Redakteure auf der Straße

Warnstreiks gegen massiven Tarifabbau in Zeitungshäusern

Ergebnislos blieb auch die vierte Verhandlungsrunde für die bundesweit 14.000 Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen am 4. Mai in Dortmund. Aber mit der Ruhe in den Redaktionen ist es vorbei! Mit Warnstreiks und Demonstrationen machten rund 1.500 Redakteur/innen aus Tageszeitungen – teilweise mit Unterstützung von Verlagen und Druckereien – in Rostock, Hamburg, Bremen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg klar, dass sie weitere Absenkungen im Flächentarifvertrag und bei den Einkommen nicht hinnehmen werden.


Die Süddeutsche Zeitung erschien am 4. Mai mit einem reduzierten Lokalteil. Auch die Frankfurter Rundschau kam mit einem geringeren Umfang und „nicht überall in der gewohnten Aktualität“ heraus, hieß es in eigener Sache. In Dortmund zogen etwa 200 Beschäftigte vor allem der WAZ-Mediengruppe zum Verhandlungsort. Sturheit von Seiten der Verleger, die bei ihren noch nie da gewesenen massiven Kürzungsforderungen blieben, und dazu ein konsequentes Nein von ver.di bestimmten die Atmosphäre dieser Runde. Das unverschämte Verlangen der Arbeitgeber richtet sich auf weniger Urlaubsgeld, längere Arbeitszeiten und der Gipfel: Ein Tarifwerk 2, mit 25 Prozent weniger Einkommen für Berufseinsteiger. In zehn Jahren kämen rund 100.000 Euro weniger pro Redakteurin oder Redakteur zusammen.
Nicht nur Jungredakteure würden darunter fallen, sondern alle Beschäftigten, die den Arbeitgeber wechseln oder in eine andere Gesellschaft ausgelagert werden. „Skandalös ist ebenfalls, dass die notwendigen Tariferhöhungen verweigert werden“, erklärte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Verhandlungsführer Frank Werneke. ver.di fordert 4 Prozent mehr Gehalt und Honorar. „Die Kolleginnen und Kollegen werden durch die Verleger in ihrer beruflichen Wertschätzung angegriffen, wenn sie den Tarif massiv absenken wollen. Auf diese Weise provozierten sie „einen ausdauernden Arbeitskampf in Zeitungsverlagen“, sagte Werneke.
Bereits Ende März und im April gab es einen Vorgeschmack auf heftige Gegenwehr. Redakteurinnen und Redakteure machten mit vielfältigen Aktionen klar, dass ihr Vertrauen in die Verlegerseite nachhaltig erschüttert ist. Schließlich haben tarifliche Zugeständnisse außer Reallohnverlusten für die Redakteure nichts gebracht: keine Arbeitsplatzsicherheit, keine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung, keine Aufwertung der Arbeit. Und mit Leiharbeit, Tarifflucht und Auslagerungen verfolgen die Verleger nur das Ziel, die Kosten für die Redaktionen zu drücken. „Das wollen sie sich von den Gewerkschaften durch den Tarifvertrag2 jetzt auch noch absegnen lassen“, ist dju-Vorsitzender Ulrich Janßen empört.
„Arbeitgeber wollen doch nur unser Bestes – Unser Geld!“ Mit diesem Satz machten Beschäftigte vom Freien Wort in Suhl ihrem Unmut Luft. Sie schrieben ihn auf Papp-Eier, mit denen sie zu Ostern nach einer Betriebsversammlung das Foyer der Suhler Verlaggesellschaft schmückten. In Ostwestfalen-Lippe musste sich die Geschäftsleitung des Mindener Tageblatt den kreativen Protest von empörten Redakteuren ansehen: Gegenüber vom Verlagsgebäude hatten Beschäftigte aus dem eigenen Haus, aber auch vom Haller Kreisblatt sowie der Neuen Westfälischen eine Plakatwand selbst gestaltet. Sie griffen zu Stift und Farbtopf, zeichneten einen angedeuteten Leser mit einer aufgeschlagenen Zeitung und verzierten sie mit der Schlagzeile „Die Verleger trauen sich was: 25 Prozent weniger Gehalt für Redakteurinnen und Redakteure, das motiviert – zum Streik!“. Die Plakatwand wurde für einige Wochen gemietet, damit der Arbeitgeber noch Zeit zum Betrachten und Nachdenken hat.
Die Beschäftigten der Neuen Westfälischen beteiligten sich auch am 11. April an der Feier, die anlässlich des 200. Jubiläums des Blattes stattfand. Sie waren nicht eingeladen, dafür aber viele Prominente. Die Gäste wurden von rund 100 Redakteurinnen und Redakteuren und Kollegen der Druckvorstufe empfangen, die ihnen entgegenhielten „Sekt für Euch – Minus 25 Prozent für uns“. An diesem Tag waren auch Beschäftigte vom Westfalen-Blatt, Die Glocke, Haller Kreisblatt, Lippische Landeszeitung und Mindener Tageblatt in den Warnstreik getreten und mit Bussen nach Bielefeld gefahren. Sie nutzten dort die Chance, um auch die Politik über die Forderungen der Verleger zu informieren. Bundespräsident Christian Wulff nahm einen Protestbrief der Streikenden entgegen, betonte aber, dass er sich in seinem Amt nicht in laufende Tarifverhandlungen einmischen dürfe. Er ging jedoch in seiner Rede auf den Wert von Qualitätsjournalismus ein: „Regionalzeitungen wie die Neue Westfälische geben dem Diskurs vor Ort eine Plattform. Sie leisten einen Beitrag zur Meinungsvielfalt. Sie stellen Öffentlichkeit und Transparenz her.“ NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft begrüßte etliche der Protestierenden persönlich. Als Ministerpräsidentin dürfe auch sie sich nicht in die Tarifrunde einmischen. Aber als stellvertretende Vorsitzende im SPD-Parteivorstand habe sie ganz andere Möglichkeiten. Die Neue Westfälische gehört mehrheitlich der Presse-Druck GmbH, einer 100-prozentigen Tochter der dd_vg, der SPD-Medienholding, in deren Aufsichtsrat Hannelore Kraft sitzt. „Das waren sehr positive Signale aus der Politik“, stellte Frank Biermann, Mitglied im Vorstand der dju-NRW fest. „Wir werden zu gegebener Zeit besonders die Ministerpräsidentin an ihr Versprechen erinnern, dies auch in der SPD zu thematisieren.“
Die dd_vg ist auch mit 23,1 Prozent an der Verlagsgesellschaft Madsack beteiligt. Dort versammelten sich am 8. April rund 90 Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Abteilungen des Pressehauses (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Hallo Sonntag, Hallo Wochenblatt) in Hannover-Kirchrode zwischen 12 und 13 Uhr zu einer kreativen Mittagspause an der Gulaschkanone bei Erbensuppe. Eingeladen hatte die verdi-Betriebsgruppe, die ab 7.30 Uhr vor und in dem Pressehaus Gutscheine „für eine gemeinsame Stärkung heute vor dem Tor“ verteilt hatte. Bereits in den Wochen zuvor wurde mit Flugblattaktionen über die Haltung der Verleger in der Tarifrunde informiert. Während der kreativen Mittagspause wiesen Sprecher der Betriebsgruppe auf die historische Chance hin, dass Beschäftigte aus allen drei Tarifbereichen (Verlag, Technik und Redaktion – hier sind nahezu alle Tarifverträge derzeit offen) gleichzeitig und gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können. Sie betonten, dass die Forderungen der Verleger völlig inakzeptabel sind. Entgegen der Behauptungen der Verleger sei genügend Geld da, das gemeinsam von allen verdient werde. An den Protesten in der folgenden Woche unter dem Motto „Wie buchstabiert man Wert und Würde“ – ebenfalls zur Mittagszeit – beteiligten sich noch mehr Beschäftigte. An diesem Tag fand die erste Verhandlung für die Druckindustrie statt, die ergebnislos blieb. Auch hier fordern die Arbeitgeber, dass Tarifleistungen gekürzt werden – häufig sind es die gleichen Arbeitgeber wie bei den Redakteuren, da vielen Verlegern die Druckmaschinen gehören. ver.di-Gewerkschaftssekretärin Brigitte Rode rief dazu auf, dass sich Beschäftigte aus den Redaktionen, der Druckerei und dem Verlag gemeinsam wehren. An die Adresse des Arbeitgebers kündigte die ver.di-Betriebsgruppe an, dass es bei Madsack künftig öfter heißen wird: „Wir machen dann mal Pause …“.
Zu den schwarzen Schafen der Branche gehört auch die Südwest Presse. Nach einer dju-Tarifkonferenz am 11.April zogen die Teilnehmer vor das Verlagsgebäude im Ulm.
„Was? Geht das mit den Kürzungen jetzt auch schon bei den Zeitungen los?“ Ziemlich fassungslos reagierte eine Passantin und Zeitungsleserin vor der Nürnberger Lorenzkirche, als eine Journalistin sie über die Tarif-„Wünsche“ der Verleger aufklärte. In Bayern waren am 14. April 13 Tageszeitungen von Warnstreiks betroffen. Allein nach Nürnberg zur zentralen Kundgebung kamen rund 300 Redakteurinnen und Redakteure von zehn Verlagen. In ganz Bayern waren mehr als 500 Beschäftigte im Ausstand. Die Nürnberger Fußgängerzone war am 14. April das Zentrum des Protests gegen das aberwitzige Forderungspaket der Verleger. Den weitesten Weg hatten Beschäftigte von der tz München, vom Münchner Merkur, von der Augsburger Allgemeinen und von der Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg. An der Kundgebung beteiligten sich auch Streikende von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, Neuer Tag Weiden, Amberger Zeitung, Fränkische Landeszeitung Ansbach und Nordbayerischer Kurier Bayreuth. Bestreikt wurden auch das Rosenheimer Volksblatt, die Allgäuer Zeitung im Kempten und das Main-Echo Aschaffenburg. Zum Warnstreik hatten die dju in ver.di und der Bayerische Journalistenverband aufgerufen. In einem Grußwort stellte der mittelfränkische DGB-Vorsitzende Stephan Doll die Frage, wie es den Zeitungsverlagen beim angestrebten künftigen Tarifniveau gelingen will, wirklich gute Köpfe für die Redaktionen zu gewinnen.

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