Heimliche Videoaufnahmen von Journalisten erlaubt

Heimliche Videoaufnahmen von Journalisten – hier für eine Fernseh-Dokumentation – sind unter bestimmten Voraussetzungen im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem richtungsweisenden Urteil vom 24. Februar 2015 (Beschwerde Nr. 21830/09) entschieden.

Im konkreten Fall ging es um den Einsatz versteckter Kameras bei Beratungsgesprächen eines Versicherungsmaklers. Die Aufnahmen wurden in einer Reportage über irreführende Beratungen der Verbraucherschutz-Sendung „Kassensturz“ des deutschsprachigen Schweizer Fernsehens (SF DRS) 2003 gesendet. Das Obergericht Zürich hatte vier Journalisten wegen der heimlichen Aufnahmen im Februar 2009 zu Geldstrafen verurteilt. Hiergegen klagten sie vor dem EGMR (Verfahren Haldimann u.a. ./. Schweiz).

In dem Urteil bekräftigt der Straßburger Gerichtshof seine Rechtsprechung in Bezug auf Angriffe auf das Ansehen von Personen des öffentlichen Lebens und die Kriterien, die er zur Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Recht auf Privatleben aufgestellt hat. Laut Pressemitteilung des Gerichtshofs kamen die Richter im vorliegenden Fall zu dem Schluss, dass die betroffene Person, der Versicherungsmakler, zwar keine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei, es im Dokumentarfilm aber auch nicht darum ging, ihn persönlich zu kritisieren, sondern bestimmte Geschäftspraktiken aufzudecken. Entscheidend war für die Richter, dass in der Sendung das Gesicht des Maklers unkenntlich gemacht und seine Stimme verfremdet worden war. Außerdem sei die Kamera außerhalb seiner Büroräume eingesetzt worden.

Das öffentliche Interesse an Informationen über vermeintlich dubiose Praktiken beim Verkauf von Versicherungsprodukten wiege schwerer als der Schutz der Privatsphäre des Maklers. Somit sei die Verurteilung der vier Journalisten eine Verletzung des Artikels 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, urteilte die Mehrheit der Richter (ein abweichendes Votum). In Deutschland hatte das Landgericht Stuttgart im Oktober 2014 eine Klage des Automobilkonzerns Daimler gegen den SWR wegen heimlicher Videoaufnahmen im Betrieb abgewiesen (M 7/2014).

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »