Protest: Geduld der RBB-Freien am Ende  

Warnstreik beim RBB am 5. Mai 2022. Kundgebung vor dem Berliner Fernsehzentrum. Foto: Christian von Polentz

„Gutes Programm braucht gute Arbeitsbedingungen! – Bloß nicht kaputtsparen!“ Unter diesem kämpferischen Slogan protestierten am 1. Mai vor dem RBB-Fernsehzentrum mehr als 200 freie und feste Mitarbeiter*innen des Rundfunk Berlin-Brandenburg. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen um einen Bestands-TV für Freie und Klagen über massive Arbeitsverdichtung ist die Geduld der Beschäftigten offenbar am Ende. Warnstreik am 5. Mai. (aktualisiert 16:58 Uhr)

Thomas Klatt, freier Autor und Vorstandsmitglied im ver.di-Senderverband beim RBB, malte ein düsteres Bild der aktuellen Stimmung im Sender. Noch immer gebe es keinen Bestandsschutz für alle Freien. Nach der erfolgreichen Osteraktion, bei der 370 Freie gemeinsam „Urlaub“ gemacht hatten, habe die Unzufriedenheit vieler Kolleg*innen weiter zugenommen. In einem Brandbrief an die Geschäftsleitung hätten sich kürzlich 135 „Digitale“ über schlechte Arbeitsbedingungen, mangelnde Wertschätzung und fehlende berufliche Perspektiven beklagt. Auch die freien Autoren und Regisseurinnen hätten unlängst in Offenen Briefen an die ARD appelliert, ihnen nicht die Arbeitsgrundlage zu entziehen. Sie gehörten zu den „am schlechtesten Bezahlten in der ARD“ und sähen sich durch die Sparmaßnahmen der Sender „in ihrer Existenz bedroht“.

ver.di-Landesbezirksleiter Berlin-Brandenburg Frank Wolf sagte, die bedrückenden Bilder aus der Ukraine und Russland zeigten einmal mehr, „wie wichtig unabhängiger Journalismus ist“. Die Arbeit der Medien sei eine entscheidende Grundlage für unsere Gesellschaft und für eine funktionierende Demokratie“. Gerade deswegen sei es wichtig, „das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem zu pflegen und zu unterhalten“. Auch RBB-Intendantin Patrizia Schlesinger müsse einsehen, dass der Sender faire Arbeitsbedingungen und angemessene Einkommen bieten müsse. Es gebe im Hause eine „massiv steigende Arbeitsbelastung“, was auf Kosten von Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Programmqualität gehe. Stattdessen würden immer mehr Führungspositionen geschaffen und viel Geld in Großprojekte wie das digitale Medienhaus gepumpt. „Die vorhandenen Mittel müssen im Sinne der Beitragszahler eingesetzt werden, im Interesse von Qualitätsjournalismus und guten Arbeitsbedingungen für alle“, forderte Wolf. Dazu gehöre „tariflicher Schutz für alle Freien sowie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – für Feste und Freie“.

Protestkundgebung von freien Mitarbeiter*innen des RBB am 1. Mai gegen Kürzungsmaßnahmen und für bessere tarifliche Regeln vor dem Fernsehzentrum in Berlin Foto: Christian von Polentz

Kreativität leidet bei zunehmender Arbeitsverdichtung

Silvia Wassermann vom Redaktionsausschuss monierte die zunehmende Arbeitsverdichtung im RBB. „Wo die Zeit für Reflexion unter den Kolleg*innen fehle, bleibt die Kreativität auf der Strecke“. Parallel zur Corona-Pandemie treibe der RBB mit seinem Crossmedialen Newscenter CNC eine große Strukturreform voran. Das Beispiel der Einstellung von „ZIBB“ sei ein Signal, dass der Sender viele Freie nicht unbedingt mitnehmen wolle. Vor diesem Hintergrund unterstütze der Redaktionsausschuss den Kampf der Freien um einen Bestandsschutz. Da werden Feste gegen Freie ausgespielt, Digitale gegen Lineare – das bringt nur noch mehr Stress für alle“, so Wassermann. Sie forderte die RBB-Geschäftsleitung auf, diese Probleme zu lösen und für Entlastung zu sorgen. Nur so könne die Programmqualität erhalten bleiben.

Attila Weidemann, einst „Rasender Reporter“ bei Brandenburg Aktuell, nannte es „ein Trauerspiel“, dass das RBB-TV-Programm seit kurzem auf den letzten Platz im ARD-Ranking gefallen ist. Man müsse fragen, „warum uns das Publikum wegbricht“.  Er macht „extreme Sparmaßnahmen“ selbst bei erfolgreichen Sendeformaten dafür verantwortlich. Sogar langjährig beschäftigte verdiente Kolleg*innen würden gelegentlich kurz vor der Rente“ in die Arbeitslosigkeit geschickt“. Als Beispiel nannte er einen Tontechniker, der seit 1994 im Studio Frankfurt/Oder tätig sei und nun über eine Tochterfirma des RBB ausgemustert werden solle.

Ohne freie Kolleg*innen gäbe es im RBB „kaum Hörfunkbeiträge, so gut wie keinen Fernsehbeitrag oder Online-Artikel, von Social Media ganz zu schweigen“, konstatierte Cornelia Koch, CvD von Brandenburg Aktuell. Vor diesem Hintergrund sei es frustrierend, dass mehr und mehr Freie zu anderen Sendern abwanderten, „wo ihnen bessere Arbeitsbedingungen, mehr Sicherheit und mehr Perspektiven geboten“ würden. Der RBB berichte permanent über Fachkräftemangel, aber die Geschäftsleitung „tut immer noch so, als sei das für den Sender kein Problem“.

Fragwürdige Innovationen

Modernisierung dürfe „immer nur Mittel zum Zweck sein, nicht der Zweck an sich“, sagte Koch. Am sogenannten „Tempo-Desk“ im neuen CNC klagten die Kolleg*innen über ständige Veränderungen des Workflows, unklare Zuständigkeiten und zunehmende Arbeitsverdichtung. Brauche man wirklich „Wellness-Oasen mit Spinning Rädern oder Designerlampen“, wie sie der RBB in der 7. Etage einrichte? Eine fragwürdige Innovation, wenn „gleichzeitig effektive, funktionierende Redaktionsteams wie die der Abendschau oder Brandenburg Aktuell auseinandergerissen werden“. Das 2016 bei Amtsantritt von Intendantin Schlesinger formuliere Ziel, „Qualität und Quote besser zusammenzubringen“, werde so jedenfalls verfehlt. Bewährte Vorabendsendungen wie „rbb UM6“ und „ZIBB“ seien durch kostengünstigere Service- und Talk-Formate ersetzt worden. Ergebnis: „Die Quoten gehen in den Keller.“

Abendschau-Reporterin Sabrina Wendling verglich ihr Arbeitsverhältnis im RBB mit einer „langen Beziehung“, in der ihr Partner „unglaubliche Bindungsängste hat und der sich einfach nicht auf mich festlegen will“. Das „Frustlevel“, das ihr auf allen Ebenen entgegenschlage, sei für sie „neu und total bedenklich“. Das gelte vor allem für die Arbeit Im neu eingerichteten CNC. „Wir wollen eine ernstgemeinte Bereitschaft, da zurückzurudern, wo es nicht so gut läuft, wo vieles kontraproduktiv ist und doppelte Arbeit macht“, forderte Wendling. Sie erwarte eine „echte Fehlerkultur und ernsthafte Dialogbereitschaft bei allen Beteiligten, dann profitieren wir davon, aber auch der RBB“.

Warum keine gleichen Regeln für Freie wie für Feste?

Hilde Van Poucke vom „rbb24 Inforadio“ arbeitete nach ihren beruflichen Anfängen 1998 als „quereinsteigende Praktikantin“ SFB-radiomultikulti als Pauschalistin. Multikulti ist längst eingestellt, aber, „seit 1998 richten sich mein Alltag und meine Planung nach Dienstplänen vom SFB bzw. vom RBB“, bilanzierte sie.  Zwar habe sich seitdem einiges verbessert, etwa durch die Abschaffung der mit der „Prognose“ einhergehenden Zwangspause. „Wir lieben das warum“? Van Poucke nahm den Slogan von Inforadio wörtlich: Warum, so fragt sie, gibt es für Freie nicht die gleichen Regeln wie für Feste? Warum keine gleiche Bezahlung für gleich Arbeit? Und: „Warum wird das knappe Geld für einen neuen Bau (das „Digitale Medienhaus“, G.H.) verwendet und nicht für das Programm und die Menschen, die es machen?“

Tomas Fitzel berichtete über die Ausdünnung der Kreativen beim RBB Kulturradio. In der Amtszeit von Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus habe sich die Anzahl der Autor*innen etwa halbiert. Unter diesen Umständen sei es zynisch, wenn die Geschäftsleitung als Argument gegen einen Bestandsschutz-Tarifvertrag den vermeintlichen Wunsch nach „Erhalt der Programmvielfalt“ vorbringe. Dieser Tarifvertrag sei aber nötig für eine an den Interessen der Freien orientierte Neudefinition ihrer Arbeitsbeziehung mit dem RBB.

Freie gehören in den Personalrat

Lisa Steger, als Reporterin und Redakteurin überwiegend für Antenne Brandenburg tätig, nahm das Thema Frauenförderung im RBB kritisch unter die Lupe. Zwar lobe sich der Sender selbst für seinen Einsatz für „diskriminierungsfreie Sprache“, einen ARD-Spitzenplatz in Sachen Frauenförderung, etc. Was die freien Mitarbeiterinnen angeht, so strebe der RBB jedoch „eine Regelung an, die geeignet ist, sehr viele Frauen aus dem Sender zu drängen“. Das ohnehin unbefriedigende Angebot des Senders für einen Bestandsschutz-TV für Freie sehe eine Mindestbeschäftigungsdauer von 20 Jahren vor, und zwar ohne Unterbrechungen. Für Frauen (oder auch Männer), die Erziehungszeiten einlegten, fange nach bisherigen RBB-Vorstellungen das Arbeitsverhältnis danach wieder bei Null an – „ganz so, als wäre die betreffende freie Mitarbeiterin eine Berufsanfängerin“. „Nach außen geriere sich der RBB „mit großer Geste frauen- und familienfreundlich.“ Intern werde jedoch an einer Regelung gearbeitet, die freiberuflich arbeitende Frauen „gezielt benachteiligt“.  Steger forderte eine Vertretung von Freien im RBB-Personalrat, wie es etwa der WDR und der HR bereits praktizieren. Und zwar „nicht mit ein oder zwei Alibi-Posten, sondern entsprechend dem Anteil an der Belegschaft“.

Zum Ausklang kritisierte ver.di-Verhandlungsführerin Marika Kavouras die Blockadepolitik der RBB-Geschäftsleitung bei den Verhandlungen um Bestandschutz-TV für Freie. „Der RBB  hat sich überschlagen mit Vorschlägen, die von absurd bis unannehmbar waren“, sagte die Kamerafrau. Nach sechs ergebnislosen Gesprächsrunden habe man die Verhandlungen daher für gescheitert erklärt. Als nächster Schritt werde die Möglichkeit von Warnstreiks erwogen. „Warnstreik heißt: Nicht nur die Freien, auch die Festen können sich solidarisieren.“ Wie es aussieht, steht dem RBB ein heißer Sommer bevor.


Aktualisiert am 5. Mai 2022

Erfolgreicher Warnstreik beim RBB

Mehr als 150 freie Mitarbeitende des Rundfunks Berlin Brandenburg haben am 5. Mai sowohl an der Berliner Masurenallee als auch an den Brandenburger Standorten ab 5.30 Uhr die Arbeit niedergelegt. ver.di hatte die Freien zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Außerdem hat ver.di die festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – insbesondere in Redaktionen wie Berliner Abendschau, Inforadio, Brandenburg Aktuell, Landespolitik sowie der Grafikabteilung zum Solidaritätsstreik aufgefordert. Es kam zu Programmeinschränkungen im Hörfunk und Fernsehen.

Bei Kulturradio wurde ein Notprogramm mit Sendungen aus der Konserve gefahren. Freie Kolleg*innen der Berliner Abendschau und von Brandenburg aktuell sind geschlossen nicht zur Arbeit erschienen. Die Tagesschau App meldet Programmeinschränkungen beim RBB. Ab 14 Uhr waren Feste im Solidaritätsstreik. „Heute im Parlament“ musste ausgefallen. Es gab ein Sonderprogramm bei rbbKultur und Programmeinschränkungen bei rbb24 Inforadio. „Studio 3 Babelsberg“ fällt aus. In Berlin und Potsdam kamen rund 400 Feste und Freie zu Kundgebungen. Die Gewerkschaften warten auf ein neues Angebot der Geschäftsleitung, um wieder verhandeln zu können. (Red.)

 

 

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