Wo der Kanzler irrt

Tarifrunde für Redakteure auch ein Kampf um die Tarifautonomie

Die Tarifrunde für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen beginnt im Herbst und es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass sie auch im Winter noch zu hitzigen Diskussionen in den Verlagen führen wird. Denn in diesem Jahr geht es um mehr als um Gehaltserhöhungen.

Die dju in ver.di hat eine bescheidene, aber bestimmte Forderung. Die Gehälter in Redaktionen sollen sich im Branchentrend erhöhen. So sind für die Druckkollegen und Verlagsangestellten Abschlüsse um 1,5 % zu verzeichnen gewesen. Mehr erwarten auch die Journalistinnen und Journalisten nicht, aber auch nicht weniger. Doch der dicke Brocken ist vom Verlegerverband BDZV zum Ende letzten Jahres hingeworfen worden. Der Manteltarifvertrag für die etwa 15.000 Tageszeitungsredakteure ist seitdem gekündigt. Veränderungen wollen die Verleger bei Arbeitszeiten, Urlaubsdauer und -geld sowie Gehaltsstruktur durchsetzen. Veränderungen bedeuten für die Tageszeitungsjournalisten dann Verschlechterungen. Und verschlechtert haben sich die Bedingungen, unter denen in den Redaktionen gearbeitet wird, im Verlauf der letzten Jahre bereits erheblich. Denn die schwache Werbeeinnahmen haben viele Verleger zu drastischen Einsparungen im Personal- und Honorarbereich veranlasst.

Falsche Erwartungen

„Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie dies in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht dies nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben.“ Dies fordert Gerhard Schröder am 14. März 2003 im Bundestag. Diese Drohung und die begleitenden Gesetzentwürfe von CDU und FDP werden auch in der zukünftigen Tarifpolitik zu spüren sein.

Unheilige Entwicklung

Was es bereits gibt: In der Chemieindustrie existieren Tarifregelungen, die sich der Kanzler als Vorbild wünscht. Dort können betrieblich je nach wirtschaftlicher Lage des Unternehmens sowohl Gehälter, Arbeitszeit als auch Weihnachts- und Urlaubsgeld variabel geregelt werden.

Doch umgesetzt in die Tariflandschaft der Verlage würde dies – besonders unter den Bedingungen des Tendenzschutzes – eine unheilige Entwicklung auslösen. Am Beispiel der WAZ-Gruppe, die ihre Redaktionen in eigenständigen Betrieben führt, die betriebswirtschaftlich nur Kosten erzeugen, aber Gewinne an anderer Stelle im Konzern bewirken, wird dies deutlich. Nach den Maßstäben eines betrieblichen Bündnisses würde dann in den Redaktionen über Gehaltsreduzierungen zu verhandeln sein, während die WAZ-Gruppe, mit einem soliden Finanzpolster ausgestattet, eine ehrgeizige europäische Expansionspolitik betreibt. Und diese Trennung der Verlagsbereiche ist anscheinend ein Modell, das vom Konzern Holtzbrinck auch in Berlin für den „Tagesspiegel“ propagiert wurde.

Qualität gefährdet

Denkt man ein solches Modell ein paar Jahre weiter, dann wird eine Einkommenskluft zwischen den Journalisten an den meisten regionalen und den wenigen überregionalen Tageszeitungen entstehen. Unter solchen Bedingungen ist die Vielfältigkeit und Qualität der deutschen Tagespresse gefährdet.

Der Kanzler irrt also, wenn er tarifpolitische Konzepte, die in der Chemieindustrie funktionieren mögen, auch allen anderen Wirtschaftsbereichen diktieren will. Denn die Tarifpolitik in den Verlagen ist eng gekoppelt an die Bedingungen und Besonderheiten von Pressefreiheit und die besondere Bedeutung von Medien in einer modernen Demokratie.

 

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