„Je stärker die Demokratie gefährdet ist, desto mehr braucht es Frauen – auch in den Medien“, so Vorsitzende Friederike Sittler während der Jahrestagung des Journalistinnenbundes (jb) in Leipzig. Wie sehr Gleichberechtigung, nicht nur von Männern und Frauen, konstituierend für Demokratie und Medienfreiheit ist, wurde in informativen Vorträgen und engagierten Diskussionen deutlich, die Ostdeutschland im Fokus hatten.
„Die Demokratie wird ermordet, denn zu viele folgen einem autokratischen Skript“, konstatierte Susanne Baer, ehemalige Bundesverfassungsrichterin und nun Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien in Berlin. In den USA werde das bereits strategisch effizient umgesetzt: Medien, Wissenschaft, Gerichte und engagierte Zivilgesellschaft würden gekapert. Auch in Europa sei die Demokratie gefährdet und selbst in Deutschland gebe es erste Indizien, dass diese Institutionen an ihren schwächsten Stellen angegriffen werden. In der Wissenschaft trifft es die Genderstudies, in der Justiz das Verwaltungsgericht Berlin, die BVG-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und in der Zivilgesellschaft droht NGOs die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
Subtile Kaperstrategien
„Wir dürfen den subtilen Kaperstrategien nicht auf den Leim gehen“, so Baer, die das auch auf Begriffe bezog. So gebe es keine juristische Vorgabe zur „Neutralität“ – etwa im Journalismus. Meinungs- und Medienfreiheit seien an Menschenwürde und Gleichheit gekoppelt. Beide seien nicht relativierbar, sondern universell. Medien müssten laut Grundgesetz gesellschaftliche Vielfalt abbilden und alle zu Wort kommen lassen. Gemeint sei aber eine „inhaltlich qualifizierte Pluralität“, die keine Unwahrheiten verbreite, denn sonst führe das zu einer „Wahrheitskrise“ und “Zweifelsgesellschaft“. Es gelte Grundgesetz konforme „rote Linien“ zu ziehen, wo die Demokratie – wie laut Verfassungsschutz durch die rechtsextremistische AfD – gefährdet wird.
Die Erosion fange an, wenn Gleichheit als „partikulares Interesse von Frauen oder Minderheiten“ gedeutet werde. Die „Anti-Gender-Agenda“ agiere dabei „völlig wissensfrei“, aktiviere diffuse Ressentiments, etwa gegen Gendersprache, Transsexualität und bediene Sehnsüchte nach Familie, Männlichkeit. „Wir dürfen uns nicht in die partikulare Ecke drängen lassen“, so Baer, sondern sollten betonen, dass Gleichheit die gesamte Gesellschaft betrifft: Männer und Frauen in allen Facetten und unterschiedlichen Lebenslagen.
Rückschritt bei Geschlechtergerechtigkeit
„Ein Rückschritt bei der Geschlechtergerechtigkeit ist immer auch ein Warnsignal für die Demokratie insgesamt“, konstatierte die Tübinger Medienforscherin Mandy Tröger mit Blick auf Medien und Frauen in Ostdeutschland. Wie ernst die Lage in Deutschland ist, demonstrierte sie an Überschneidungen zwischen dem „Project 2025“ der Trump-Regierung und dem Programm der AfD, die auch Medien und Wissenschaft im Visier habe, wenn sie Rundfunk, gendergerechte Sprache, Klima- und Geschlechterforschung als ideologisch brandmarkt und Männer wie Frauen, die nicht in traditionelle Rollenvorstellungen passen, herabwürdigt.
In dieser Gemengelage plädierte Tröger mit Blick auf Ostdeutschland dafür, dass Journalist*innen existierende Probleme offenlegen und Debatten darüber ermöglichen, indem sie Hintergründe und Ursachen thematisieren. Dazu gehörten Fragen zur gesellschaftlichen Stellung von Frauen – etwa im Beruf. So lehnten viele Ostfrauen „gendergerechte Sprache“ ab und fragten „Waren wir nicht schon mal weiter?“ Es gelte einen Perspektivwechsel anzunehmen wie in der MDR-Dokumentation: „Sie pfeifen auf Emanzipation, weil sie schon emanzipiert sind.“
Kritikloser Systemtransfer
Auch die Medienrezeption unterscheidet sich. Überregionale Zeitungen werden in Ostdeutschland weniger gelesen, Lokalzeitungen gehören – bis auf die „Berliner Zeitung“ – westdeutschen Verlagen. Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist weniger ausgeprägt als in anderen Regionen der Bundesrepublik. Das seien Folgen eines „kritiklosen Systemtransfers“ nach der Wende, dem basisdemokratische Projekte zum Opfer fielen, so Tröger. Die Menschen, insbesondere Frauen in Ostdeutschland seien immer noch unterrepräsentiert – auch in den Medien. Sie fühlten sich nicht ernst genommen.
In den Redaktionen fehlten vor allem Journalistinnen mit DDR-/ostdeutscher Sozialisierung und in der Berichterstattung dominiere eine westzentrierte Perspektive. „Der Osten“ erscheine als homogene Region, andersartig, rechts, Demokratie unfähig, thematisch öde. Eine „journalistische Selbstreflexion“ sei dringend nötig, um die Sichtbarkeit weiblicher Stimmen aus Ostdeutschland zu stärken, Nachwuchsjournalist*innen zu fördern, Eigentumsstrukturen, insbesondere der Lokalzeitungen, zu hinterfragen und über ostdeutsche Geschichte und Lebenswirklichkeiten aufzuklären. Es gehe um den „Erhalt der Demokratie“, so Tröger „handeln wir solidarisch und mutig!“
Mehr über Widerstand und Verbindendes berichten
In der anschließenden Diskussionsrunde fragte die später zur neuen jb-Vorsitzenden gewählte Sissi Pitzer, ob Frauen die „Marginalisierung der vierten Gewalt“ aufhalten können. Journalismusforscherin Stine Eckert, Associate Professor an der Wayne State University, berichtete über Bedrohungen und Nischen der Genderforschung in den USA. Während sie in Michigan mit einer demokratischen Gouverneurin an der Uni noch ein „Center for Gender and Sexuality“ aufbauen konnten, sei eine Dozentin im republikanisch regierten Texas gefeuert worden, weil sie sagte, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe. Auch Mandy Tröger, die in den USA promovierte, plädierte für einen differenzierten Blick. Es werde viel zu wenig über den Widerstand gegen die Trump-Regierung und auch die vielen Kulturinitiativen berichtet, die sich in Ostdeutschland gegen den Rechtsruck wenden.
Gerlinde Sommer, Chefredakteurin der Thüringischen Landeszeitung TLZ, die zu Funke-Medien gehört, lebt seit 1990 in Thüringen, gendert und zeigte sich optimistisch. Um die Volontariate würden sich vor allem weibliche Landeskinder bewerben, es gebe vier Lokalchefinnen und eine Volontärin sei jetzt Politikredakteurin. Zu AfD-Gartiszeitungen meinte sie: „Die klauen uns nicht die Anzeigen weg!“ Tröger dagegen kritisierte, dass Funke zu wenig in seine Lokalzeitungen investiere, sodass die rechten Anzeigenblätter nun die Lücken füllten. Unstrittig war, dass mehr Frauen im Journalismus gebraucht werden, um dem Rechtsruck zu begegnen. Frauenfragen seien gesellschaftliche Fragen und in ihrer Intersektionalität (Ost-West, jung-alt etc.) bringen sie Verbindendes mit.
Mut machen sollte eine Runde zu neuen Ideen gegen den antifeministischen, spalterischen Rechtstrend: der Podcast „Ostwärts“, in dem spannende Projekte und Personen mit ostdeutscher Identität vorstellt werden, das zur Zeit pausierende Magazin „fem.Mit“, das Frauen fördern will und Projekte zur Stärkung von Lokaljournalismus von correctiv und bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Für die Zukunft wünschten sich die Mutmacherinnen eine Perspektivverschiebung, mehr konstruktiven Journalismus und Formate, wo man gepflegt streiten kann. Kurzum: Weniger Ellenbogen und mehr Kooperation im Journalismus.
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Medienpreise des Journalistinnenbundes
Während seiner Jahrestagung hat der jb drei Medienpreise vergeben, die vor allem den sensiblen Umgang mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ würdigen. Julia Bellan und Franziska Pröll wurden für „Du gehörst mir, also töte ich dich – Femizide vor Gericht“ mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis ausgezeichnet. Der Courage-Preis ging an Isabell Beer und Isabel Ströh für ihre Video-Dokumentation „Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram“. Die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk erhielt die jb-Mitbegründerin, Autorin, Dokumentarfilmerin und Feministin Sabine Zurmühl.

