Verantwortungslos
Von Friedrich Burschel | Schwer zu entscheiden, was einen mehr aufgebracht hat gegen die große Süddeutsche Zeitung: dass sie am ersten Oktober-Wochenende eine viertel-seitige Anzeige der neurechten Jungen Freiheit veröffentlicht hat oder wie sie mit der Kritik daran umgegangen ist.
Der Protest einer offenbar doch nicht unerheblichen Zahl von SZ-Lesern richtete sich dagegen, dass ein bundesdeutsches bürgerliches Leitmedium der Jungen Freiheit (JF), einer Art „Nationalzeitung“ der Besserverdienenden und akademisch Gebildeten, ihre Anzeigenspalten öffnete und so der Normalisierung von Standpunkten Vorschub leistete, die zutiefst antidemokratisch und antihumanistisch sind. Der offen affirmative Bezug der JF und ihrer Autorenschar (etwa aus dem völkisch-konservativen „Institut für Staatspolitik“ (IfS)) auf die „Konservative Revolution“ der Weimarer Zeit und damit auf jene „seriösen“ Kreise erzreaktionärer Republikfeinde, Demokratieverächter und Totengräber der Weimarer Republik, schien sie als Anzeigenkundin für eine als immer noch liberal geltende Zeitung zu disqualifizieren. Aber nein, die SZ-Leserbrief-Abteilung wies zunächst darauf hin, dass die Anzeigen-Abteilung streng getrennt sei von der Redaktion und infolgedessen zum Geschäftsgebaren auch keine Leserzuschriften veröffentlicht würden: aus Gründen – ja, natürlich – der Seriosität. Der Protest gegen die JF-Werbung, unter anderem auch von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und zahlreichen Leserbrief-Unterzeichnern aus Wissenschaft und Bildung, blieb also auf den Seiten der SZ unberücksichtigt. Aber das letzte Wort in einer Debatte, die sie gar nicht zugelassen hatte, wollte sich das Münchener Traditionsblatt in schwäbischer Hand denn doch nicht nehmen lassen: „Die Junge Freiheit ist als eine Stimme der demokratischen Rechten in diesem Land ein legitimer Teil des Meinungsspektrums“, belehrt SZ-Redakteur Marc Felix Serrao die Protestierenden. Das mag ja stimmen: Es wird aber die Frage erlaubt sein, ob man diesem möglicherweise legitimen neurechten Medium tatsächlich seine Seiten zum Zwecke der Werbung öffnen und ihm so ein hochkarätiges Forum bieten will.
Sich die Unterstützung einer Postille, auf deren Seiten sich Geschichtsrevisionisten, Faschismus-Verharmloser, Antidemokraten und „Gutmenschen“-Hasser tummeln, fürstlich entlohnen zu lassen und diesen, natürlich rein geschäftlichen Tabubruch auch noch als Einsatz für die Meinungsfreiheit zu verkaufen, ist eine verantwortungslose Frechheit, die ihres Gleichen selbst in Zeiten der „Das wird man wohl noch sagen dürfen“-Konjunktur sucht.
Kampfesmut
Von Carlota Soto | „Der Arbeitgeber hat aus einem Haufen von Individualisten gänzlich unfreiwillig eine Einheit geformt, die über eine irgendwie vorhandene Ansammlung von Angestellten hinausgeht. Dafür müsste man ihm eigentlich fast schon dankbar sein.“ Dieses Resümee eines Redakteurs der Frankfurter Neuen Presse (FNP) nach dem Ende der Auseinandersetzung bei der Societäts-Druckerei macht deutlich, was innerhalb von acht Tagen Streik passiert ist. Eine Redaktion, die sich vorher nie an Auseinandersetzungen beteiligte, hat sich im Schulterschluss mit den Kollegen aus Zeitungsdruck und Weiterverarbeitung ihre Tarifverträge gesichert und gleichzeitig im Zeitraffertempo zu neuem Selbstbewusstsein gefunden. Dass dies gelingt, hat vorher kaum jemand geglaubt; weder Betriebsrat noch Gewerkschaft noch die „Blaumänner“ aus dem Druckzentrum, die nie in ihrem streikbewegten Arbeitsleben einen Redakteur vor dem Tor gesehen hatten. Und am allerwenigsten wohl Geschäftsführung und Chefredaktion. Sie waren überzeugt, ihre Zusicherung, „keinem soll es ohne Tarif schlechter gehen als bisher“, würde ausreichen, jeden Kampfesmut im Keim zu ersticken.
Die jetzt erreichte Tarifbindung ist mehr als nur ein Erfolg für die Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt. Es ist weit darüber hinaus ein Signal gegen die Tarifflucht. Das zeigen die Glückwünsche aus allen Teilen der Republik. Jetzt gilt es, auch in weiteren tarifflüchtigen Verlagen die Weichen für eine Rückkehr zum Tarif zu stellen.
Dass die Forderung nach einem gemeinsamen Betriebsrat nicht durchgesetzt werden konnte, ist schmerzlich. „Eine Belegschaft, ein Betriebsrat, ein Tarif“ war der Schlachtruf der Streikenden. Nun wird es drei Betriebsräte für Verlag, Holding und Druckerei geben. Aber die Hoffnung der Verlagsmanager nach einem handzahmen Betriebsrat wird sich wohl nicht erfüllen. Wie oft in Streiks zeigten Kolleginnen und Kollegen Engagement, die vorher niemand auf der Rechnung hatte. Sie werden hoffentlich auch im neuen Betriebsrat zu finden sein.
Die Auseinandersetzung bei der Societäts-Druckerei kann durchaus als Blaupause für die Tarifrunden der Redakteurinnen und Redakteure und der Druckindustrie verstanden werden. Ein gemeinsamer Streik von Redaktion und Druck zeigt Wirkung: Eine Woche lang konnte die FNP nur als Notausgabe erscheinen und bat ihre Leser täglich auf Seite eins „abermals um Entschuldigung“ für das dürftige Produkt. Wenn das 2011 auf vielen Zeitungstiteln steht, muss uns um den Erhalt unserer Tarife nicht bange sein.