Seid umarmt, Verlage!

Wenn es um ein faires Miteinander im Internet geht, sorgt Google immer wieder für Negativschlagzeilen. Dem Suchmaschinenkonzern wird der Missbrauch seiner Marktmacht bei der Online-Suche vorgeworfen, ebenso wie die Verletzung des Urheberrechts. Sein schlechtes Image versucht der Internetriese nun mit einer Charmeoffensive an die Verlage aufzupolieren. Mit seiner „Digital News Initiative“ will Google Qualitätsjournalismus im Internet befördern. Und auch Facebook geht auf die Zeitungshäuser zu. Das Projekt „Instant Articles“ soll ihnen helfen, ihre Artikel online besser zu vermarkten. Beide Deals werfen vor allem eine Frage auf: Wie weit können die Verlage am Ende wirklich davon profitieren?

Foto: dieKLEINERT.de / Daniel Matzenbacher
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Daniel Matzenbacher

„Natürlich beschäftigt uns das“, versichert Richard Gingras, Chef von Google News, am 23. März dieses Jahres auf die Frage, ob sich Google Gedanken um die Zukunft des Qualitätsjournalismus mache. Denn, so die Begründung: „Der Wert unserer Arbeit ist abhängig von einem reichhaltigen Ökosystem an Informationen.“ An diesem Abend in der Google-Zentrale in Berlin wirkt die Antwort des 63jährigen Managers noch ziemlich kryptisch. Gut einen Monat später, am 28. April, sieht das schon anders aus. Da verkündet Google seine „Digital News Initiative“. Und die soll dem Qualitätsjournalismus im Internet auf die Beine helfen.

Millionen für den Qualitätsjournalismus

Der Plan: 150 Millionen Euro will Google im Rahmen der Initiative in einen Fonds für innovative Journalismus-Ideen stecken. Teil des Projekts – finanziell davon aber unabhängig – ist außerdem die Kooperation mit acht europäischen Zeitungshäusern. Zeit, FAZ, Financial Times, The Guardian, Les Echos, La Stampa, El País und die niederländische Mediengruppe NRC Media wollen gemeinsam mit Google digitale Produkte entwickeln und Journalisten weiterbilden. Mit dabei sind auch das European Journalism Centre und der Branchenverband International News Media Association.
Die Nachricht schlägt hohe Wellen. Sie teilt die Medienwelt in Gegner und Befürworter. Einerseits ist der Run auf das Bündnis groß. Schon am nächsten Tag melden sich weitere Redaktionen, die sich der Kooperation anschließen – etwa der SPIEGEL, die Süddeutsche Zeitung, Der Tagesspiegel oder die Neue Osnabrücker Zeitung. Sie sind nicht allein. Bis Anfang Juni habe es rund tausend Anfragen gegeben, ob man mitmachen könne, sagt Google-Sprecher Ralf Bremer. Auf der anderen Seite wird Kritik laut. Mehrere Milliarden Dollar investiert Google jährlich in Forschung und Entwicklung. 150 Millionen Euro seien dagegen „ein Witz“ poltert Ex-Pirat Christopher Lauer, seit April beim Springer-Verlag für strategische Innovationen zuständig. Und fordert Google auf, doch einfach das Leistungsschutzrecht zu akzeptieren.
Vor allem aber sorgen sich die Kritiker um die journalistische Unabhängigkeit, die sie mit dem Google-Deal bedroht sehen. Allein der Umstand, dass die Verlage überhaupt kooperieren, wirkt wie eine Kapitulation. „Es ist noch keine Woche her, da habe ich Verleger über Google stöhnen hören, dass sie ihnen das letzte Hemd vom Leib klauen und sich in diesen Medienmarkt reindrängen, in dem sie mit journalistischen Inhalten nicht präsent sind“, wundert sich Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di, als sie von der Initiative hört. Eine Zusammenarbeit mit Google bei der Entwicklung journalistischer Produkte mag sich die Gewerkschafterin gar nicht erst vorstellen. Für sie steht fest: „Egal, welche Konstruktion da jetzt gebaut wird, wie viel Unabhängigkeit drauf steht, es ist keine Unabhängigkeit garantiert.“ (zum Interview).

Journalismus nicht beeinflusst?

Bei den Verlagen jedoch gibt man schnell Entwarnung. Alle beteuern, ihre kritische Grundhaltung gegenüber Google beibehalten zu wollen „Auf die journalistische Unabhängigkeit des Hauses hat das Mitwirken an der Initiative selbstverständlich keinen Einfluss“, schreibt der SPIEGEL. Die Gefahr, dass sich die Kooperation auf die Berichterstattung auswirken könnte, sei sehr gering, sagt auch Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online. Zumal die Kooperation mit Google nichts Einzigartiges sei. Dasselbe mache man mit Facebook und vierzehn anderen Unternehmen, die im Digitalbereich für den Verlag interessant seien. Details will Wegner nicht verraten, versichert aber mit Blick auf Google: „Wir würden den Teufel tun und einen Buchstaben ändern, weil unser Verlag eine Kooperationsvereinbarung geschlossen hat. Ich glaube nicht, dass es unseren Journalismus beeinflusst.“
Abwegig ist dies keineswegs. Auch wenn es von außen nicht immer sichtbar ist: Google und die Verlage sind schon lange Partner. Bereits 2009 kam eine Studie des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, BDZV, zu der Erkenntnis, dass Google für fast drei Viertel aller Verlage nicht nur Konkurrent, sondern auch Freund ist. Das Verhältnis zur Suchmaschine sei „von hoher strategischer Bedeutung für die Unternehmen“, so ein Fazit der Untersuchung. Viele Verlage nutzen etwa Googles Werbedienst AdSense. Ralf Bremer wundert sich darum auch über die Aufregung um die neue Kooperation. „Es wird oft übersehen, dass Presseverlage vielfach mit Google zusammenarbeiten“, argumentiert der Google-Sprecher. „Es wurde auch immer wieder der Wunsch an uns herangetragen, intensiver an neuen Produkten zusammenzuarbeiten. Daraus ist jetzt diese Initiative entstanden.“ Die Schaffung neuer Geschäftsmodelle, mit denen sich Inhalte im Netz vermarkten lassen, ist für die Medienhäuser essentiell. Da könnte die Erfahrung von Google helfen.
Während sich die beteiligten Verlage einig sind, dass sie bei dieser Digital-Initiative nur gewinnen können, wird nun darüber spekuliert, was Google sich von all dem verspricht. Klar ist: Der Konzern erhält seit einiger Zeit deutlich Gegenwind aus Brüssel. Nicht nur die Dominanz als Suchmaschine oder urheberrechtliche Fragen stehen zur Debatte. Auch das mobile Betriebssystem Android ist ins Visier der EU-Kommission geraten. Da scheint eine Umarmung der Presse genau das Richtige zu sein, um zu deeskalieren. „Natürlich wird ein Teil des Kalküls sein: Können wir auch mal was Positives machen und nicht immer nur mit solchen Hiobsbotschaften konnotiert sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das keine Rolle spielt“, mutmaßt auch Jochen Wegner. Und räumt ein: „Das ist ja in Ordnung, wenn ein Unternehmen umdenkt und sagt: Wir müssen dem etwas Positives entgegen setzen.“
Wie positiv das sein wird, zeigen die nächsten Wochen, wenn die Initiative Gestalt annimmt. Für Juni ist ein Kick-Off-Termin mit den Gründungsmitgliedern in Kalifornien geplant. Hier soll es um das Thema Produktentwicklung gehen. Außerdem muss ein glaubwürdiges Gremium geschaffen werden, dass darüber entscheidet, an welche innovativen Projekte die 150 Millionen Euro aus dem Förderfonds in den nächsten drei Jahren verteilt werden sollen. Erfahrungen gibt es hier schon aus Frankreich. Dort hatte Google 2013 einen ähnlichen Fonds aufgesetzt. Von den 60 Millionen Euro wurde bereits über die Hälfte an große Zeitungshäuser ausgeschüttet – hauptsächlich für die Entwicklung von Paid-Content-Systemen.

Neue Unternehmenspolitik?

An Googles Unternehmenspolitik in Sachen Urheberrecht dürfte die News Initiative allerdings nichts ändern. Genau das hofft etwa der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, VDZ. Auch die Zeitschriftenverleger begrüßen die Kooperation, obwohl sie bislang zu den lautesten Kritikern des Internetkonzerns zählten. In Brüssel haben die Verleger schon vor Jahren Beschwerde eingelegt gegen das unfaire Ranking von Suchergebnissen. Gegen die unbezahlte Nutzung von Textauszügen durch Google bei der Verlinkung von Inhalten klagen zwölf Verlagshäuser mit Hilfe der Verwertungsgesellschaft VG Media beim Deutschen Patent- und Markenamt. Über das Leistungsschutzrecht soll der Konzern dazu gezwungen werden, für die so genannten Snippets zu zahlen. Von bis zu 5,8 Milliarden Euro ist die Rede.
An diesen Klagen wolle man natürlich festhalten, versichert VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer. Der Jurist würde sich aber auch gern positiv überraschen lassen. „Ist das ein erster Schritt von Google in die Richtung, dass man diese Themen anerkennt?“ fragt Scherzer. „Die unbändige Profitabilität des Unternehmens würde das leicht verkraften, auch dort eine vernünftige Rechtsposition zu beziehen. Wir würden das sehr begrüßen.“ Google-Sprecher Ralf Bremer hat solchen Erwartungen allerdings schon eine Absage erteilt. „Wir halten das prinzipiell für falsch, weil es die Systematik im Netz auf den Kopf stellt“, winkt Bremer mit Blick auf das Leistungsschutzrecht ab.
Die Diskussion um Googles „Digital News Initiative“ ist noch in vollem Gange, da legt ein zweiter Internetriese nach. Nur zwei Wochen später, am 13. Mai, verkündet auch Facebook eine Kooperation mit den Presseverlagen. „Instant Articles“ heißt das Projekt, an dem Medienhäuser aus der ganzen Welt beteiligt sind. Die New York Times, der Guardian, National Geographic und das Portal Buzzfeed.com sind ebenso dabei wie der SPIEGEL und diesmal auch der Springer-Verlag. Wie die Bezeichnung „Instant Articles“ schon nahe legt, sollen die Mitglieder des Sozialen Netzwerks journalistische Inhalte in Zukunft direkt in der Facebook-App abrufen können – ohne den Umweg über die Homepages der Verlage. Bislang hatten diese Facebook nur als Plattform genutzt, um ihre Geschichten dort per Link anzuteasern. Die Nutzer mussten dann immer noch auf die Seite des Medienhauses wechseln, wenn sie den ganzen Artikel sehen wollten. Dieser Extra-Klick bleibt ihnen nun erspart – Millisekunden, die entscheidend sein können dafür, ob der Leser dranbleibt oder weitersurft.
„Instant Articles“ klingt nach einer Win-win-Situation, denn sowohl Facebook, als auch die Verlage profitieren davon. Der Vorteil für Facebook besteht darin, dass die User das Netzwerk bestenfalls nicht mehr verlassen, wenn sie auf die Inhalte der Verlage zugreifen. Ohne Frage ist das ein Machtgewinn für Facebook. Die Verlage wiederum werden an den Werbeeinnahmen aus Facebooks AdNetwork beteiligt. Bringen Sie den Werbepartner selbst mit, gehen die Einnahmen komplett an sie. Außerdem wird an einem Bezahlmodell für die Inhalte gearbeitet. Auch auf die Nutzerdaten erhalten die Verlage Zugriff und bekommen so Feedback über die Popularität einzelner Artikel oder Videos. Vor allem aber dürfte sich die Leserschaft vergrößern. „Man kann ein viel größeres Publikum erreichen“, schwärmte Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti schon Wochen vor dem offiziellen Start von „Instant Articles“ im März dieses Jahres auf der Netzkonferenz South by Southwest. „Und wenn man im Gegenzug für seine Inhalte Daten und Einnahmen zurückerhält, dann kann das ein großartiges Geschäft sein.“

Facebook als „Internet im Internet“

Wie die „Digital News Initiative“ von Google spaltet jedoch auch „Instant Articles“ die Geister. Während die Zeitungen vom neuen Vertriebsweg Facebook schwärmen, warnen Kritiker vor einer Deinstitutionalisierung des Journalismus. „Die Rolle und die Funktion des Journalismus in der Gesellschaft wird heute von Facebook geplant“, mahnt der Soziologe Stefan Schulz in seinem Blog „Sozialtheoristen“. Ohne Zweifel sind viele Fragen offen. Etwa die, ob Journalisten mit dem Facebook-Pakt nicht die Hoheit über ihre Inhalte aus der Hand geben. Immerhin können sie auf der eigenen Homepage ihre Themen noch selbst gewichten. Auf Facebook bestimmt ein unbekannter Algorithmus darüber, welche Geschichten der Nutzer tatsächlich zu sehen bekommt von den Seiten, die er abonniert hat.
Das Ende der Homepage könnte dabei gleich mit eingeläutet werden. „Dorthin gehen, wo die Nutzer sind“ – dieser von den Verlagen gern genutzte Claim könnte dazu führen, dass die Leser entwöhnt werden und am Ende gar nicht mehr auf die Verlagswebseiten zurückkehren, weil sie diese nicht mehr als Medienmarken wahrnehmen und ohnehin alles bequem ins Soziale Netzwerk geliefert bekommen. Längst geht der Trend dorthin. 61 Prozent der jungen Amerikaner etwa erhalten politische Nachrichten über Facebook, hat das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center im Frühjahr 2014 ermittelt. Facebook als „Internet im Internet“ – diese Dystopie ist gar nicht mal so unrealistisch.
Derartige Befürchtungen will man in den Verlagen nicht teilen. Hier sieht man das Projekt „Instant Articles“ vor allem als Chance und als ein Experiment. „Die Zusammenarbeit ist an klare Vereinbarungen gekoppelt. Werden sie nicht eingehalten, sind wir schneller wieder raus, als wir drin waren“, wird Springer-Manager Christoph Keese im Kölner Stadtanzeiger zitiert. Möglicherweise ist die Position der Verlage – wenn sie sich geschickt anstellen – ja tatsächlich nicht die schlechteste.
Immerhin kann man von einer Trendwende im Verhalten der großen Internetkonzerne gegenüber den Verlagen sprechen. Dass die Medienhäuser gleich von zwei Internetriesen umgarnt werden, zeigt schließlich, wie begehrt und wertvoll journalistische Inhalte sind. Nachdem es Facebook in den letzten Jahren gelungen ist, nutzergenerierte Inhalte gewinnbringend zu organisieren, geht es jetzt darum, professionellen Content zu vermarkten, damit der Konzern weiter wachsen kann. Der Innovationsdruck liegt also nicht nur bei den Verlagen. Beide Seiten kämpfen um eine Zukunft, denn auch bei Facebook und Google weiß heute niemand, ob sie ihre starken Positionen auf Dauer werden halten können.

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