Osteuropäische Filme mit hohem künstlerischen Anspruch
Schönheit, Poesie, Mystik und Skurrilität: Filme mit einem solch künstlerischen Anspruch wie man sie aus früheren Zeiten von Jean Cocteau, Luis Bunuel oder Andrej Tarkowskij kennt, lassen sich im jungen westeuropäischen Kino nur noch selten entdecken, verdrängt von realitätsnahen Sozialdramen im dokumentarischen Stil. Im postkommunistischen Osteuropa dagegen kommt Filmkunst allmählich wieder auf.
Eine solche Tendenz zumindest zeichnete sich auf dem jüngsten „goEast“ Filmfestival in Wiesbaden ab, wo sich die seltene Gelegenheit ergibt, solche, von eigenwilliger Handschrift bestimmten Meisterwerke zu sehen. Etliche darunter stellen eine Reihe von Filmen in den Schatten, die bei der jüngsten Berlinale im Wettbewerb liefen, wo das osteuropäische Kino ohnehin nur spärlich vertreten war. Das spricht nicht gerade für die Berlinale, umso mehr aber für das unter der Leitung von Christine Kopf sich prächtig entwickelnde und expandierende „goEast“, das im achten Jahr erstmals auch ausgewählte Produktionen in Frankfurt zeigte.
Dabei trifft es sich gut, dass die diesjährige Hommage dem hierzulande ebenso kaum bekannten georgischen Regisseur Sergej Paradzanov gewidmet war, der in den 1960er Jahren eine einzigartige surreale, rätselhafte Filmkunst schuf. „Die Farbe des Granatapfels“ etwa besticht mit surrealen Landschaften von nackten Frauenkörpern, silbernen Muscheln und geheimnisvollen Kompositionen von barocken Putten und armenischen Schönheiten.
Im jungen osteuropäischen Kino flüchten oftmals Lethargiker, Träumer und Autisten aus einer unerträglich gewordenen Realität in imaginäre Innenwelten. Zum Beispiel die aparte androgyne Afrodite in Teona Strugar Mitevkas poetischem Drama „Ich komme aus Titov Veles“. Seit dem Tod des aus Griechenland vertriebenen Vaters redet sie kein Wort mehr. Unbewältigte Vergangenheitstraumen, das von kollektiver Depression, Armut, Industrieverfall und Umweltzerstörung geprägte trostlose Umfeld in Mazedonien und der Wunsch nach Mutterschaft spiegeln sich in bizarren Traumbildern: Nackte, kahlköpfige Männer waten da roboterhaft durch unheilvolle, neblige Sumpflandschaften und vollziehen seltsame Kopfgeburten.
Auch Tomasz Wiszniewskis polnischer Beitrag „Alles wird gut“ erzählt packend vom Rückzug in eigene Fantasiewelten. Die erschreckende Nachricht, dass es für seine krebskranke Mutter keine Heilung mehr gibt, bringt den 11-jährigen Paulie auf die Idee, mit der Jungfrau Maria einen Pakt zu schließen: Steht er einen Marathonlauf zu einem bekannten Wallfahrtsort durch, wird ein Wunder geschehen. Diese Rechnung geht zwar am Ende nicht auf, aber umsonst geschunden hat sich der Junge nicht. Das Fernsehen und die Öffentlichkeit, die seine Tour de force verfolgen, belohnen den wackeren Läufer mit Stolz und Anerkennung. Und in seinem Trainer, der seine eigene Karriere als Säufer beendete, ihn aber nach besten Kräften als „Coach“ unterstützt, findet er gar einen Freund. Diese von menschlicher Wärme, wachsendem Verständnis und gegenseitiger Opferbereitschaft getragene Annäherung und der unerschütterliche Glaube des jungen Helden geben dem Kammerspiel eine große emotionale Wucht.
Noch weitaus weniger versöhnlich endet „Magnus“, ein kleines sperriges Meisterwerk aus Estland, das dort bereits heftige Skandale auslöste, weil es an Ängste und Tabus rührt, verschreibt sich doch der lungenkranke Magnus einer ausgeprägten Todessehnsucht. Schon als kleiner Junge bildete er sich ein, höchstens 16 Jahre alt zu werden und spielt seither mit diesem imaginären Datum, indem er sich Aufgaben stellt, bei deren Erfüllung er sich weitere Lebenszeit zugesteht. Schockierend in diesem, mit der „Goldenen Lilie“ prämierten Film, wirkt jedoch nicht nur die konsequent lebensverneinende Haltung des Protagonisten, der schließlich tatsächlich Suizid begeht. Der wunde Punkt liegt weitaus tiefer und rührt an elterliches Versagen. Hier ist es vor allem der Vater, der Magnus nicht mehr zu bieten hat als Sex und Drogen, offen zugibt, der Erziehung eines Kindes nicht gewachsen zu sein und am Ende den Entschluss seines Sohnes hilflos akzeptiert.
Aus poetischer Sicht ließ vor allem „Patchwork“ aufmerken, eine Art filmische Collage, bei der Form und Bildsprache harmonisch Hand in Hand gehen. So kunstvoll, wie eine alte, sterbenskranke Frau hier eine Decke aus bunten Stoffmustern webt, so setzt auch der kasachische Regisseur Rustem Abdrasov seine Episoden um einige bizarre Gestalten und Lebenskünstler eindrucksvoll mosaikartig zusammen.
Der skurrilste Beitrag seitens der Bildsprache aber ist Eva Nejmans „Am Fluss“, ein bemerkenswertes Doppelporträt einer alten Frau und ihrer neunzigjährigen Mutter, das stilistisch an den Charme der 1960er Jahre erinnert. Beide Frauen sind schon nicht mehr ganz von dieser Welt, allen voran die Hochbetagte, die sich gern in längst vergangene Jugendzeiten zurückträumt und absichtlich ihre Tochter und Umgebung provoziert. Das impressionistische Breitband-Gemälde besticht mit Momentaufnahmen von nostalgischer Schönheit, die an Paradzanov erinnern. Für ein bescheidenes Nischendasein ist ein solcher Film zu schade. Bleibt zu wünschen, dass er einen mutigen deutschen kleinen Verleih findet!