband der Lesezirkel-Unternehmen mit Verweis auf den im Rahmen einer EG-Richtlinie geänderten „Vermietparagraphen“ (-o 27) bemüht, abermals eine Vergütungspflicht prinzipiell zu bestreiten.

Auch das Aufkommen aus der Kopiergerätevergütung war mit 35,3 Mio. Mark (Vorjahr 40,0 Mio. Mark) nicht nur rückläufig; zugleich wird die Vergütungspflicht für Faxgeräte noch immer von Außenseitern bestritten, so daß fünf zeitraubende und kostspielige Verfahren bei Landes- und Oberlandesgerichten anhängig sind. Im Streit um die Vergütungspflicht von Scannern schweben sieben Schiedsverfahren, wobei der lange Weg zum Bundesgerichtshof zumindest bei einigen vorprogrammiert erscheint.

Im Bereich der Kopierbetreibervergütung bereitet nicht nur das rückläufige Inkasso (von 7,5 Mio. Markt auf 6,95 Mio. Mark) Sorge, sondern die teilweise zweifelhafte Seriosität der Branche: Auf 300 000 Mark mußte 1994 als nicht einzutreibende Forderungen verzichtet werden, wobei angesichts einer „Kundschaft“ von ca. 13 000 Copyshop-Betreibern jährlich ohnehin an die 300 Mahn-, Gerichts- und Schiedsstellenverfahren zu führen sind.

Das Inkasso aus Pressespiegeln stieg aufgrund einer Tariferhöhung (von 6,2 Pfennig auf 7,0 Pfennig seit 1.1.1995) von 5,5 Mio. auf 5,8 Mio. Mark. Dennoch kein Grund, wenigstens hier zufrieden in die Zukunft zu blicken: Die Umstellung von gedruckten, d.h.in Papierform vervielfältigten, auf elektronische Pressespiegel in Form von gescannten Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften nutzen die Zeitungsverleger, um zu bestreiten, es handele sich um Pressespiegel im Sinne des Urheberrechtes. Es steht also ein Musterprozeß mit einem Herausgeber eines solchen elektronischen Pressespiegels an, für dessen Dauer keinerlei Inkasso erfolgt, und für den Fall, daß die VG WORT obsiegt, müssen Nachzahlungen für die Vergangenheit erfahrungsgemäß pauschaliert bzw. rabattiert werden.

Ärger mit Pressespiegeln und Schul-Kopien

Ärger steht auch ins Haus im Sektor Fotokopien an Schulen, obwohl das Aufkommen von 3,38 Mio. auf 6.07 Mio. Mark beträchtlich zugelegt hat, d.h. einen Lichtblick bedeutet. Maßgebliche Parameter sind Zahl der Schüler und urheberrechtlich relevante Zahl der Kopien je Schüler und Jahr. Letztere lag seit einer letzten, methodisch nicht weiter optimierbaren Ermittlung im Jahre 1986 bei durchschnittlich 13 Kopien. Dieser Durchschnitt hat sich nunmehr mit 25 Stück erfreulicherweise nahezu verdoppelt. Die neue Situation ist mit den Ländern zwar vertraglich novelliert worden, aber bezahlt haben diese mit dem bekannten Hinweis auf „Haushaltsschwierigkeiten“ bis dato nur die alten Beträge. Die Möglichkeit, den Rechtsweg beschreiten zu können, verbessert die Perspektive nur bedingt: Die beträchtlichen Kosten für Rechtsstreitigkeiten gehen – zumindest zunächst – zu Lasten des Ausschüttungstopfes, zu Lasten der Wahrnehmungsberechtigten selbst, für die die VG WORT treuhänderisch tätig ist.

Immerhin gibt’s auch Erfreuliches zu vermerken: Das Aufkommen im audiovisuellen Bereich ist 1995 nicht mehr rückläufig gewesen, sondern wieder leicht um 100 000 Mark auf 15,4 Mio. Mark angestiegen. Freilich schlägt auf hier der programmpolitische Seismograph zuverlässig aus: Es gehen immer mehr Meldungen über Autorenbeiträge im Hörfunk und Fernsehen ein bei in etwa gleichbleibender Gesamtzahl der Bewertungspunkte gemäß Verteilungsplan – Spiegelbild immer kürzerer Wortbeiträgen bzw. -sendungen in den Rundfunkprogrammen.Noch ein weiteres Phänomen soll hier nicht unerwähnt bleiben. Die Anteile der Inkassoquellen beim Rundfunk verschieben sich: Die Geräte- und Leerkassettenvergütung verteilt sich nunmehr wieder je zur Hälfte auf Audio und auf Video (Vorjahr Video 55 Prozent); noch bemerkenswerter ist die wachsende Bedeutung des Kneipenrechtes (“ öffentliche Vorführung“) mit jetzt 4,2 Mio. Mark oder 28 Prozent Inkassoanteil in diesem Sektor, vor vier Jahren waren es noch zwölf Prozent.

Autorenversorgung „am Tropf“

Ausgerechnet im Bereich soziale Aufgaben mußte die VG WORT die Notbremse ziehen, wiewohl sie sich einiges darauf zugute hält, weit mehr als die international mehr oder weniger konsensfähigen zehn Prozent des jährlichen (Individual-) Ausschüttungsvolumens sozialen Zwecken zuzuführen: durch das Autorenversorgungswerk (AVW), den Sozialfonds, den Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft. Das AVW mußte zum Leidwesen aller Verantwortlichen seine Pforten für Neuzugänge Ende Juni dieses Jahres schließen. Die 9,2 Mio. Mark, die 1995 insgesamt ausgeschüttet wurden, verteilten sich mit knapp 8,2 Mio. Mark auf Zuschüsse zur Altersvorsorge und auf 1,05 Mio. DM auf Zuschüsse zur Krankenversicherung. Berücksichtigt wurden 3 213 Autoren (Vorjahr 2 884), d.h. die Zahl der Zuschußempfänger hat sich in zehn Jahren in etwa verdoppelt, ebenso wie die ausgeschüttete Summe von seinerzeit 5 Mio. Mark. Kommt erschwerend hinzu, daß das AVW zu zwei Dritteln aus der Bibliothekstantieme gespeist wird, deren Entwicklung – siehe oben -sich nicht verläßlich prognostizieren läßt bei in etwa gleichbleibendem Finanzbedarf des AVW allein schon für die „Altmitglieder“.

Das es bei Einrichtung des AVW noch kein Künstlersozialversicherungsgesetz gab, die seither am AVW partizipierenden freiberuflichen Autoren jedoch, ohne sich förmlich auf einen Rechtsanspruch berufen zu können, Vertrauensschutz bei ihrer Lebensplanung erwarten dürfen, erschien es dem Stiftungsrat bei aller Malaise der Situation als das kleinere Übel, die Tür für Neuzugänge zu schließen. Das reicht jedoch mittelfristig noch nicht aus, den Fortbestand des AVW zu sichern. Als zusätzliche Finanzquelle ist – auf Beschluß der Mitgliederversammlung im Mai dieses Jahres – satzungsgemäß geregelt, daß im überschaubaren Zeitraum der nächsten zehn Jahre jeweils bis zu acht Prozent des Aufkommens im Bereich Reprographie/Wissenschaft dem AVW zusätzlich zugeführt werden können.

Diese Finanzierungsmöglichkeit einzubeziehen, ist nicht ungerechtfertigt, nachdem z.B. fast jeder fünfte vom AVW bedachte freiberufliche Autor der Berufsgruppe der wissenschaftlichen Autoren zugerechnet wird, ohne daß damit fixen Solidarquoten das Wort geredet werden soll und kann.Zum Schluß noch ein Blick ins Innenleben der VG WORT: Die Zahl derer, die ihre Rechte der VG WORT anvertrauen, ist abermals um 12 Prozent angestiegen, so daß das Gesamtregister aller Autoren und Verlage (Pseudonyme, Ausländer, Tochterverlage eingeschlossen) per 31.12.1995 über 230 000 Namen umfaßt (Vorjahr knapp 207 500).

Die Effizienz der überaus personalintensiven Arbeit der VG WORT (1995 Personalkostenanteil plus 6,3 Prozent) wird durch den tadellosen Anteil der Verwaltungskosten insgesamt belegt: Er ist mit 8,11 Prozent der Inlandserträge um 0,5 Prozent zurückgegangen und liegt auch im internationalen Vergleich extrem günstig.


  • Lutz Franke
    Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates
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