Der Preis des Freiseins

Der Druck auf freie Journalisten steigt. Die Sparpolitik der Verlage, die Politik des Outsourcings bei gleichzeitigem Einfrieren der Honoraretats hetzen die Freelancer in immer härtere Verteilungskämpfe. Honorarzuwächse – falls es sie überhaupt gibt – werden von der Inflation aufgefressen. Immer mehr Freie sehen sich gezwungen, Zweitjobs anzunehmen, vor allem im PR-Bereich. Kollektive solidarische Gegenwehr ist nur punktuell möglich.

Irgendwie ist er zu beneiden, der freie Journalist. Er kann aufstehen, wann er Lust hat, teilt sich seinen Arbeitstag nach Gusto ein, wählt sich seine Themen selbst und muss sich obendrein nicht mit autoritären Chefs und nervigen KollegInnen herumschlagen. Ein Traumjob? Die krude Wirklichkeit sieht wie immer anders aus.
Freie Journalisten prägen zwar mit ihrer Arbeit nicht unwesentlich das Erscheinungsbild der deutschen Medien. Aber die sozialen Konditionen, unter denen sie diese Arbeit machen, sind nach wie vor schlecht, in manchen Bereichen sogar erschreckend schlecht. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso skandalöser, dass selbst die bescheidenen Absicherungen, die der Gesetzgeber für diese Gruppe von Freiberuflern in prekärer existenzieller Situation durchgesetzt hat, immer wieder gegen Angriffe von Marktliberalen verteidigt werden müssen. So zuletzt, als einige Länder im Bundesrat unlängst unter dem Beifall mittelständischer Unternehmerverbände versuchten, die Künstlersozialkasse (KSK) zu liquidieren. Die Attacke wurde abgeschmettert, ist jedoch bezeichnend für die Frechheit, mit der in Kreisen der Medienwirtschaft und der politischen Rechten versucht wird, in der Krise sozialpolitischen „Ballast“ abzuwerfen. Immerhin eröffnete die 1982 gegründete KSK „freiberuflichen Künstlern und Publizisten“ erstmals die Möglichkeit, ähnlich wie „normale“ Arbeitnehmer einen „Arbeitgeberanteil“ zur Sozialversicherung zu erhalten. Mittlerweile bekommen an die 150.000 Mitglieder entsprechende Zuschüsse zu ihrer Kranken- und Rentenversicherung.
Wie viele freie Journalisten sich auf dem deutschen Markt tummeln, darüber gehen die Schätzungen auseinander. An der Mitgliederentwicklung der KSK lässt sich aber ablesen, dass ihre Zahl seit Jahren permanent zunimmt. Nahmen Anfang der 90er Jahre rund 12.000 Versicherte aus der Gruppe „Wort“ – darunter fallen auch Schriftsteller und technische Redakteure – das Angebot wahr, waren es zu Jahresbeginn 2008 knapp 40.000. Tendenz: steigend. Wer in die KSK will, muss neben einigen formalen Voraussetzungen derzeit ein Mindestarbeitseinkommen von 3.900 Euro nachweisen. Ein Beleg dafür, wie bescheiden die KSK die Einkommenssituation ihres Klientel einschätzt. Die Realität sieht nur unwesentlich günstiger aus. Das Durchschnittseinkommen der Berufsanfänger in der Gruppe Wort (als Anfänger gilt jeder Freie innerhalb der ersten drei Jahre nach erstmaliger Aufnahme seiner selbständigen publizistischen Tätigkeit) lag Anfang des Jahres bei 12.552 Euro. In der Gesamtgruppe „Wort“ lag das Einkommen immerhin bei 15.636 Euro – immer noch niedrig genug, um fest angestellte Redakteure in ungläubiges Staunen zu versetzen. Staunen darüber, wie es Freien gelingt, unter solchen Bedingungen zu überleben.
Mangels ausreichender medienstatistischer Daten lässt sich das Berufsfeld freier Journalisten nur durch Hinzuziehen diverser Untersuchungen ergründen. Eine in diesem Jahr im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV) erstellte Studie des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians Uni München ergab: Der „typische“ freie Journalist in Deutschland ist 47 Jahre alt, männlich, verfügt in der Regel über einen Hochschulabschluss, hat häufig keine Kinder und verdient im Durchschnitt 2.478 Euro brutto im Monat. Allerdings herrscht unter den Freien – an der Untersuchung beteiligten sich 1630 Journalisten – ein starkes wirtschaftliches Gefälle. So verdienen 28,8 Prozent der Befragten weniger als 1.000 Euro. 27,1 Prozent gaben an, bis zu 2.000 Euro zu verdienen, weitere 30 Prozent nannten eine Summe von bis zu 4.000 Euro brutto. Annähernd jeder zweite Freie sieht sich daher genötigt, neben dem Journalismus eine Nebentätigkeit auszuüben. Am häufigsten suchen sich die Befragten einen Zweitjob im Berufsfeld „PR/Werbung“, womit der Mythos von der „Freiheit“ des Freien einen weiteren argen Kratzer abbekommt.

Das Heer der Vogelfreien

Immerhin rund 60 Prozent der KollegInnen haben sich demnach bewusst dazu entschieden, als Freie/r zu arbeiten. 23 Prozent gaben an, aus betrieblichen Gründen oder weil eine Festanstellung nicht möglich war, frei zu arbeiten. Knapp jeder vierte arbeitet als „fester Freier“, während ganze 8,2 Prozent den Status eines Pauschalisten innehaben. Die überwältigende Mehrheit – gut 67 Prozent – befindet sich in einer arbeitsrechtlich nahezu völlig ungeschützten Position: Sie bilden das Heer der so genannten Vogelfreien.
Wie stark die Berufsgruppe der Freien derzeit ist, hängt von der jeweiligen Betrachtung ab. Der Hamburger Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg kommt in seinem vor zwei Jahren veröffentlichten Journalisten-Report für das Jahr 2005 auf etwa 48.000 hauptberufliche Journalisten in Deutschland. Rund 12.000 davon, also jeden vierten, ordnet er der Gruppe hauptberuflicher Freier zu. Nebenberufliche Freie, „die sich zwar selbst als Journalisten bezeichnen und auch Mitglied in einem journalistischen Berufsverband sind, aber ihren Lebensunterhalt hauptsächlich als PR-Berater, Eventmanager, Werbetexter, Lehrer, Taxifahrer oder in irgendeiner anderen Branche bestreiten“, werden in der Statistik nicht berücksichtigt. Die Journalistenorganisationen schätzen aufgrund der bei ihnen gemeldeten KollegInnen die Zahl der Freiberufler eher auf 25.000 ein. Ulrike Maercks-Franzen, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) registriert seit Jahren, wie sich die Mitgliederstruktur immer stärker zu Gunsten der Freien verschiebt. Von den rund 20.000 dju-Mitgliedern sind demnach 50 bis 60 Prozent den Freien zuzurechnen. „Immer mehr Freie stoßen zu uns, weil sie unsere Rechtsberatung und den Informationsaustausch über berufliche sowie soziale Fragen als hilfreich schätzen“, sagt die Gewerkschafterin.
Dieser Trend dürfte in nächster Zeit ebenso zunehmen wie die Zahl der Freien. Die Attraktivität von Jobs in der Medienbranche scheint trotz aller Krisenwarnungen ungebrochen. Darauf deutet schon der Run auf die renommierten Journalistenschulen hin. Um die 20 Plätze der Hamburger Henri-Nannen-Schule balgen sich regelmäßig 1.500 Bewerber. Die Deutsche Journalistenschule in München registriert alljährlich 2.000 Anfragen für 45 Plätze pro Jahrgang. Zusätzlich strömen jährlich an die 7.000 Erstsemester in die wichtigsten Medienfächer der regulären Hochschulstudiengänge. Da die Zahl fester Stellen – außer in den Online-Redaktionen – eher stagniert, droht künftig eine drastische Zunahme der Verteilungskämpfe unter den Freien.

Keine angemessene Entlohnung

Denn die verschärfte Wettbewerbssituation auf dem Medienmarkt trifft vor allem die Freien. Die Krisenbewältungsrezepte der Sparkommissare und Controller in der Medienbranche sind wie gewohnt vorhersehbar und phantasielos: Entlassungen, Einsparungen und Outsourcing. Fast immer geht diese Sparpolitik mit deutlichen materiellen Verschlechterungen für die Betroffenen einher. So geschehen bei der Auslagerung einer ganzen Lokalredaktion in Münster oder im Rahmen der Outsourcing-Strategie in diversen Lokalausgaben der Sächsischen Zeitung. So möglicherweise demnächst bei der WAZ-Gruppe. Deren soeben von Springer gekommener Geschäftsführer Christian Nienhaus schließt beim geplanten Sparprogramm für die konzerneigenen NRW-Regionalblätter betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Auch aus anderen großen Verlagshäusern kommen beunruhigende Meldungen. Der Gang in die Selbstständigkeit erfolgt wohl in vielen Fällen nicht freiwillig, sondern ist eine erzwungene Folge verlegerischer Sparpolitik. Die Umstrukturierung von Redaktionen, die Bildung von Newsrooms durch Verschmelzung von Print und Online, produziert eine neue Aufspaltung von Tätigkeiten: hier der hochqualifizierte, gut bezahlte Redaktroniker, da der outgesourcte oder billig angeheuerte „Content-Lieferant“. Der im Online-Zeitalter zunehmende Aktualitäts- und Arbeitsdruck trifft auch die Freien. „Eine angemessene Entlohnung ihrer Leistung findet jedoch nicht statt“, konstatiert Maercks-Franzen. Denn der tiefere Sinn vieler Umstrukturierungen liege ja meist in den dabei angestrebten Spareffekten. Die alte gewerkschaftliche Forderung „Zeit statt Zeile“, also die Gewichtung von Honoraren nach tatsächlichem Arbeitsaufwand, klingt heute utopischer denn je.
Dabei ist schon die aktuelle Situation der Freien in den meisten Printmedien ein einziger sozialpolitischer Skandal. Zeilensätze von um die 30 Cent und weniger sind keine Seltenheit. Selbst überregionale Tageszeitungen bieten ihren Freien nur selten ein Zeilengeld, das die Ein-Euro-Grenze überschreitet. Auch Pauschalisten verdienen sich alles andere als eine goldene Nase. Mehraufwand bei der Recherche wird nur in Ausnahmefällen honoriert, Spesen für Freie sind in den meisten Redaktionen ein Fremdwort.
„Wer kann, boykottiert die Tageszeitungen“ resümierte die dju vor exakt 20 Jahren. Eine Umfrage unter Freien hatte seinerzeit ergeben: Arbeitnehmerähnliche Freie bei Provinzzeitungen werden unter dem Sozialhilfesatz bezahlt. Nur 15 Prozent der Freien an Printmedien erreichen die Vergütung eines Volontärs. Freie an Tageszeitungen bekommen weniger als ein Viertel dessen, was die Verleger den angestellten RedakteurInnen für die gleiche Arbeit bezahlen müssen. Daran dürfte sich in der Relation bis heute wenig verändert haben.
Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die aktuellen Tarifverhandlungen für die freien und fest angestellten JournalistInnen an Tageszeitungen in einem trüben Licht. Zumindest aus Sicht der Freien. Unabhängig vom erzielten Ergebnis, so viel lässt sich voraussagen, wird sich die soziale Kluft zwischen Festen und Freien weiter vertiefen. Der einzige „Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten und Journalistinnen an Tageszeitungen“ sieht Mindesthonorare für einfache Textbeiträge wie Nachrichten und Berichte, aber auch für Anspruchsvolleres wie Reportagen, Spitzen oder Glossen vor, unterscheidet auch brav zwischen Auflagengrößenklassen sowie Erst- und Zweitdruckrecht. Der Haken: Jeder Freie muss bei seinem Verlag selbst seinen Anspruch auf Anerkennung seiner „Arbeitnehmerähnlichkeit“ geltend machen. Aus berechtigter Furcht vor Repressionen knauseriger Verleger und Redaktionsleiter mit schrumpfendem Etat wagen das viele Freie nicht. Wer meckert oder Ansprüche stellt, läuft Gefahr, als Mitarbeiter aussortiert zu werden. Freie, die vor den Redaktionen ihre Warteschleifen ziehen, gibt es schließlich genug.
Die bescheidenen Honoraraufschläge für Freie, die bei den gegenwärtig laufenden Tarifverhandlungen bestenfalls herauskommen, dürften in diesem Jahr von der Inflation aufgefressen werden. Wenn sie von den Verlegern in der Praxis überhaupt gezahlt werden. Papier ist geduldig und die meisten Verlagshäuser zahlen unter Tarif. Wenn sie nicht – wie die Hessischen Zeitungsverleger und sämtliche Verlegerverbände der neuen Bundesländer bis heute – das Tarifwerk ohnehin ignorieren.

Klare Honorarrahmen

Gegen die katastrophale Lage in den Printmedien erscheint die materielle Situation freier Mitarbeiter beim Rundfunk auf den ersten Blick geradezu paradiesisch. Zumindest beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es existieren klare Honorarrahmen, das Honorar wird in der Regel pünktlich überwiesen. Und „arbeitnehmerähnliche“ Freie, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, gelangen sogar in den Genuss von bescheidenen sozialen Leistungen wie Urlaubsgeld oder Bestandsschutz. Andererseits sollen die ARD-Anstalten im eigenen Interesse dafür Sorge tragen, dass trotz Sparmaßnahmen eine faire Honorierung freier Mitarbeiter gewährleistet sei. Beispielsweise müsse Recherche angemessen bezahlt werden. Unter faire Honorierung falle auch die Vergütung von Wiederholungshonoraren. Urheberrechtliche Vorgaben sind einzuhalten, fordern ARD-Freienvertreter. Ein klarer Hinweis darauf, dass auch bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht alles golden ist, was glänzt. Wie schnell eine Freien-Existenz in Schieflage geraten kann, erleben derzeit die Mitarbeiter der von Einstellung bedrohten RBB-Integrationswelle Radio Multikulti. „Etwa 80 Freie sind in ihrer Existenz bedroht, einige werden zwar im RBB unterkommen, aber genauso wie die über 20 Festen MitarbeiterInnen anderen Freien die Arbeit wegnehmen.“, informiert Jürgen Schäfer, Sprecher der Freieninitiative „rbbpro“. Der „gut bezahlten Geschäftsleitung“ des RBB falle „nichts weiter ein, als immer nur auf Kosten der Freien zu sparen“. Die Beschneidung von Programmetats führe für Freie in aller Regel zu unbezahlter Mehrarbeit oder zu Honorarkürzungen. Die vom RBB angebotenen neuen Honorarbedingungen sehen erstmals eine Vergütung für die Internetnutzung von Beiträgen vor: 2,5 Prozent Honoraraufschlag. Ein „Almosen“, kommentiert Schäfer. Gegen diesen „einseitigen, ideenlosen Sparkurs des RBB“ hatte die Freieninitiative am 2. Oktober alle Freien aufgerufen, sich diesen Tag „einfach mal frei zu nehmen“.


 

Wissenswertes

www.mediafon.net
www.freie.verdi.de
http://dju.verdi.de/freie

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