Schuften wie ein Fester für weniger als die Hälfte des „Tarifgehalts“
In den meisten Lokalredaktionen ist die Arbeitsdichte enorm. Dazu kommt, dass dort immer weniger fest angestellte Redakteure arbeiten. Viele dieser Arbeitsplätze verschwanden in den letzten Jahren, die Arbeit blieb. Sie wird zunehmend durch Pauschalisten und Freie erledigt. Der Lohn beträgt in der Regel nur den Bruchteil eines Tarifgehalts – ein Beispiel aus Hessen.
Die Stellenanzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 24. Januar klang interessant: Für eine Lokalredaktion suchte die ebenfalls in der Frankfurter Societät erscheinende „Frankfurter Neue Presse“ (FNP) einen freien Mitarbeiter. Redaktionsleiter Horst Samson weist am Telefon gleich darauf hin, dass man einen festen Freien suche – kein Problem, schließlich ist der Bewerber und Autor dieser Zeilen, wie die meisten Freien, froh über regelmäßigen Honorareingang. Was dann allerdings folgte, war kaum mehr als ein schlechter Witz: Die Regelarbeitszeit liege zwischen halb elf und halb acht, Samstags sei frei, bezahlt werde pauschal 77 Euro am Tag. Auch wenn die Arbeitszeit flexibel gestaltet werden könne – als Zweitjob tauge die Stelle nicht. Zum Tätigkeitsprofil: Man solle „Interesse am Layout mitbringen und sich auf die digitale Fotografie und Bildbearbeitung verstehen“, daneben, so wird im Gespräch erläutert, nehme das Redigieren der von Freien zugelieferten Texte breiten Raum ein. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass in dem genannten Tagessatz die Mehrwertsteuer bereits enthalten ist – macht einen Umsatz von 71,61 Euro für einen Arbeitstag von acht bis neun Stunden. Bei 24 Tagen im Monat arbeitet der freie Lokalredakteur bei der FNP also für gut 1700 Euro unversteuert Als der Anrufer dem Redaktionsleiter das vorrechnet, lässt dieser erkennen, dass ihm die Bezahlung ebenfalls nicht sonderlich großzügig erscheint – „aber Sie wissen ja, wie das heute ist“. Und zwischen den Zeilen klingt deutlich durch, dass man sich per Existenzgeld oder als Ich-AG aufbessern könne.
Die Überlegungen des Bewerbers sind einfach: Nimmt er das Angebot an und die FNP ihn auf, muss er sich vollständig in die Abhängigkeit eines Auftraggebers begeben. Von dem Geld muss er alle Versicherungsleistungen zahlen, Urlaub kann er dann wohl streichen. Und wenn die FNP ihn fallen lässt, steht er ganz „frei“ da – Arbeitslosengeld wie für einen fest Angestellten fällt ja schließlich auch aus. Der Freie lehnt „dankend“ ab.
Hohe Arbeitsbelastung
Dem Betriebsratsvorsitzenden Manfred Fritsch war dieser konkrete Sachverhalt so nicht bekannt. Die geschilderten Arbeitsbedingungen bezeichnet er jedoch schlicht als Ausbeutung der freien Mitarbeiter. Von Tarifverträgen sei das sehr weit entfernt. Aber wirklich wundern könne er sich darüber nicht, denn Hessen sei das einzige der alten Bundesländer, in dem sich die Zeitungsverleger seit Jahren weigern, den Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Freie zu übernehmen. Seine Nachfrage beim Personalchef nach den Beschäftigungs- und Bewerbungsmodalitäten für die freie Mitarbeit in den Lokalredaktionen brachte keine neuen Erkenntnisse. Fritsch waren aus der bewussten Redaktion regelmäßig Klagen über die hohe Arbeitsbelastung zu Ohren gekommen, die aber mittlerweile abgeklungen sind. Kein Wunder, denn auf Nachfrage von M bei Redaktionsleiter Samson bestätigt dieser, dass man durch die Stellenanzeige einen Mitarbeiter gefunden habe.
Die FNP ist eine der führenden Tageszeitungen in Hessen, mit drei Regionalausgaben kommt sie auf eine verkaufte Auflage von fast 200.000 Exemplaren (IVW 4/2003). Das Blatt sieht sich selbst als „in der bürgerlich liberalen Tradition der Frankfurter Paulskirche“ und wirbt mit dem Slogan „Wir kümmern uns drum“ – faire Arbeitsverhältnisse sind damit wohl nicht gemeint. Die Zeitung wird von der Frankfurter Societät verlegt, die mehrheitlich zur Fazit-Stiftung gehört. Auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ GmbH, Herausgeberin der FAZ und selbst mehrheitlich im Besitz der Fazit-Stiftung, hält Anteile an der FNP.