Verzögerung in Fretterode-Verfahren

Hinweis auf den Tatort Bild: Tatort Fretterode

Sieben Jahren verschleppt: Der brutale Angriff von zwei Rechtsradikalen auf Journalisten im Jahr 2018 kommt auch in der Berufung einfach nicht vor Gericht. Sven Adam, Anwalt der bei dem Überfall erheblich unter anderem mit Schraubenschlüssel, Messer und Baseballschläger verletzten Journalisten, kritisiert das erneute Justizversagen und erhebt wieder eine Verzögerungsrüge gegen das Gericht im thüringischen Mühlhausen.

Schon der Weg zum ersten Urteil sowie dessen Ergebnis waren ein Skandal: Mit milden Strafen wurden die zwei organisierten Neonazis, die zwei Göttinger Journalisten bei ihrer Recherche vor dem Haus des Thüringer NPD-Chefs Thorsten Heise angriffen, verfolgten und schließlich lebensbedrohlich verletzten, am 15. September 2022 vom Landgericht Mühlhausen entlassen.

Im sogenannten Fretterode-Verfahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe dann mit Urteil vom 13. April 2024 das Skandalurteil des Landgerichts aufgehoben und dies mit erheblichen Mängeln in der Beweiswürdigung begründet. Mehr als ein Jahr später ist die Verhandlung noch immer nicht neu vom Landgericht Mühlhausen angesetzt. Es wurde nun abermals die Verzögerungsrüge erhoben.

Fehler bei Beweisaufnahme und -würdigung

Das Landgericht Mühlhausen hatte mit einem ersichtlich milden Urteil die zwei Neonazis Gianluca B. und Nordulf H. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von lediglich einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung beziehungsweise zu einer Arbeitsauflage von 200 Arbeitsstunden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Nebenklage hatte eine Verurteilung insbesondere auch wegen schweren Raubes mit deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert.

Auf die Revision der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft hin hatte der BGH die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen für erheblich fehlerhaft erklärt. Es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien insbesondere hinsichtlich des Raubes der Kamera der Journalisten.

Das Verfahren wurde an eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen, die die Beweisaufnahme neu durchführen muss. Das ist bis heute nicht geschehen. Mit einer Verzögerungsrüge ist zumindest die Grundlage für eine Entschädigung der angegriffenen Journalisten wegen überlanger Verfahrensdauer geschaffen.

Justiz schützt Neonazis

„Die Justiz in Mühlhausen versagt in dem Verfahren. Nach einer derartigen Schelte durch den BGH das Heft nicht unmittelbar in die Hand zu nehmen und die offensichtlichen Fehler aus dem ersten Verfahren schnell auszuräumen ist peinlich und offenbart, dass unsere Mandanten von der Justiz in Mühlhausen weder Genugtuung noch Schutz zu erwarten haben. Geschützt werden dort Neonazis“, ärgert sich Rechtsanwalt Sven Adam, der einen der beiden Journalisten vertritt, über die fortgesetzte Untätigkeit des Gerichts.

Ob die Nebenklage an einer Neuauflage des Prozesses angesichts dieses Verhaltens der Justiz nochmal teilnehmen wird lässt er offen. „Unsere Mandanten haben aus der starken solidarischen Begleitung des Prozesses und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit viel Kraft gezogen. Sie sind überzeugt, dass die weitere Recherchearbeit der freien Presse im Umfeld der Neonaziszene erforderlich ist, um einem weiteren Erstarken der Neonazis auch mit Wissen über die Szene zu begegnen. Sie sind aber auch überzeugt, dass nach sieben Jahren Verschleppung des Verfahrens ein gerechtes Urteil einer Jugendstrafkammer in Mühlhausen nicht mehr zu erwarten ist“, konkretisiert Rechtsanwalt Rasmus Kahlen, der den zweiten verletzten Journalisten vertritt, die Kritik an der Mühlhäuser Justiz.

Weitere Informationen zum Hintergrund des Verfahrens finden sich auf der Website der Rechtsanwaltskanzlei Adam.

Weitere aktuelle Beiträge

NIUS: Eine Bühne für rechte Hetze

Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt inszeniert sich seit zwei Jahren auf der Krawall-Plattform „Nius“ als Kämpfer gegen alles vermeintlich oder tatsächlich Linke, Woke, gegen „verlogene Eliten“ und als Gegenpol gegen den verhassten Berliner Hauptstadt-Journalismus.
mehr »

Streik bei TikTok wird fortgesetzt

TikTok-Beschäftigte in Berlin legten heute ihre Arbeit nieder und fuhren mit einem Streikboot direkt an ihrer Geschäftsführung vorbei. Nachdem ver.di zum Streik aufgerufen hatte, waren zahlreiche Beschäftigte gefolgt. Es ist der erste Streik bei einer Social-Media-Plattform in Deutschland überhaupt, an dem sich rund 100 von ungefähr 400 Beschäftigten bei TikTok in Berlin beteiligten. Und es geht weiter: Für kommenden Montag ist bereits der nächste Streiktag geplant.
mehr »

Meta will sich nicht verpflichten

Kurz nach Veröffentlichung des freiwilligen KI-Verhaltenskodex hat Meta als erster Konzern entschieden, den Kodex der Europäischen Kommission nicht zu unterzeichnen. Der US-Konzern hinter Facebook und Instagram kritisiert den Vorschlag als rechtlich unsicher, überreguliert und innovationsfeindlich. Ein politisch bedenkliches Signal.
mehr »

Verhandlungen sind keine Selbstbedienung

Leider funktionieren Tarifverhandlungen nicht nach dem Supermarktprinzip, man kann nicht einfach ins Regal greifen und sich herausholen, was man sich wünscht. Am ehesten stimmt der hinkende Vergleich noch, wenn es ans Zahlen geht: Umsonst bekommt man nämlich auch bei Tarifverhandlungen nichts. Was auf der anderen Seite allerdings auch bedeutet: Hängt man sich richtig rein, dann lohnt sich das meistens.
mehr »