Neue Helbert-Postille mit „Sex plus Gewalt plus Lüge“

Das Boulevard-Magazin „X-News“ dient als Anreißer für Pornoseiten im Internet

Noch reißerischer. Härter. Viel aggressiver als die „Bild“ soll sie sein, die Wochenzeitung „X-News“ von Ex-Coupé-Verleger Klaus Helbert. Am 21. Februar kam die erste Nummer raus – 72 Seiten stark im Format der „Bild am Sonntag“. Startauflage: Stolze 1,2 Millionen Exemplare.

Helbert ist sich sicher, eine Marktlücke entdeckt zu haben. An Paparazzi-Fotos und an „sehr persönlichen“ Geschichten über Prominente soll es nicht mangeln: Als Vorbild für Stil und Format dient die englische „Yellow-Press“.

Mit „X-News“, die jeden Donnerstag erscheinen wird und für einen Euro zu haben ist, macht der 35-jährige Verleger eine alte Drohung wahr: Bereits 1994 plante er – mit seiner inzwischen verkauften Wiesbadener Klaus-Helbert-Verlagsgesellschaft (KHV) – eine Boulevard-Tageszeitung herauszubringen. „Blitz“ sollte im Niveau nicht mehr zu unterbieten sein. Doch damals wurde Helbert von seinem 50-Prozent-Partner Heinrich Bauer zurückgepfiffen.

In 10 Jahren so groß wie Bauer

Heute lässt sich Helbert von Niemandem mehr aufhalten. Vor einem Jahr trat er auch die zweite Hälfte der KHV an seinen Hamburger Partner ab. 25 Millionen Euro, so wird geschätzt, soll Helbert für den Verkauf seiner Blätter „Coupé“-, „Blitz-Illu“- und „Piep“ – samt zugehörigem Online-Auftritt – kassiert haben. Mit diesem Geld hat sich der geschäftstüchtige Unternehmer innerhalb weniger Monate einen neuen Medienkonzern aufgebaut: Die „Helbert News Network AG“ (HNN) mit Sitz in Wiesbaden. Dort hat er nun das alleinige Sagen.

„Ich will, dass mein Laden in zehn Jahren so groß ist wie der Bauer-Verlag“ (Jahresumsatz: rund 1,5 Milliarden Euro, Red.), tönt Klaus Helbert. Sein Unterfangen erscheint keineswegs aussichtslos. Ein Erfolg seiner „X-News“ würde ihn seinem Ziel, zum mächtigen Medienzar aufzusteigen, ein großes Stück näher bringen. Er will seinen Idolen nacheifern: CNN-Gründer Ted Turner, Playboy-Erfinder Hugh Hefner und Großverleger Axel Springer.

Unrühmliche Vergangenheit

Das „X“ in „X-News“ steht für Jugend und Sex. Schon bei „Coupé – Die junge Illustrierte“, die Helbert als 18-jähriger Bankkaufmann-Azubi gründete, drehte sich alles um Sex und Gewalt. Das werden wohl auch die zentralen Themen der „X-News“ sein. Dennoch betritt Klaus Helbert Neuland: Angereichert wird die Wochenzeitung mit den Ressorts „Lifestyle / Promis“ und „Aktuelles“ wie Sport, Nachrichten und Politik.

Nachrichten und Politik? Spätestens jetzt müssten beim Deutschen Presserat in Bonn die Alarmglocken schrillen. Denn dort ist Helbert ein alter Bekannter: 16 Rügen haben seine Blätter zwischen 1991 und 2000 für eklatante Verstöße gegen den Pressekodex kassiert. Natürlich hat der umstrittene Verleger keine einzige in seinen Heften abgedruckt, wie es der Kodex vorsieht. „Coupé“ und „Blitz-Illu“ diffamierten Personengruppen („Ich fordere: Entzieht schwulen Friseuren die Lizenz – für immer!“). Gewalt wurde in „unangemessen reißerischer Form“ dargestellt („Grausamer Satans-Kult: Hilflose Waisenkinder bei schwarzen Messen abgeschlachtet!“). Angeblich authentische Reportagen waren in Wirklichkeit völlig frei erfunden („Mein Freund hat bei mir abgetrieben!“).

Der Presserat polterte und warf „Coupé“ vor, das „Ansehen der deutschen Presse“ erheblich zu verletzen. Aber Klaus Helbert ist das egal. Für ihn zählt einzig der Profit. „Warum eigentlich Schmuddelpresse?“, fragte er unschuldig. „Wir haben hohe Verkaufszahlen und zwingen den Leuten unsere Produkte nicht auf. Den Käufern macht „Coupé“ eben Spaß. Und ich finde es toll, wenn sich die Leute freuen.“
Im Helbert-Verlag hatte das Fälschen Methode. Nur äußerst selten wagten sich die Redakteure in die reale Welt vor. So schilderte „Blitz-Illu“ im April 2000 unter der Überschrift „Grausame Mutter ließ ihr Baby erfrieren“ den Fall einer Frau, die mehr als anderthalb Jahre zuvor wegen Totschlags an ihrem Kind zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Mit Foto und voller Namensnennung der Täterin. Zum Zeitpunkt des Abdrucks hatte die Frau bereits etwa die Hälfte der Strafe verbüßt und stand vor ihrer Entlassung zur Bewährung. „Blitz-Illu“ hat ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch den Bericht und dessen reißerische Aufmachung erschwert, urteilte das Mainzer Landgericht und sprach der Frau 20.000 Mark Schmerzensgeld zu.

200 Mitarbeiter gefeuert

Durch die Marktlücke „Sex plus Gewalt plus Lüge“ hat sich der jugendliche „Coupé“-Gründer zum erfolgreichen Verleger aufgeschwungen. Mit 630.000 verkauften Exemplaren erreichte „Coupé“ 1992 ihren Auflage-Höhepunkt. An diese Erfolgsgeschichte will Helbert mit „X-News“ anknüpfen. Dazu teilte seine neue Firma Internolix mit: „Mit extremem Kostenbewusstsein und kleinen Budgets platzierte Helbert hochkommerzielle Titel im Printmarkt und erreichte damit die Marktführerschaft in diesem Segment. Unter diesen Vorgaben wird auch die Wochenzeitung ‚X-News‘ an den Markt gehen.“ Dort wartet Helbert nun mit dem Ressort „Aktuelles“ auf und wagt sich dadurch in die reale Welt vor. Richteten sich seine Attacken bislang fast ausschließlich gegen fiktive Personen, so wird er nun vermutlich existierende Menschen angreifen.

Die Millionen aus dem „Coupé“-Verkauf an Bauer hat Helbert in New-Economy-Firmen investiert. Als Großaktionär übernahm er im Mai die Kontrolle über das börsendotierte Limburger Unternehmen Internolix AG – einen krisengeschüttelten Hersteller von e-Commerce-Software. Mit seinen Aktienanteilen lässt sich Helbert zum Vorstandsvorsitzenden wählen, feuert 200 der einst 222 Mitarbeiter und baut ein zweites Standbein im Bereich „Entertainment“ auf – gemeint ist Internet-Sex. Er vereint die Internolix AG mit seinen Web-Firmen CamPoint AG und Media netCom AG unter dem Dach der Helbert News Network AG.

Einträgliches Internet

CamPoint betreibt eine Porno-Webseite, auf der Mann per Web-Kamera Ostfrauen und ihren Kolleginnen live bei Leibesübungen zusehen kann. Und ihnen dabei Anweisungen geben. Kostet zwei Euro pro Minute. Außerdem gehört der Fernsehsender Single-TV, zu empfangen über die d-Box, zum Unternehmen. Programm: tagsüber „Single-Interviews“ und Musik-Clips, nachts Sexfilme. Media netCom hält zahlreiche Rechte an Pornovideos und betreibt die Internet-Videothek. Schon nach wenigen Monaten zählt Helbert mit seinen kostenpflichtigen Pornoseiten zu der kleinen Minderheit, die im Internet viel Geld verdient. Der Kurs der Internolix-Aktie hat sich in kurzer Zeit fast verdreifacht.

Bislang fehlte Helbert allerdings noch ein Mittel, um eine breite Öffentlichkeit auf sein Internet- und Fernseh-Pornoangebot aufmerksam zu machen. „X-News“ als Massenblatt soll diese Lücke nun füllen. Über Paparazzi-Fotos und Skandalgeschichten in seiner preiswerten Zeitung will er die Leser auf die kostenpflichtigen Internet-Pornoseiten locken und dort sein Geld verdienen. „Während Printprodukte Anreize schaffen oder Neugierde wecken, sind die interaktiven digitalen Produkte individueller auf die Neigungen und Wünsche der Benutzer abgestimmt“, schreibt Internolix. Die Produktfamilien im Internet sind „eine ausgezeichnete Ergänzung zu „X-News“ und versprechen im Verbund spürbare Wachstumsimpulse für die Gruppe“.

Unmenschliche Bedingungen

Neben dem Fälschen der Reportagen war die schonungslose Unterwerfung seiner Angestellten die Grundlage für Helberts Erfolg als Verleger. „Helbert hat von uns die absolute Gefolgschaft verlangt“, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der KHV. „Das ging bis an die Grenze zur Leibeigenschaft.“ Wochenend- und Feiertagsarbeit war eine Selbstverständlichkeit. Gehaltszuschläge oder Freizeitausgleich gab es nicht. Von Urlaubs- und Weihnachtsgeld ganz zu schweigen. „Fünf Stunden Schlaf sind genug“, hatte König Klaus seinen Mitarbeitern befohlen. Die übrige Zeit gehörten die Redakteure der Firma. 70 bis 80 Arbeitsstunden pro Woche waren keine Seltenheit. „Wir sind kein Kindergarten und auch kein Altersheim“, wird Helbert von Mitarbeitern zitiert. Schon beim Vorstellungsgespräch wähnen sich Bewerber mitunter im falschen Film, wenn der Chef tief in seine Anekdotenkiste greift. Noch heute erzählt er gerne die „wahre Geschichte vom Bild-Redakteur“, der sich „am Arbeitsplatz vor lauter Stress erschossen“ hat – um daran die Frage anzuknüpfen: „Fühlen Sie sich geeignet für den anstrengenden Redakteursjob?“

Helberts Redakteure, schrieb der Informationsdienst „Impuls“ der IG Medien, mussten „arbeiten bis zum Umfallen“ und hatten ansonsten „das Maul zu halten“. Wer aufmuckte durfte gehen. Geschasste Mitarbeiter wurden großzügig abgefunden, um peinliche Prozesse wie im Fall des gefeuerten „Blitz“-Chefredakteurs Stimpert zu vermeiden. Der war Helbert zu lasch. Beispiel einer Stimpert-Überschrift: „Heinz Rühmann ist tot – Streit ums Erbe.“ Langweilig. Helbert wollte etwas wie „Rühmanns letzte Worte“. Die wusste allerdings keiner. Egal, kann man ja erfinden. Dann kann man auch gleich noch zwei Frauen hinzu dichten, die an Rühmanns Todestag angeblich Selbstmord begangen haben. Für Stimpert kommt das nicht in Frage. Helbert beleidigt ihn vor versammelter Redaktion als „Stümpert“ und feuert ihn schon nach drei Wochen. Der Fall landet beim Arbeitsgericht. Helbert muss Stimpert 40.000 Mark Abfindung zahlen.

Betriebsrat ein Tabu

Die Gründe für plötzliche Rauswürfe waren kurios. Jörg Jungmann, damals Fachsekretär der IG Medien, erinnert sich an einen Fall: „Eine KHV-Mitarbeiterin bekam zum 40. Geburtstag die Kündigung auf den Tisch. Offensichtlich war die Dame schlagartig zu alt für ‚Die junge Illustrierte‘. Ein anderer Angestellter, erzählt man sich, hatte dem Chef einmal die Tür nicht aufgehalten. Der Unglückliche wurde seither nie wieder im Verlag gesehen. Eine Volontärin wurde gefeuert, weil sie einen Betriebsrat gründen wollte. Doch „Gewerkschaft“ und „Betriebsrat“ sind absolute Tabuworte im Hause Helbert. Noch vor dem Prozess vor dem Wiesbadener Arbeitsgericht kam es zum Vergleich: 25.000 Mark Abfindung, verbunden mit der Zusage, eine Volontärsstelle in einem anderen Unternehmen zu besorgen.

Hilfe suchend wendete sich 1995 eine Gruppe Helbert-Mitarbeiter an die Arbeitnehmer-Vertretung des Heinrich-Bauer-Verlags. „Die Wiesbadener Kollegen schilderten uns die katastrophalen Zustände“, sagt Konzernbetriebsratsvorsitzende Ulla Meyer. „Wir sollten Heinrich Bauer über das menschenverachtende Verhalten seines Partners informieren.“ Wer dem Dauerstress einer Rund – um – die – Uhr – Verfügbarkeit nicht mehr standhalten könne, dem werde gekündigt, schilderten die Wiesbadener. Aus dem Zusammenbruch eines Kollegen am Arbeitsplatz sei auf Anweisung Helberts eine „Realitäts-Foto-Serie“ entstanden. Der Betriebsrat hat Bauer daraufhin einen offenen Brief geschrieben. Es handele sich um interne Angelegenheiten des Helbert-Verlags, auf die man keinen Einfluss habe, ließ der Konzernchef daraufhin ausrichten. Etwa zur gleichen Zeit scheiterten mehrere Versuche der IG Medien, die KHV-Belegschaft durch Flugblattaktionen vor dem Firmensitz zu mobilisieren. Die Wahl eines Betriebsrats konnte Helbert bis zuletzt verhindern.

Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zwangen die meisten Mitarbeiter schon nach einem, maximal zwei Jahren zur Aufgabe. Und doch gab es sie, die Vorbilder für große Karrieren: Markus Tarara stieg vom „Coupé“- und „Blitz-Illu“-Layouter zum Vorstandsvorsitzenden der CamPoint AG und zum Vorstandsmitglied der Internolix AG auf. Was für eine Karriere. Jens Eichler fehlte journalistische Erfahrung und wurde trotzdem von Helbert zum „Coupé“-Chefredakteur befördert. In dieser Position arbeitete er zuletzt für die „Blitz-Illu“, unter Heinrich Bauer. Eichler hatte in Hamburg gekündigt, um bei der „X-News“ erneut den Chefredakteur zu spielen. Doch wie viele Andere vor ihm ist Eichler plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Die Redaktionsgemeinschaft wird nun vom ehemaligen Bild-Unterhaltungschef Manfred Meier geleitet.

Jetzt stellt Helbert für seine „X-News“ wieder junge, ambitionierte und sozial ungebundene Nachwuchsredakteure ein. „Fußvolk“ wurden sie zu KHV-Zeiten genannt: Abiturienten, Studienabbrecher, Berufseinsteiger, die nicht auf den Kopf gefallen sind und ganz ordentlich formulieren können. Die den „trögen“ Lokaljournalismus satt haben und von der Glitzerwelt der Stars träumen. „Äußerst belastbar“, steht in der Stellenanzeige, sollen sie sein.

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