„Skandalöses Urteil“ gegen zwei Neonazis

Die beiden Angeklagten kommen in den Gerichtssaal des Landgerichts Mühlhausen (September 2021).
Archivfoto: Swen Pförtner/dpa-Bildfunk

Im Prozess um den Angriff auf zwei Journalisten in Fretterode vor vier Jahren sind die zwei angeklagten Neonazis mit milden Strafen davongekommen. Für die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di ist das ein „skandalöses Urteil“. Es sei „ein Schlag ins Gesicht“ für alle Kolleg*innen, „die sich mit ihren Recherchen zum Rechtsextremismus Tag für Tag großen Gefahren für Gesundheit und Leben aussetzen“, zeigte sich dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann fassungslos und erklärte ihre Solidarität mit den Journalisten.

Laut Urteil des Landgerichtes Mühlhausen haben die zwei Angeklagten sich gemeinschaftlich einer Sachbeschädigung und einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Sie hatten 2018 zwei Göttinger Journalisten brutal angegriffen und schwer verletzt. Der 28-Jährige Gianluca B. wurde zu einem Jahr auf Bewährung und der jüngere 23 Jahre alte Nordulf H. zu 200 Arbeitsstunden verurteilt.

Am Tattag hatten die beiden freien Fotografen aus Göttingen vor dem Haus des Thüringer NPD-Chefs Thorsten Heise recherchiert. Plötzlich stürmten zwei bewaffnete Männer aus dem Grundstück auf die Reporter zu. Diese flüchteten mit einem Auto und landeten nach einer Verfolgungsfahrt in einem Graben. Dort schlugen und stachen die Rechtsextremen auf sie ein. Der eine Journalist erlitt eine Schädelfraktur, der andere eine Stichwunde im Oberschenkel.

Mit dem Urteil blieb das Gericht deutlich unter der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Staatsanwaltschaft hatte für den jüngeren der beiden Angeklagten eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, gefordert. Für den älteren der beiden Angeklagten hatte der zuständige Staatsanwalt auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten plädiert. Die Anklage ging von schwerem Raub aus, bei dem neben dem schweren Angriff eine Kamera abhandenkam.

Das Gericht sah jedoch diesen Vorwurf nicht als erwiesen an. Der Verbleib der Kamera blieb ungeklärt. Auch einen gezielten Angriff auf Journalisten und die freie Presse konnte das Gericht nicht erkennen. Es sei zudem unklar geblieben, ob die Angeklagten die Angegriffenen als Presse-Vertreter erkannt hätten. Die Richterin sprach von „zwei ideologischen Lagern“, die „weit auseinander liegen“, zitierte der MDR aus der Urteilsbegründung.

Der Rechtsstaat habe die Chance verpasst, ein klares Zeichen gegen rechte Angriffe auf Pressefreiheit und Demokratie zu setzen, erklärte ver.di-Mediensekretär Peter Dinkloh, der bei der Urteilsverkündung vor Ort war: „Stattdessen sendet das Urteil das fatale Signal an die rechtsextreme Szene, dass diese ihren menschen- und demokratiefeindlichen Bestrebungen nachgehen kann, ohne dafür ernsthafte strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.“

An dem jetzigen Fall zeige sich zudem sehr konkret, wie groß die Gefahr sei, dass sich Medienschaffende aus der Berichterstattung zum Rechtsextremismus zurückzögen, machte dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann deutlich. Einer der beiden angegriffenen Journalisten arbeite inzwischen nicht mehr zu diesem Themenfeld. „Das können wir als Gesellschaft weder wollen, noch dürfen wir es dulden. Wenn Medienschaffende nicht mehr zu solchen Themen von höchstem öffentlichen Interesse berichten, weil sie sich schutzlos fühlen und im Ernstfall von Polizei und Gerichten alleingelassen werden, dann haben wir ein großes Problem. Nur indem wir dank investigativer Journalistinnen und Journalisten Kenntnis davon erlangen, können wir uns gegen demokratiegefährdende Umtriebe aus der rechten Ecke zur Wehr setzen“, warnte Hofmann.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »