WDR-Mitarbeiter beschreiben Senderzukunft im „Print“-Plagiat
WDR-Mitarbeiter sorgen mit einer Satire-Ausgabe der Hauszeitschrift WDR Print für Furore. Im verblüffend echt gemachten Plagiat wird die Politik der Intendanz um Monika Piel einer sarkastisch verpackten Generalkritik unterzogen. Die Intendantin reagierte mit Humor.
Bisherige Leser von WDR Print dürften sich die Augen gerieben haben. Fast zeitgleich bekamen sie zwei höchst unterschiedliche Ausgaben der WDR-Hauszeitschrift in die Hände. Ungewöhnlich genug: Von der Frontseite des einen Exemplars grüßen die Sender-Maskottchen Maus und Elefant mit geballter Faust bzw. geballtem Rüssel. Unter der Überschrift „Auferstanden von den Quoten“ wird da die „Wende im WDR“ mitsamt einem „revolutionären“ neuen Programmschema für ARD und WDR angekündigt. Ein Schema, das es allerdings in sich hat: „Alle guten Sendungen beginnen künftig um 20:15 Uhr direkt nach der Tagesschau. Alle schlechten Sendungen werden auf Sendetermine nach 23:00 Uhr verschoben. Bisher war es leider genau umgekehrt.“
Nanu, so viel Selbstkritik war man bislang vom mächtigen WDR gar nicht gewöhnt. Beim zweiten Hinsehen entpuppt sich des Rätsels Lösung. Es handelt sich um ein Plagiat, mit dem rund 50 freie und festangestellte WDR-Mitarbeiter ihre Unzufriedenheit mit aktuellen Entwicklungen im Sender formuliert haben. Die „Zukunftsausgabe für gutes Programm“ – datiert auf November 2011 – umfasst 16 Seiten, entspricht somit der Stärke der regulären Ausgabe. An die 10.000 Exemplare der Freien Zeitung des Westdeutschen Rundfunks“ wurden gedruckt und in der Kölner WDR-Kantine sowie über den internen Postverteiler unter die Leute gebracht. Die Fachgruppe Medien des ver.di-Landesverbandes NRW steuerte nach Auskunft von ver.di-Fachsekretärin Jutta Klebon einen „guten Zuschuss“ zu den Druckkosten und etwas logistische Hilfe bei.
In einem ganzseitigen „Offenen Brief“ auf Seite 3 bedauert WDR-Intendantin Monika Piel in der gefakten Ausgabe die „Fehlentwicklungen der Vergangenheit“. „Allzu oft haben wir ein Denken in Marktanteilen … und ‚Effizienz’ … zur obersten Maxime unseres Handelns gemacht – und dabei die Programmqualität vernachlässigt“. Eine Fotomontage auf derselben Seite zeigt die Intendantin im Lederanzug als schussbereite Powerlady im Stil der TV-Kultfigur Emma Peel („Monika Peel kämpft für den WDR“). Angekündigt wird eine „Abkehr vom Irrweg der letzten Jahre“. Versprochen werden „mehr hochwertige Unterhaltung, drastisch weniger Coaching, Quiz- und Zoogeschichten“. Künftig werde man mit „Recherche, Hintergrund, Dokumentationen, Kultur“ das Profil schärfen. Finanziert werden soll diese Qualitätsoffensive durch Umschichtungen im WDR-Haushalt. „Mit dem Wechsel von Harald Schmidt zu Sat.1 sind bekanntlich erhebliche Summen freigeworden“, legen die Plagiatoren WDR-Verwaltungsdirektor Hans W. Färber in den Mund. Auch aus dem Wechsel von Günther Jauch zur ARD wird demnach nichts („gescheitert an seinen völlig überzogenen Geldforderungen“). Die auf diese Weise gewonnenen Ressourcen werden im Rahmen einer aus gewerkschaftlicher Sicht vorbildlichen Tarifpolitik neu verteilt. Vor allem bei den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe es reichlich Korrekturbedarf. Denn „nach immer neuen Sparrunden und Arbeitsverdichtungen“, so kritisieren die Plagiatoren, „arbeiten qualifizierte Journalisten inzwischen für weniger als 10 Euro pro Stunde für Europas größten öffentlich-rechtlichen Sender“. In seinem 1,35 Milliarden Euro-Etat habe der WDR gerade mal 80 Millionen für die freien Mitarbeiter übrig, die den Großteil der Inhalte lieferten. WDR-Pensionäre und Starmoderatoren gründen zudem den „Ernst-Hubert-Solidaritätsfonds“, der Geld für freie Mitarbeiter des Senders sammelt.
Einen beträchtlichen Reformstau diagnostizieren die Plagiatoren auch bei den Kontrollinstanzen und den internen Senderstrukturen. Der mit Akzeptanzproblemen kämpfende Rundfunkrat („Warum sollten … ausgerechnet die Politiker den Rundfunk kontrollieren?“) löst sich daher selbst auf und wird durch ein Zuschauer- und Zuhörerparlament ersetzt.
Auch personell hagelt es Überraschungen. WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn darf sich künftig im (fiktiven) Landesstudio Solingen bewähren. Talkveteranin und Schnellsprecherin Margarethe Schreinemakers kehrt mit einem „revolutionär neuen Format“ zu ihrem einstigen Haussender zurück – der „All-in-One“-Sendung „Ein Aufwasch“, in der sie kocht, Quizfragen stellt, Produkte testet, Heimatlieder singt, und „durch reizvolle Landschaften in NRW“ fährt. Das „alles in nur 45 Minuten“, was laut TV-Direktorin Verena Kulenkampff dem WDR-Fernsehen pro Woche vier Hauptabendtermine freischaufelt – Sendeplätze, auf denen „endlich ein gutes Programm“ gemacht werden könne.
Der Coup der WDR-Print-„Untergrundredaktion“ fand ein enormes Medienecho. „Rebellion der Redakteure“ titelte der Kölner Stadtanzeiger, „Maus mit Faust“ die Süddeutsche. Selbst Bild Köln („Mitarbeiter verulken mächtige WDR-Chefin“) kam an der Story nicht vorbei.
Die Reaktion der WDR-Intendanz auf das Plagiat fiel humorvoll aus. Die Ausgabe sei „witzig und phantasievoll gemacht, mit gelungenen Pointen und einem Layout von hoher Professionalität“, kommentierte Monika Piel im Intranet. Einmal mehr ein „klarer Beleg dafür, dass der WDR eine Menge kluger Köpfe hat“. Zugleich bat sie um Verständnis dafür, dass sie „an dem einen oder anderen Punkt – offen gestanden sogar an ziemlich vielen Punkten – inhaltlich eine andere Auffassung habe“. Die Diskussion über die „Wende im WDR“ geht weiter. Für den 8. Dezember, so meldet das Freien-Portal www.freienseiten.de, habe die Intendantin zu einem (von der WDR-Aktionsgruppe lange geplanten) „Get together“ ins Kölner DGB-Haus geladen. „Wir hoffen auf regen Besuch“, heißt es da augenzwinkernd, „selbst für den Fall, dass Frau Piel es sich anders überlegt“.