Fake News zu entlarven, wo immer sie auftauchen, und auf Newssites, Plattformen und in Suchmaschinen klar erkennbar als solche zu kennzeichnen, ist gewiss ein wichtiger erster Schritt, um Desinformation zu bekämpfen. Und dennoch verheißen solche Initiativen womöglich nur sehr begrenzten Erfolg.
Lange bevor Fake News zum Top-Thema für IT-Giganten wie Facebook und Google und auch für die Mainstream-Medien wurden, gab es bereits im Internet Faktencheck-Initiativen. Man ist hin- und hergerissen: Einerseits ist klar, dass es ohne „Druck von unten”, ohne aktivistisches Engagement, ohne Crowdsourcing und Crowdfunding kaum gelingen kann, die Verbreiter von Fake News in der neuen Desinformations-Ökonomie in Schranken zu verweisen. Andererseits sind für die Faktenüberprüfung seit eh und je und zu allererst Nachrichtenmedien und Journalisten zuständig – und es ist schon irgendwie komisch, wenn inzwischen viele Redaktionen auf das, was eigentlich ihre Kernaufgabe ist, gesondert aufmerksam machen. So gab es zeitweise vom Spiegel den „MünchhausenCheck“, bei der Zeit den „Faktomat“ und beim ZDF den „ZDFCheck“. Weiterhin in Betrieb sind zum Beispiel der Faktenfinder der ARD, im Mai 2017 hat die Arbeitsgruppe „BR Verifkation“ des Bayerischen Rundfunks ihre Tätigkeit aufgenommen.
Faktencheck wird aber inzwischen auch vielfach ausserhalb herkömmlicher Redaktionen betrieben. Luca Graves und Federica Cherubini, zwei Forscher des Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford, zählten kürzlich weltweit 113 Factchecking-Websites. In Deutschland hat sich Correkt!v als Faktencheck-Instanz innerhalb kurzer Zeit einen Namen gemacht. Eigentlich handelt es sich dabei aber um ein Projekt, das – ähnlich wie ProPublica in den USA – den investigativen Journalismus voranbringen will. Websites wie Bild-Blog und Übermedien nehmen sich speziell des Faktenchecks bei etablierten Medien an und interessieren sich weniger für Fakes und Verschwörungstheorien, die bei Facebook, Twitter und Youtube kursieren.
Darüber hinaus sitzen Factencheck-Projekte wie „Wafana“ (Wahrheit, Fakten, Nachrichten) und „Fact Fox“ in den Startlöchern: In Zusammenarbeit mit dem Media Lab Bayern hoffen bei „Wafana“ zwei Journalistinnen, Ursula Trischler und Johanna Wild, darauf, Medienunternehmen Faktenüberprüfung als Agenturleistung sowie einschlägige Weiterbildungsangebote anbieten zu können. „FactFox“ hat nichts mit Fox News zu tun und unterstützt Social Media Manager. Das Tool schlägt Redakteuren Antwortmöglichkeiten vor, „die auf den jeweiligen Kommentar abgestimmt sind und ermöglicht so ein schnelleres, plattformübergreifendes Arbeiten“, teilen die Betreiber mit.
So vielfältig wie die Motive, die Taktiken und die Strategien der Akteure bei der Verbreitung von Desinformation sind, so vielfältig sind auch die unterschiedlichen Zugänge der Faktenchecker bei deren Bekämpfung. Meist geht es darum, Desinformation zu enttarnen, zu kennzeichnen und bei krassen Fällen diese, wenn möglich, zu löschen. Andere Aktivisten wiederum mühen sich damit ab, schwarze Listen zu erstellen, um einen Überblick über die Fake News-Produzenten zu ermöglichen.
Wer realistisch die Erfolgschancen solcher Initiativen bewerten will, sollte allerdings nicht übersehen, dass die Erfinder von Falschnachrichten ihren Verfolgern meist eine Pinocchio-Nasenlänge voraus sind. Mehrere Mechanismen tragen dazu bei, dass sich Fakes im Netz gelegentlich wie Lauffeuer ausbreiten und von Faktencheckern kaum noch einfangen lassen: Sind Falschnachrichten intelligent konstruiert, haben sie einen hohen Nachrichtenwert und erzielen genau deshalb zahllose Clicks, Likes und Shares. Social Bots, also Text-Roboter, tun das ihrige, um den Effekt drastisch zu verstärken. Sie kosten wenig Geld und lassen sich obendrein schwer nachweisen.
Ein italienisch-amerikanisches Forscherteam unter Führung von Walter Quattrociocchi hat herausgefunden, dass sich in den Echokammern der sozialen Netzwerke Desinformationen weitaus schneller und flächendeckender als die grau-schattierten Nachrichten seriöser Informations- und Nachrichtenanbieter ausbreiten. Die Wissenschaftler haben dazu in den USA und in Italien zahlreiche Facebook-Accounts verglichen – einerseits solche, die sich redlich um wissenschaftlich und journalistisch geprüfte Information bemühen, andererseits Linkschleudern, die Unsinn offerieren.
Auch beim Nachrichtenkonsum ist menschliches Verhalten oftmals weit weniger rational, als wir annehmen würden. Statt News im Rahmen unserer – dank des Internets drastisch erweiterten – Möglichkeiten zu überprüfen, vertrauen wir beim Nachrichtenkonsum oftmals Friends and Family. Auch das ist nichts Neues: Jeder Student der Kommunikationswissenschaften hört im ersten Semester vom Zweistufenfluss der Kommunikation: Seit Paul Lazarsfeld wissen wir, dass Meinungsführer oftmals Vermittlerrollen ausüben, wenn es darum geht, Nachrichten zu verbreiten. Das funktioniert online ganz ähnlich wie offline, nur kann im Netz der Multiplikatoreffekt um ein Vielfaches grösser sein.
Wir werden auch immer wieder Opfer des „confirmation bias“ – wir konsumieren, „liken“ und „sharen“ bevorzugt solche News, die unsere eigenen Vorurteile bestätigen, und tragen somit immer wieder aktiv dazu bei, dass in den sozialen Netzwerken Filterblasen entstehen.
Eine Heuristik, derer wir uns gerne bedienen, hat weitere fatale Folgewirkungen für die Wahrheitssuche: Wenn wir widersprüchliche Informationen verarbeiten müssen und nicht recht weiter wissen, nehmen wir an, dass beide Seiten „ein bisschen recht haben“ könnten und suchen die wahre Wahrheit irgendwo in der Mitte. Auch mit dieser Verhaltensweise besorgen wir letztlich das Geschäft derer, die aus kommerziellen oder machtpolitischen Gründen Fake News in die Welt setzen.
Faktencheck ist also dringlicher denn je – doch damit er zur Erfolgsstory werden kann und letztlich auch in der digitalen Welt die Aufklärung obsiegt, bedarf es erst einmal mehr kritischer Selbstinspektion und wohl auch viel umfassenderer Medienerziehung.
Im Herbst erscheint von Stephan Russ-Mohl „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ (Köln: Herbert von Halem Verlag). In diesem Buch wird untersucht, wie sich die Aufmerksamkeitsökonomie zur digitalen Desinformationsökonomie wandelt, und inwieweit eine „Allianz für die Aufklärung“ von Journalismus und Wissenschaft diesem Trend entgegenwirken könnte.