Rückschläge im Ringen um Unabhängigkeit

Die Moderatoren von ERT Nikos Angelidis und Vassiliki Haina bereiten sich auf die erste Sendung vor, die nach der Wiedereröffnung des Senders in Athen am 11. Juni 2015 ausgestrahlt wurde. Der schon immer kritische Agelidis musste Anfang des Jahres seine Morgensendung abgeben. Foto: Reuters/Aikis Konstantinidis

Griechisches Mediengesetz eher inkonsequent – auch ERT gerät unter Regierungsdruck

Beim griechischen öffentlich-rechtlichen Sender ERT wurde ein kritischer Journalist im Januar kaltgestellt. Zudem dominieren seit mehr als zwei Jahrzehnten fünf große Privatsender Griechenlands Medienlandschaft. Die Wiedereröffnung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt ERT und ein letzten Oktober verabschiedetes Mediengesetz sollten der daraus resultierenden einseitigen Beeinflussung der öffentlichen Meinung ein Ende bereiten. Das ist bis heute nicht geschehen.

Stattdessen gilt es, immer wieder neue Hindernisse zu überwinden. So bekam die Vorlage von Staatsminister Nikos Pappas zur Besetzung des Nationalen Rundfunk- und Fernsehrates Mitte Januar nicht die nötige Zustimmung von vier Fünfteln der Mitglieder des zuständigen parlamentarischen Gremiums. Die Regierung kündigte daraufhin an, die anstehende Vergabe der Sendelizenzen am Rundfunkrat vorbei durch das Parlament vornehmen zu lassen. Mit einer entsprechenden Gesetzesvorgabe wird bereits in den nächsten Tagen gerechnet.
In der Debatte ging es weniger um Personalfragen, als vor allem um die Zuständigkeiten des Rundfunkrates. Nach dem bereits im Oktober 2015 verabschiedeten Mediengesetz hat dieser nur die Aufsicht über die geplante Vergabe landesweiter Sendelizenzen, mit denen eine herrschende Grauzone im griechischen Fernsehen abgeschafft werden soll. In der Opposition dagegen wird die Verlagerung von bei Staatsminister Pappas verbleibenden Kompetenzen, beispielsweise die Festlegung der Anzahl der Lizenzen, auf den Rundfunkrat gefordert. Die Regierung warf der Opposition vor, die bisherigen Verhältnisse beibehalten zu wollen.
Seit Einführung des Privatfernsehens in Griechenland in den neunziger Jahren arbeiten die Sendeanstalten mit provisorischen Lizenzen, für die überdies keine Gebühren erhoben werden. Alle fünf großen Kanäle gehören Konzernen, die auch in anderen Wirtschaftsbereichen etwa in der Baubranche oder der Ölproduktion tätig sind. Hauptaufgabe dieser Sender ist es, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die jeweiligen Regierungen im Interesse der Konzerne unter Druck zu setzen. Die Spitze des Eisbergs bildete dabei die „Berichterstattung“ im Vorfeld des im Juli vergangenen Jahres abgehaltenen Referendums über die Annahme oder Ablehnung der an Griechenland von seinen ausländischen Gläubigern gestellten Bedingungen für weitere Kredite. Alle fünf Privatsender reduzierten ihr Programm fast ausschließlich auf Informationssendungen und Talkshows zur anstehenden Volksbefragung, in denen so gut wie kein Vertreter derjenigen zu Wort kamen, die gegen die Gläubigerforderungen votierten.
In den Jahren üppiger Werbeeinnahmen war der Betrieb eines Fernsehsenders zudem eine Goldgrube. Seit der Krise sind die Spielwiesen der Bauunternehmerfamilie Bobolas, des Reederclans Alafouzos, der Ölmagnatenfamilie Vardinogiannis, des Medienmoguls Psycharis und der in diversen Wirtschaftsbereichen umtriebigen Familien Kontominas und Kyriakou allerdings Verlustunternehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Firmen hat dies ihrer Kreditwürdigkeit bei den griechischen Banken jedoch nicht geschadet.
Damit soll jetzt Schluss sein. In den Besitz einer der begehrten Lizenzen kann nur ein als Aktiengesellschaft konzipierter Sender bei Nachweis der wirtschaftlichen Tragfähigkeit gelangen. Diese schließt auch die Begleichung der in Zukunft fälligen Lizenzgebühren ein, deren Höhe allerdings noch nicht festgelegt wurde. Außerdem wird der Nachweis über die erforderliche technische Einrichtung gefordert und eine Untergrenze für die beim Sender Beschäftigten eingeführt, aufgegliedert nach den verschiedenen Kategorien (Redaktion, Technik, Verwaltung etc.). Eine „objektive“ Berichterstattung ist damit natürlich noch nicht gewährleistet, wie auch die Athener Journalistengewerkschaft ESIEA kritisch anmerkte. Immerhin aber werden die gar nicht so heimlichen Herrscher Griechenlands in Zukunft für die Eigenpropaganda zur Kasse gebeten.
Die objektive Berichterstattung und die Unabhängigkeit des Journalismus hatte sich dagegen die im Juni vergangenen Jahres wiedereröffnete öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ERT auf die Fahnen geschrieben, wie auch aktuell auf der Website der dju in ver.di berichtet wurde.
Genau zwei Jahre nach der handstreichartigen Schließung des in der Krise vom Regierungssprachrohr zum Kritiker mutierten Staatssenders ging die ERT wieder „On air“. Ein Teil der wiedereingestellten Belegschaft, die in den Jahren dazwischen in Eigenregie den alternativen Sender ertopen betrieben hatten, äußerten sich jedoch bereits damals schon skeptisch, was eine kritische Berichterstattung gegen die neue linke Regierung angeht.
Ihre Bedenken haben sich in der Zwischenzeit leider bestätigt. Wichtige Mitarbeiter, wie beispielsweise der Moderator der abendlichen Hauptnachrichtensendung Panos Charitos mutierten zum Hofberichterstatter des Kabinetts von Alexis Tsipras. Eine der führenden Figuren im Kampf um die Wiedereröffnung und mittlerweile unliebsamer Kritiker der 180-Gradwende von Ministerpräsident Tsipras in Sachen Austeritätspolitik wurde in die hintere Reihe geschoben. Mit Wirkung vom 18. Januar wurde die Morgensendung von Nikos Angelidis durch ein neues Format mit anderer Besetzung ersetzt. Der unbequem gewordene Journalist muss nun die zweitrangige Nachrichtensendung am Nachmittag moderieren. Ein Lebenskreis „einer der intensivsten“ schließe sich am Freitag, den 15. Januar, heißt es im von Angelidis auf Facebook veröffentlichten „Abschiedsbrief“. Von „der Gesellschaft“ aber wollte sich der kämpferische Redakteur nicht verabschiedet wissen. Seit der Wiedereröffnung des Senders habe er „mit all seinen Kräften, ohne sich zu verbiegen dafür gekämpft, unseren Mitbürgern das zu geben, was sie verdienen. Eine eigene Stimme.“

Zuletzt aktualisiert am 27.01.2016 um 10:21

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »