Trotz Kino-Boom: Beschäftigte in Filmtheatern liegen am unteren Ende der Lohnskala

Strukturreform des Tarifvertrags gefordert

1891 DM im Monat für 40 Stunden Arbeit in der Woche – soviel verdient eine Kassiererin nach zwei Jahren Berufstätigkeit in einem Kino in einer Stadt mit weniger als 100000 Einwohnern. Auch ihr Kollege, der als Filmvorführer arbeitet, ist nicht viel besser dran: 2119 DM brutto erhält er nach Tarif – Samstags- und Sonntagsarbeit inbegriffen. Das soll anders werden, hat die Kino-Tarifkommission der IG Medien beschlossen und eine gründliche Strukturreform des Tarifvertrags gefordert.

Bei den eingangs genannten Einkommen ist es nicht verwunderlich, wenn viele Kino-Beschäftigte noch einen Zweitjob ausüben müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Wer das nicht macht oder nicht machen kann, liegt trotz 40 Stunden Erwerbsarbeit oft unter dem Niveau der Sozialhilfeleistungen. Deshalb ist es weder zynisch noch ein Witz, wenn die Kinobeschäftigten gelegentlich die Anpassung ihrer Einkommen an die Sozialhilfesätze fordern. Die IG Medien fordert, daß nach Abschluß der bevorstehenden Tarifrunde in den deutschen Kinos zumindest niemand mehr weniger als 2000 DM brutto verdient. Bislang ist die Untergrenze bei 1816 DM (EinlaßkontrolleurInnen). Damit liegen viele Kinobeschäftigte trotz Kino-Boom auch nach Untersuchungen des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB (WSI) am absolut unteren Ende der Einkommensskala in der Bundesrepublik. Selbst in Großstadtkinos endet der derzeitige Tarifvertrag für die höchste Vergütungsgruppe (Vorführer) bei 2968 DM.Völlig unbekannt ist bisher in der Branche ein zusätzliches Urlaubsgeld. Die Jahressonderleistung beträgt bescheidene 400 DM. Wenigstens diese soll nach den Vorstellungen der IG Medien künftig auf die Höhe einer Monatsvergütung angehoben werden.Die IG Medien-Tarifkommission Kino will bei den bevorstehenden Tarifverhandlungen – Start ist vermutlich noch im Dezember – nicht nur höhere Einkommen durchsetzen. Wie in anderen Branchen auch sollen endlich sechs Wochen bezahlter Urlaub im Tarifvertrag verankert werden. Bisher sind es zwischen viereinhalb und fünfeinhalb Wochen. Erstmals sollen alle Kino-Beschäftigten in den Geltungsbereich des Tarifvertrags einbezogen werden. Bisher gilt der tarifliche Mindestschutz nur für wenige Berufsgruppen, die anderen Beschäftigten, z.B. Verwaltungskräfte und Techniker in den neuen Großkinos, haben selbst auf die minimalen Tarifrechte keinen Anspruch. Der wachsenden Arbeitsverdichtung soll durch eine neue Berufsgruppen- und Zuschlagsregelung begegnet werden.Ein weiterer Konfliktpunkt bei den Tarifverhandlungen dürfte die Lohnfortzahlung bei Krankheit sein. Schon jetzt wird der bestehende Tarifvertrag von der IG Medien und den Arbeitgebern in diesem Punkt unterschiedlich interpretiert. Die IG Medien hält nach umfangreicher rechtlicher Prüfung die 100-Prozent-Fortzahlung für gesichert, der Hauptverband Deutscher Filmtheater empfiehlt seinen Mitgliedern die Kürzung um 20 Prozent. Ziel der IG Medien ist es, im neuen Tarifvertrag die Fortgeltung der 100-Prozent-Regelung zu vereinbaren. Auftakt der Tarifverhandlungen ist wahrscheinlich am 19. Dezember 1996 in Frankfurt/Main.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »

Altersversorgung für Filmschaffende

Zusammen mit der Schauspielgewerkschaft BFFS und dem Tarifpartner Produktionsallianz hat ver.di einen Tarifvertrag für eine branchenweite betriebliche Altersversorgung für Filmschaffende in Film- und Serienproduktionen abgeschlossen. Für die etwa 25.000 auf Projektdauer beschäftigten Film- und Fernsehschaffenden vor und hinter der Kamera wird die neue tarifliche Altersvorsorge ab Juli 2025 starten.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »