Intime Szenen beim Film

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Neben Regie, Kamera und Ton sind immer öfter auch sogenannte Intimitätskoordinator*innen Teil des Stabs von Film- und TV-Produktionen. Wie arbeiten diese Spezialist*innen für intime Szenen und wie profitiert das Team von ihrem Einsatz? Über Herausforderungen und Hindernisse beim Drehen intimer Szenen sprachen wir mit der Bremer Intimitätskoordinatorin Sarah Lee.

Welches sind Ihre wichtigsten Aufgaben am Set?

Unsere Hauptaufgabe besteht darin, intime Szenen so zu koordinieren und zu choreografieren, dass die Einvernehmlichkeit, die erzählerische Absicht und die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet werden. Ähnlich wie ein Stuntkoordinator für physische Sicherheit und erzählerische Klarheit in Actionszenen sorgt, fördern Intimitätskoordinator*innen das emotionale und körperliche Wohlbefinden der Schauspieler*innen und unterstützen gleichzeitig die kreative Vision der Produktion.

Welche Kompetenzen, Skills, Erfahrungen werden von Intimacy Coordinators (IC) oder Intimitätskoordinator:innen verlangt? Welche Soft – und welche Hard Skills sind gefragt?

Auf der zwischenmenschlichen Ebene sind Empathie, Mitgefühl und emotionale Intelligenz entscheidend, da sie es ermöglichen, Vertrauen aufzubauen, das Wohlbefinden der Schauspieler*innen zu unterstützen und komplexe Dynamiken mit Fürsorge zu navigieren.

Klare Kommunikation und aktives Zuhören sind ebenfalls wichtig, um eine gute Zusammenarbeit zu gewährleisten. Konfliktlösung, Diplomatie und Anpassungsfähigkeit helfen ICs, sich sicher in den unterschiedlichen Dynamiken eines Film- oder Fernsehsets zu bewegen. ICs müssen selbstbewusst und durchsetzungsfähig sein, um für die Sicherheit der Schauspieler*innen einzutreten, gleichzeitig aber auch flexibel und lösungsorientiert agieren.

…und welche Hard Skills werden verlangt?

ICs müssen in der Lage sein, intime Szenen so zu choreografieren, dass sie authentisch und respektvoll gegenüber den Grenzen der Schauspieler*innen sind – ähnlich wie bei der Stunt-Choreografie. Ein umfassendes Verständnis von Einwilligungsprotokollen, Schutzmaßnahmen und Trauma Bewusstsein ist ebenso wichtig wie die Kenntnis der rechtlichen und ethischen Aspekte bei der Arbeit mit Nacktheit und intimen Inhalten. Darüber hinaus ist ein Verständnis der Produktionsabläufe in Film und Fernsehen erforderlich, einschließlich Zeitplänen, Abteilungsprozessen und dem Produktionsdruck.

Diese fachliche Expertise muss mit Professionalität, kultureller Sensibilität und Diskretion einhergehen, da die Rolle häufig den Umgang mit sensiblen Informationen und die Schaffung eines sicheren, inklusiven Arbeitsumfelds erfordert. Letztendlich fungiert ein*e IC als Brücke zwischen Sicherheit und Storytelling, indem er*sie sicherstellt, dass sich Schauspieler*innen unterstützt fühlen und Produktionen authentische, wirkungsvolle Szenen erzielen.

Welche beruflichen Hintergründe qualifizieren dafür?

Ein Hintergrund im Schauspiel, in der Regie, Bewegungsarbeit oder Performance vermittelt ein tieferes Verständnis für Dramaturgie und die Arbeitsprozesse von Schauspieler*innen und erleichtert so die effektive Zusammenarbeit mit Regie und Darsteller*innen.

Bei welchen bekannten Produktionen waren oder sind sie aktiv?

Ich habe bei einer Vielzahl von  Produktionen mitwirken dürfen – von studentischen Kurzfilmen bis hin zu großen Film- und TV-Serien.  Besonders stolz bin ich aber auf Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Love Sucks und Gotteskinder, da mich diese Projekte kreativ gefordert und mir gleichzeitig die Möglichkeit gegeben haben, mit großartigen Teams zusammenzuarbeiten und bedeutungsvolle und tolle Geschichten zu erzählen.

Fallen Ihnen konkrete Drehs oder Szenen ein, an deren Beispiel man die Arbeit eines / einer IC besonders gut verstehen kann?

In Irgendwann werden wir uns alles erzählen steht eine leidenschaftliche Liebesaffäre zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau im Mittelpunkt, mit mehreren intimen Szenen und Sexszenen, die zentral für die Handlung sind.

In solchen Produktionen ist die Rolle einer Intimitätskoordinator*in entscheidend, um sicherzustellen, dass die Szenen rohe Leidenschaft und Verletzlichkeit vermitteln, die Schauspieler*innen sich aber gleichzeitig sicher und respektiert fühlen. Ich habe dabei eng mit der Regie und den Schauspieler*innen zusammengearbeitet, um die emotionalen Höhepunkte jeder Szene zu verstehen und gemeinsam in Bewegungen zu übersetzen, die sich organisch anfühlten und die persönlichen Grenzen der Darsteller*innen respektierten.

Bei Love Sucks reichte die Bandbreite der Szenen von leichtfüßigen, romantischen Momenten bis hin zu intensiven, emotional aufgeladenen Interaktionen. Meine Aufgabe bestand darin, die körperlichen Bewegungen – gemeinsam mit der Regie und den Schauspieler*innen so zu choreografieren – dass sie sowohl die Grenzen der Darsteller*innen respektierten als auch die Vision der Regie unterstützten.

Nutzten Sie dabei bestimmte Hilfsmittel oder festgelegte Arbeitsroutinen?

Wir nutzten z.B. Schutzkleidung und führten Proben durch, damit alle Beteiligten vorbereitet waren und es während des Drehs keine Unsicherheiten gab.

Neben der Kommunikation und Choreografie sind Prozesse wie geschlossene Set-Protokolle ein wesentlicher Bestandteil, um eine sichere und professionelle Arbeitsumgebung zu gewährleisten. Die Begrenzung der Anzahl der am Set anwesenden Personen bei intimen Szenen bewahrt die Privatsphäre der Schauspieler*innen und ermöglicht es ihnen, sich ganz auf ihre Darstellung zu konzentrieren, ohne sich unnötig exponiert zu fühlen

Wie stark sind IC bei Film- und TV-Produktionen inzwischen nachgefragt? Gibt es z.B. eine Verpflichtung für ihren Einsatz bei geförderten Produktionen? Ich denke dabei an Vorgaben wie z.B. die Diversity Checklist, die bei verschiedenen Förderinstitutionen im Einsatz ist.

Die Nachfrage nach Intimitätskoordinator*innen in Film- und TV-Produktionen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – vor allem, weil das Bewusstsein für die Sicherheit und das Wohlbefinden von Schauspieler*innen am Set gewachsen ist.

Obwohl es keine allgemeine Verpflichtung gibt, IC bei intimen Szenen einzusetzen, erkennen immer mehr Produktionsfirmen, dass dies eine Best Practice ist – insbesondere bei öffentlich geförderten oder hochkarätigen Projekten.

In den USA sind Intimitätskoordinator*innen durch die Gewerkschaft SAG-AFTRA gewerkschaftlich organisiert. Das zeigt, wie wichtig diese Rolle geworden ist. Einige Sender und Förderinstitutionen, vor allem in den USA und Großbritannien, haben bereits klare Richtlinien für intime Szenen und empfehlen oder verlangen sogar den Einsatz von ICs.

Wie ist die Situation in Deutschland?

In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung, die ICs vorschreibt. Doch die Branche befindet sich im Wandel. Organisationen wie der Culture Change Hub bieten Ausbildungsprogramme an, um die Rolle der IC im deutschsprachigen Raum zu professionalisieren. Der Bundesverband Intimitätskoordination (BIK), der 2021 gegründet wurde, hat wichtige Schritte zur Weiterentwicklung des Berufs unternommen: 2023 organisierte der BIK im Rahmen der Berlinale die erste internationale Konferenz für Intimitätskoordination (ICIC) mit rund 250 Teilnehmer*innen aus aller Welt, gefolgt von einer zweiten Konferenz im Februar 2024. Auch der Bundesverband Schauspiel (BFFS) unterstützt Initiativen, die den Schutz der Schauspieler*innen und die Förderung von Professionalität bei der Inszenierung intimer Szenen betonen.

Welche Vorgaben macht der neue Respect Code Film (RCF)?

Der Respect Code Film legt Grundsätze fest, die ein respektvolles, sicheres und verantwortungsvolles Arbeitsklima während des gesamten Produktionsprozesses gewährleisten sollen. Seine Kernwerte stimmen in vielerlei Hinsicht mit den Zielen der Intimitätskoordination überein, was den RCF zu einer sehr willkommenen Entwicklung in der Branche macht.

 

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