Erfahrungsbericht einer freiberuflichen Texterin
Die Social-Media-Anfragen bestimmen das Angebot: Immer mehr Marketing-Unternehmen und -Agenturen schreiben proaktiv freiberufliche Texter*innen und Redakteur*innen auf LinkedIn sowie Xing an und locken mit flexibler Arbeitszeiteinteilung, Homeoffice und anderen „Freiheiten“, um von ihrer Dumpingpreis-Wirtschaft abzulenken. Erst einmal Honig um den Texter-Mund schmieren, bevor es um die bittere Wahrheit der Entlohnung geht. Denn viele von ihnen wollen für redaktionelle Beiträge nur wenige Cents pro Wort zahlen.
Meiner Erfahrung nach zahlen Auftraggeber zwischen 3 bis 7 Cent pro Wort. Oder sie legen sogar feste – geringe – DINA4-Seitenpreise fest, während sie gleichzeitig exzellent recherchierte Inhalte und einen mitreißenden Schreibstil erwarten.
Erst kürzlich erreichte mich wieder die Anfrage eines sympathischen Recruiters über Xing, der auf der Suche nach Texter*innen für die Erstellung von interaktiven Broschüren war. Es gibt in dem internationalen Großunternehmen mit über 450 Mitarbeitern*innen wohl sehr viele davon zu betexten, weshalb sie an einer längerfristigen, freiberuflichen Zusammenarbeit interessiert sind – ein Traum für jede freiberufliche Texterin und Redakteurin wie mich, die erst am Anfang ihrer Solo-Selbstständigkeit steht. Dass sich da noch ein „Alp“ vor den Traum stellen würde, erwartete ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Zu groß war die Freude! Doch nach dem ersten Call war sie auch schon wieder verflogen. Mich rief eine Kollegin des Recruiters an, die mir die Bewerbungsvoraussetzungen für den Broschüren-Job schilderte. Und die hatten es in sich.
Maximale Anforderungen für minimale Honorare
Obwohl ich auf Xing ganz groß in meinem Profil stehen habe, dass ich freiberufliche SENIOR Copywriterin und Redakteurin bin, erklärte mir die Personalerin, dass ich zunächst einmal einen Copytest machen müsse, um am weiteren Bewerbungsprozess teilzunehmen – was eigentlich üblich für Praktikant*innen oder Junior*innen ist, die den Einstieg in die Branche suchen. Als ich jedoch erfuhr, wie dieser Copytest ablaufen soll, verschlug es mir endgültig die Sprache. Ein Projektleiter würde mich anrufen und ich solle ihn zu einem im Call spontan genannten Thema eine halbe Stunde interviewen. Danach hätte ich eine Stunde Zeit, um einen Artikel darüber zu verfassen. Der Gipfel der Unverschämtheit: alles unbezahlt! Würde sich das Unternehmen jedoch danach für mich entscheiden, gäbe es für eine 4-seitige Broschüre (das Minimalformat) 75 Euro, für einen 6-Seiter 120 Euro, für 8 Seiten 165 Euro, bis hin zum Broschüren-Maximalformat von 64 Seiten, welches mit 795 Euro vergütet wird – inklusive Recherche versteht sich!
Facebook-Gruppen für Freiberufler*innen
Aber auch in den beliebten Facebook-Gruppen für Freiberufler*innen verbreitet sich immer mehr der Trend, redaktionelle Beiträge nach Cents pro Wort zu vergüten. Kein Wunder, denn hier ist nun wirklich jeder Texter*in oder Redakteur*in, der es sein möchte. Hier bieten auch unausgebildete Unqualifizierte ihre Dienste an – und zwar zu Dumpingpreisen. Das zerstört auf Dauer den freien Markt der Branche. Daher mein Schluss-Appell an alle Autor*innen, Redakteur*innen und Texter*innen: Bitte verkauft euer Gedankengut nicht unter Wert und lehnt solche Angebote ab, solange ihr könnt.