Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender: Für einen guten Tarifabschluss in den Redaktionen kämpfen
Das Jahr 2008 bringt eine neue Tarifrunde für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitungen und Zeitschriften. Stattfinden wird sie vor dem Hintergrund einer veränderten Tariflandschaft. Immer mehr Verlage üben sich in Tarifflucht. Einige begeben sich in die sogenannte OT-Mitgliedschaft im Verlegerverband (OT bedeutet: ohne Tarifbindung). Redaktionen werden in nicht tarifgebundene Gesellschaften ausgelagert und der Einsatz von Leiharbeitern in Redaktionen nimmt stetig zu. Selbst Volontäre werden inzwischen in vielen Konzernen an den Schulen angestellt, anstatt in der Redaktion, um die Entgelte zu drücken.
M | Kann man angesichts dieser Verlegerhaltungen noch von einer funktionierenden Tarifpartnerschaft sprechen?
FRANK WERNEKE | Eindeutig: Nein. Und das vor dem Hintergrund, dass sich die wirtschaftliche Lage der Zeitungsverlage, soweit es bei einzelnen Probleme gab, deutlich gebessert hat, die Krise ist überwunden und die meisten Häuser verdienen prächtig. Dennoch bin ich sicher, den Redakteurinnen und Redakteuren wird in der bevorstehenden Tarifrunde im nächsten Jahr nichts geschenkt. Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was uns erwarten könnte, gaben die Tarifverhandlungen für die Zeitungsverlagsangestellten im Sommer 2007. Da versuchten die Zeitungsverleger, für die Verlagsangestellten schlechtere Gehaltsbedingungen durchzusetzen, so wie für die Beschäftigten der Zeitungstechnik beim Tarifabschluss für die Druckindustrie. Und das, obwohl es den Zeitungsverlagen im Schnitt deutlich besser geht, als der Druckindustrie insgesamt. Und wenn es in der Vergangenheit so etwas wie eine besondere Rücksichtnahme gegenüber Redakteurinnen und Redakteuren in der Tarifpolitik gegeben haben sollte, so ist es damit offenkundig jetzt vorbei. Von daher ist meine Prognose, dass es nur dann zu einem befriedigenden Tarifabschluss im nächsten Jahr kommen wird – und damit meine ich vor allem Gehaltserhöhungen, die deutlich über der Preissteigerungsrate und auf dem Niveau der Tarifabschlüsse vieler anderer Branchen in diesen Tagen liegen – wenn es bei den Betroffenen, den Redakteurinnen und Redakteuren in den Tageszeitungen und den Zeitschriften, auch die Bereitschaft gibt, notfalls einen Konflikt auszuhalten. Wenn von vornherein die Möglichkeit eines Streiks ausgeschlossen ist, bleibt für uns als Gewerkschaft nur übrig, „Kuscheltarifverhandlungen“ zu führen. Und diese Strategie wird mit Sicherheit nicht zum Erfolg führen.
Für die dju in ver.di kann ich auf jeden Fall sagen, dass wir umfassend dazu in der Lage sind, nötigenfalls konfliktorientierte Tarifverhandlungen zu führen, d.h. auch Arbeitskämpfe zu organisieren und zu finanzieren. Aber das alles geht selbstverständlich nur, wenn es auch eine ausreichende Unterstützung für einen solchen tarifpolitischen Kurs aus den Redaktionen heraus gibt.
M | Die Auswüchse auf dem Feld der Tarifverträge sind ja mitunter kaum noch nachzuvollziehen. So hat der rheinland-pfälzische DJV im Sommer dieses Jahres für die Redakteurinnen und Redakteure der Ludwigshafener Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ einen Vertrag abgeschlossen, der sich an den Groß- und Außenhandelstarif Pfalz anlehnt. Sind damit nicht jegliche Schleusen für tarifvertraglichen Wildwuchs geöffnet worden?
WERNEKE | Ich hoffe nicht! Ich gehe davon aus, dass dieser Haustarifvertrag ein einmaliger Ausrutscher ist. Dieser konkrete Vertrag bei der Rhein-Pfalz enthält Übergangsregelungen in Form von teilweiser Besitzstandwahrung. Grundsätzlich wird darin jedoch ein Tarifniveau beschrieben, das sich vom Flächentarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure abwendet. Das ist ein Tarifvertrag, den die dju und ver.di eindeutig so nicht unterschrieben hätten. Es ist der falsche Weg auf die Versuche der Verleger das journalistische Berufsbild zu entleeren, etwa durch den Einsatz von Leiharbeit in den Redaktionen oder durch Ausgliederung von Redaktionen in tariffreie Räume, mit der Absenkung von Tarifverträgen durch uns zu reagieren. Das wird den Hunger, den es bei einigen Verlegern offensichtlich gibt, nicht stillen, stattdessen anderswo aber Appetit wecken.
M | Die dju in der Fachgruppe Medien und ver.di haben sich auf dem Bundeskongress vehement gegen Leiharbeit in allen Bereichen ausgesprochen. Reicht es, dafür zu streiten, dass die 2004 aufgehobene Befristung für Arbeitsnehmerüberlassungen wieder rückgängig gemacht wird?
WERNEKE | Nein, unsere Forderung ist weitergehend und es ist eine Position, die ver.di insgesamt auf dem Bundeskongress eingenommen hat. Wir fordern, wenn Leiharbeit, egal ob in Redaktionen oder in anderen Betrieben, zum Einsatz kommt, „Equal Pay“ dem ersten Tag. Mit der Position schließen wir Leiharbeit nicht grundsätzlich aus, aber sie darf nirgendwo zu schlechteren Arbeitsbedingungen führen, als bei den regulär Beschäftigten. Dennoch ein besonderer Hinweis für die Leiharbeit im Bereich des Journalismus: Anders als in Produktionen mit schwankenden Auftragslagen, wo vielleicht der Einsatz von Leiharbeit gelegentlich notwendig sein kann, dient Leiharbeit in Redaktionen einzig und allein dem Ziel der Lohndrückerei. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn unsere Forderung nach „Equal Pay“ erfüllt wird, entfällt jede wirtschaftliche Sinnhaftigkeit für den Einsatz von Leiharbeit in Redaktionen oder auch in vergleichbaren Bereichen.
M | Welche Strategie verfolgt ver.di, um der Leiharbeit einen Riegel vorzuschieben?
WERNEKE | Wir haben dazu einen doppelten Ansatz: Einmal ist da natürlich in erster Linie die Bundesregierung als Gesetzgeber angesprochen. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, dass sich zwischenzeitlich sowohl die Grünen als auch die SPD – zumindest was die Beschlusslage betrifft – besonnen haben und auf den unlängst jeweils stattgefundenen Parteitagen, die Forderung von ver.di und den anderen DGB-Gewerkschaften nach „Equal Pay“ aufgegriffen haben. Wobei ich nicht verhehle, dass es gut gewesen wäre, wenn beide Parteien diese Position schon im Jahre 2004 eingenommen hätten, anstatt das Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung zu verschlechtern. Aber wir freuen uns über alle Verbündeten, auch die reuigen Sünder.
Die zweite für uns wichtige Ebene ist die europäische. Portugal will noch bis zum Ende seiner Ratspräsidentschaft in diesem Jahr die europäische Leiharbeit-Direktive auf den Weg bringen, die ebenfalls den Grundsatz von „Equal-Pay“ vorsieht. Diese wäre dann in nationales Recht umzusetzen. Und es gibt bereits jetzt schon eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten, wie die Niederlande oder Frankreich, in denen Beschäftigte in Leiharbeit nicht nur genau die gleichen Arbeits- und Entlohnungskonditionen haben müssen, wie Stammbelegschaften, sondern sogar noch einen Flexibilitätszuschlag beim Gehalt erhalten. Aber auch das wird nicht von allein seinen Lauf nehmen. Deshalb werden wir versuchen, sowohl auf die Bundesregierung als auch zusammen mit unseren europäischen Schwestergewerkschaften auf die jeweiligen anderen Regierungen Einfluss zu nehmen, damit eine solche verbindliche europäische Regelung möglichst bald geschaffen wird.
M | Es gibt ja auch die Diskussion um eine Sonderregelung für Redakteure bei der Leiharbeit. Was hältst Du davon?
WERNEKE | Das ist zu kurz gedacht: Der Missbrauch von Leiharbeit kann nur gemeinsam nicht nur für einzelne Berufsgruppen erfolgreich bekämpft werden, denn wir haben es hier mit wirklich mächtigen Gegnern zu tun. Leiharbeit ist eines der bevorzugten Instrumente. Und die verschiedenen Stimmen, die man z.B. aus der Unions-Fraktion in der aktuellen Diskussion gegen die Begrenzung von Leiharbeit hört, zeigen ja auch, wo deren politische Verbündete sind. Von daher sind Vorstellungen, die eher aus einer berufsverbandlichen Gedankenwelt kommen, die eine oder andere Berufsgruppe von der Qual der Leiharbeit auszuschließen, während andere Beschäftigtengruppen sie ertragen müssen, nicht nur unrealistisch, sondern auch politisch falsch. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine solche Ausnahmeregelung für Redakteurinnen und Redakteure im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, wäre es dann hinnehmbar, dass die ebenfalls in der Redaktion tätigen Verlagsangestellten Leiharbeit erdulden müssten?
M | Welche Forderungen wird die dju in den Verhandlungen um die Entlohnung von Redakteurinnen und Redakteuren anvisieren? Sind die Honorare für Freie mit im Blick?
WERNEKE | Ich fange mal mit der zweiten Frage an: Wir haben als dju in ver.di die gute Tradition, Honorare für Freie beginnend mit der Aufstellung unserer Tarifziele, dann aber auch in den Verhandlungen gleichzeitig anzusprechen. Isolierte Verhandlungen oder abgespaltene Forderungen für Freie bringen nichts. Über die Forderungsaufstellung selbst wird unsere Tarifkommission im nächsten Jahr entscheiden. Für mich besteht aber kein Zweifel daran, dass es angesichts der Tarifergebnisse der vergangenen Jahre, wo es leider nicht gelungen ist, die Preissteigerungsraten auszugleichen, notwendig ist, einen deutlichen Schritt zu machen. Aus meiner Sicht lohnt sich die Kraftanstrengung für einen Abschluss, der endlich wieder zu einem echten Gehaltsanstieg führt. Aber noch einmal: Das Ergebnis hängt dabei nicht von unseren schönen Augen am Verhandlungstisch oder unseren mehr oder minder geschmeidigen Argumenten ab, sondern vom Engagement und dem Kampfgeist der Betroffenen in den Redaktionen.
M | Der Gehaltstarifvertrag wird gekündigt. Aber auch der Manteltarifvertrag könnte noch von Arbeitgeberseite gekündigt werden. Was heißt das konkret für die nächste Tarifrunde?
WERNEKE | Ja, wir werden von unserer Seite aus den Gehaltstarifvertrag kündigen. Es bleibt abzuwarten, ob die Verleger den Manteltarifvertrag kündigen. Ich werbe allerdings für folgende Betrachtungsweise: Wir sollten nicht bereit sein, jeden x-beliebigen – also vermutlich schlechten – Gehaltsabschluss zu akzeptieren, nur aus Angst davor, dass die Arbeitgeber den Manteltarifvertrag kündigen. Wenn die Verleger einen solchen Kurs fahren sollten, dann wäre das eine klare Ansage. Dann würden wir auf dieser Grundlage in die Verhandlungen gehen und das natürlich mit der notwendigen Courage.