Spätsommer irgendwo in der Uckermark. In den Baumwipfeln rauscht es, Wäsche trocknet an der Leine, Kinder baden im See, Mücken spielen im Wiesengrün. Eine Idylle, und doch liegt ein Hauch von Melancholie in der Luft. Starr blickt Anna, die mit ihrem zweiten Mann und ihrem Sohn ein Landhaus im Wald bewohnt, ins Grüne, über all das sinnierend, was einem wohl durch den Kopf gehen mag, wenn man nicht mehr jung ist: Lebensenttäuschungen, Fehlentscheidungen, Alter und Tod. Eine Stimmung, aus der auch ihre erwachsenen Töchter aus erster Ehe, der Schwiegersohn und die Enkel Anna nicht herausreißen werden, die nach und nach zum großen Familientreffen anreisen.
„Ferien“, der jüngste Film des Deutschtürken Thomas Arslan, bezeugt eine zarte Poesie und Nachdenklichkeit wie die Theaterstücke des russischen Dramatikers Anton Tschechow. Vor allem an dessen „Kirschgarten“ fühlt man sich sehr erinnert, wie so die Gäste nach und nach in dem Landhaus eintreffen, allmählich schwelende Konflikte und Lebenslügen aufbrechen, schließlich alle Wege wieder auseinanderdriften.
Jeder steckt in einer Krise, einmal abgesehen von den Kindern, die unbeschwert durch den Garten tollen. Vor allem Annas Tochter Laura wirkt stets angespannt. Sie kann von ihren Übersetzungen nicht leben und eröffnet ihrem Mann Paul, dass sie eine Affäre mit einem anderen hat. Ihrer Mutter hält sie Müßiggang vor, mit ihrer Schwester Sophie kommt es zum Streit über den jahrzehntelang abwesenden Vater. Das alles entfaltet der Film in angespannter Stille. Nur selten kommt es zu einer Eskalation oder lautstarken Aussprache. Die schlechten Nachrichten, die Kümmernisse – sie wirken wie paralysierend auf die Figuren, die für sich allein an ihren Problemen nagen. Ebenso starr wirkt auch die Kamera, die ihnen oftmals dabei zuschaut, wie sie aus dem Bild laufen, anstatt ihnen zu folgen. Dabei wirkt nichts in diesem leisen Drama künstlich oder konstruiert. Vielmehr kommt es beinahe unspektakulär alltäglich daher wie das Leben selbst, getragen von einem erstklassigen Schauspielerensemble.
Nur dann und wann kommt es zu innigen Momenten, wenn sich Anna liebevoll um ihre schwer kranke Mutter kümmert, die sie – nicht gerade zur Begeisterung ihres Mannes – ins Haus holt, um sie zu pflegen. Oder wenn sie im Krankenhaus noch ein paar Fotos von der Sterbenden macht.
Verständnis füreinander oder das Gefühl von Fremdheit – das arbeitet dieses tiefgründige, subtile Kammerspiel wunderbar heraus – ist eben auch eine Sache des Alters, da nun mal die Lebenswelt eines älteren Menschen eine ganz andere ist als die eines noch unbedarft jüngeren, der noch viele Neuanfänge starten kann. Das erste Liebesleid von Annas noch pubertärem Sohn Max, es ist schnell überwunden. Die Brüchigkeiten in den Beziehungen der Erwachsenen lassen sich schwerer kitten.
Der Tod der Großmutter bringt Anna und ihre Töchter für Augenblicke noch einmal etwas näher, aber letztlich sind alle am Ende noch viel, viel einsamer als schon bei ihrer Ankunft. Nur die Natur mit ihren wiegenden Baumkronen und den sonnenerleuchteten Feldwegen wirkt unverändert schön und friedvoll.