ARD-Streiktag: Mit viel Wut im Bauch

Beim WDR wurde an allen Standorten gestreikt, hier zusammen mit der "Maus" in Köln. Foto: ver.di

Mit Entschlossenheit und einer gehörigen Portion Wut sind an vielen ARD-Standorten hunderte Beschäftigte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am 9. November in den Warnstreik getreten. Sie reagierten mit dieser konzertierten Aktion, zu der ver.di aufgerufen hatte, auf die festgefahrenen Tarifverhandlungen in der ARD. Mehr als 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus sieben Sendern beteiligten sich. Bei der Deutschen Welle in Bonn und Berlin gab es aktive Mittagspausen vor den Häusern. In vielen Programmen kam es zu Ausfällen, Sendungen aus der Konserve mussten Lücken füllen. 

Das zentrale Thema der Arbeitsniederlegungen, an denen sich auch die Deutsche Musik- und Orchestervereinigung unisono und Teile des DJV beteiligten: eine Tariferhöhung, als Ausgleich der Inflation. Immerhin war die Inflationsrate im Oktober auf 10,4 Prozent gestiegen. Für das kommende Jahr sind aktuell 9,3 Prozent prognostiziert. ver.di fordert durchschnittlich Gehalts- und Honorarerhöhungen um sechs Prozent und stärkere Steigerungen besonders für Berufseinsteiger*innen und niedrige bis mittlere Entgelte. Außerdem sollten die Laufzeiten der Tarifabschlüsse auf zwölf Monate begrenzt werden. Christoph Schmitz, Mitglied im ver.di Bundesvorstand, zuständig für Medien, nannte die eigenen Forderungen im ver.di-Videostream angesichts der Inflation „eher maßvoll“. 

Die Rundfunkanstalten bieten dagegen maximal 2,8 Prozent und Einmalzahlungen bis zu 3000 Euro an, nach mehr als einem halben bis Dreivierteljahr ohne Tariferhöhung, sogenannten Nullmonaten. Außerdem wollen sie Laufzeiten von 24 Monaten. 

Ein No-Go für die Beschäftigten. „Stinksauer“ seien die WDR-Mitarbeiter*innen zudem über die „selbstgerechten Gedanken eines „Privatmannes“ – ihres Intendanten, des amtierenden ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow im Hamburger Übersee-Club. Die Empörung über seine Rede motivierte viele Streikende, nicht nur im Westen. Die Streikenden kritisieren vor allem, dass bei den mickrigen Angeboten an Planzahlen „vor dem Ukraine-Krieg“ festgehalten werde, die explodierenden Energiekosten und steigenden Lebensmittelpreise nicht berücksichtigt würden.

Spürbare Auswirkungen durch Programmausfälle 

Solch ein Streik müsse richtig weh tun! Auch die Zuschauer*innen und Hörer*innen sollten den Ausstand mitbekommen. Und das taten sie. Mehrfach wurde direkt in Sendungen auf die Ausfälle und deren Gründe hingewiesen.

Fröhlich aber bestimmt beim WDR in Essen. Foto: ver.di

Im ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste lief am Mittwochvormittag statt einer aktuellen Ausgabe der vom WDR produzierten Sendung „Live nach Neun“ eine Best-of-Folge. Im WDR selbst gab es nach eigener Darstellung Änderungen bei den Hörfunknachrichten. WDR5 übernahm in der Nacht die Nachrichten von NDR Info. WDR2 und 1Live sendeten die SWR-Nachrichten aus der ARD-Pop-Nacht. 

Auch in den Hörfunkprogrammen von Radio Bremen machte sich die Arbeitsniederlegung gemeinsam mit der ausgelagerten Tochter Bremedia bemerkbar. Alle Morgensendungen liefen verkürzt, danach gab es nur noch Musik mit Verkehrsinfos und Schlagzeilen, berichtete Gerrit Busch vom ver.di-Senderverband. 

Empfang der Tarifverhandler beim Saarländischen Rundfunk am 8. November. Dennoch war das Angebot miserabel. Also wurde am nächsten Tag mitgestreikt. Foto: ver.di

„Von sehr spürbaren Auswirkungen im Programm“ berichtete auch Jasmin Bozok vom ver.di-Senderverband des Saarländischen Rundfunks. In allen Hörfunkwellen liefe nur Musik.

Am gestrigen Tag wurden die Arbeitgeber des SR vor den Tarifverhandlungen mit einer lauten und musikalischen Protestaktion der Beschäftigten begrüßt. Dennoch war in der Tarifrunde nach 20 Minuten Schluss. Von Seiten der Intendanz war kein verhandlungsfähiges Angebot unterbreitet worden.

Auch die Hörer*innen des Deutschlandradios bekamen den Streik zu spüren. Im Frühprogramm hätten beim Deutschlandfunk Abteilungsleiter einspringen müssen. Katja Barton vom ver.di-Senderverband Deutschlandradio Berlin berichtete, dass im Berliner Funkhaus ab 10.30 Uhr der Streik vermeldet wurde, Interviews nicht wie gewohnt stattfanden und bis 17 Uhr Etliches aus der Konserve kam. 

Beim Deutschlandradio fordert ver.di neben den 400 Euro monatlichen Gehaltssteigerungen, sechs Prozent Honorarsteigerungen und kürzeren Laufzeiten des Tarifvertrages mehr Stellen, um der zunehmenden Arbeitsbelastung gerecht werden. 

„Skandal im Funkhaus“

Beim Bayerischen Rundfunk hatten sich bis Mittag 300 Beschäftigte dem Warnstreik angeschlossen. Ihre Forderung: statt der gebotenen 2,8 Prozent 5,75 Prozent mehr. Werner Przemeck, Vorsitzender Verband ÖRR Bayern, berichtete nicht nur vom Absingen abgewandelter Liedtitel wie „Skandal im Funkhaus“ oder dem „Dienstwagenblues“ während der Streikkundgebung, sondern auch von zahlreichen ausgefallenen Informations- und anderen Sendungen im Hörfunk.

Beim Bayerischen Rundfunk in München gingen 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Straße. Foto: ver.di

Bei der Deutschen Welle forderten rund 130 Beschäftigte am Standort Berlin in einer aktiven Mittagspause 265 Euro monatlich mehr für Angestellte, Auszubildende und Volontär*innen. Außerdem soll es 20 Euro mehr für jedes effektiv bezahlte Tageshonorar für Freie geben. 

Beim SWR in Stuttgart nannte es Stefan Tiyavorabun untertragbar, dass Jugendliche nur die Hälfte der Einmalzahlungen bekommen sollten. In Baden-Baden spielte Andy Fuchs von ver.di im SWR auf die laufende ARD-Themenwoche „Wir gesucht“ an. Was uns zusammenhält, sollte nicht nur eine Frage für die Gesellschaft, sondern auch für die ARD sein. Beim Streik stünden viele hier auch für die Berufseinsteiger. 

Für den WDR fordert ver.di eine Übernahmegarantie für die Azubis. Weil es die nicht gebe, wanderten von den jährlich 100 bis 120 jungen Leuten viele in den Privatfunk und unter den IT-Leuten in die Wirtschaft ab. 

„Sie lassen uns im Regen stehen“

Von 0 Uhr am Mittwoch bis 1.30 Uhr am 10. November waren Beschäftigte aller Betriebsteile und Standorte des NDR im Warnstreik. Der NDR lasse sie ihm Regen stehen, verdeutlichten Mitarbeitende des Landesfunkhauses in Hannover. Wie sie das finden? Unmöglich!

Neun Mal wurde im NDR bereits verhandelt. Fazit der Beschäftigten: „Man lässt uns im Regen stehen!“ Foto: ver.di

Die Stimmung hier sei sehr viel solidarischer als im Übersee-Club, berichtete Stephanie Steffen, die Vorsitzende von ver.di im NDR in Lokstedt. Zumal dort am Stuhl der ARD gesägt worden sei. „Wir sitzen in den Verhandlungen Leuten gegenüber, die bestens ausgestattet sind und uns erklären, es sei kein Geld da“, empörte sich ver.di-Gewerkschaftssekretär Björn Siebke.

Beim Hessischen Rundfunk beginnen die Verhandlungen erst im nächsten Jahr. Deshalb war der HR nicht an den Streiks beteiligt, ebenso wie RBB und MDR, bei denen noch die Friedenspflicht gilt. Jedoch seien die Tarifverträge bereits gekündigt. Ziel, so Mario Stephan vom MDR, sei es, eine Angleichung an das ARD-Niveau zu schaffen. „Noch hinken wir hinterher.“ 

Die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Tina Groll, ermunterte die Streikenden per Video in einem solidarischen Gruß: „Holt Euch das, was Ihr verdient“. Die Verhandlungen werden beim SWR und beim NDR schon am 10. November fortgesetzt, beim NDR ist es dann bereits die neunte Verhandlungsrunde. Am 14. November geht es im WDR weiter. 


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