Redaktionelle Artikel zu Discounter-Preisen

Arbeiten für `n Appel und `n Ei für Redaktionen und Agenturen
Foto: 123rf

Erfahrungsbericht einer freiberuflichen Texterin

Die Social-Media-Anfragen bestimmen das Angebot: Immer mehr Marketing-Unternehmen und -Agenturen schreiben proaktiv freiberufliche Texter*innen und Redakteur*innen auf LinkedIn sowie Xing an und locken mit flexibler Arbeitszeiteinteilung, Homeoffice und anderen „Freiheiten“, um von ihrer Dumpingpreis-Wirtschaft abzulenken. Erst einmal Honig um den Texter-Mund schmieren, bevor es um die bittere Wahrheit der Entlohnung geht. Denn viele von ihnen wollen für redaktionelle Beiträge nur wenige Cents pro Wort zahlen.

Meiner Erfahrung nach zahlen Auftraggeber zwischen 3 bis 7 Cent pro Wort. Oder sie legen sogar feste – geringe – DINA4-Seitenpreise fest, während sie gleichzeitig exzellent recherchierte Inhalte und einen mitreißenden Schreibstil erwarten.

Erst kürzlich erreichte mich wieder die Anfrage eines sympathischen Recruiters über Xing, der auf der Suche nach Texter*innen für die Erstellung von interaktiven Broschüren war. Es gibt in dem internationalen Großunternehmen mit über 450 Mitarbeitern*innen wohl sehr viele davon zu betexten, weshalb sie an einer längerfristigen, freiberuflichen Zusammenarbeit interessiert sind – ein Traum für jede freiberufliche Texterin und Redakteurin wie mich, die erst am Anfang ihrer Solo-Selbstständigkeit steht. Dass sich da noch ein „Alp“ vor den Traum stellen würde, erwartete ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Zu groß war die Freude! Doch nach dem ersten Call war sie auch schon wieder verflogen. Mich rief eine Kollegin des Recruiters an, die mir die Bewerbungsvoraussetzungen für den Broschüren-Job schilderte. Und die hatten es in sich.

Maximale Anforderungen für minimale Honorare

Obwohl ich auf Xing ganz groß in meinem Profil stehen habe, dass ich freiberufliche SENIOR Copywriterin und Redakteurin bin, erklärte mir die Personalerin, dass ich zunächst einmal einen Copytest machen müsse, um am weiteren Bewerbungsprozess teilzunehmen – was eigentlich üblich für Praktikant*innen oder Junior*innen ist, die den Einstieg in die Branche suchen. Als ich jedoch erfuhr, wie dieser Copytest ablaufen soll, verschlug es mir endgültig die Sprache. Ein Projektleiter würde mich anrufen und ich solle ihn zu einem im Call spontan genannten Thema eine halbe Stunde interviewen. Danach hätte ich eine Stunde Zeit, um einen Artikel darüber zu verfassen. Der Gipfel der Unverschämtheit: alles unbezahlt! Würde sich das Unternehmen jedoch danach für mich entscheiden, gäbe es für eine 4-seitige Broschüre (das Minimalformat) 75 Euro, für einen 6-Seiter 120 Euro, für 8 Seiten 165 Euro, bis hin zum Broschüren-Maximalformat von 64 Seiten, welches mit 795 Euro vergütet wird – inklusive Recherche versteht sich!

Facebook-Gruppen für Freiberufler*innen

Aber auch in den beliebten Facebook-Gruppen für Freiberufler*innen verbreitet sich immer mehr der Trend, redaktionelle Beiträge nach Cents pro Wort zu vergüten. Kein Wunder, denn hier ist nun wirklich jeder Texter*in oder Redakteur*in, der es sein möchte. Hier bieten auch unausgebildete Unqualifizierte ihre Dienste an – und zwar zu Dumpingpreisen. Das zerstört auf Dauer den freien Markt der Branche. Daher mein Schluss-Appell an alle Autor*innen, Redakteur*innen und Texter*innen: Bitte verkauft euer Gedankengut nicht unter Wert und lehnt solche Angebote ab, solange ihr könnt.

 

 

 

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

Aktive Medien gegen Rechts

„Wie weiter?“ – unter dieser Fragestellung wollten am 7. Mai in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Journalist*innen über „Visionen für eine demokratische Medienlandschaft“ diskutieren. Den Rahmen bildete das Roman Brodmann Kolloquium zum Oberthema „Rechtsruck in Europa! Ohnmacht der Medien?“ Anstelle von überzeugenden Visionen spiegelte die Debatte eher die Ratlosigkeit der Demokraten angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus.
mehr »

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »

Berichten über die sozialen Folgen von KI

Soziale Ungleichheiten, Diskriminierungen und undemokratische Machtstrukturen: Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht, wie soziale Folgen von KI in den Medien verhandelt werden. Warum dies generell eher oberflächlich und stichwortartig geschieht, hängt auch damit zusammen, dass die Berichterstattung bei KI-Themen von Ereignissen und Akteuren aus Technologie-Unternehmen dominiert wird.
mehr »