Die Verschwörung der Journaille zu Berlin

Weg- und hochgeschrieben

Ein politisches Tagebuch, so definiert Gerd Hofmann seine akribische Zusammenstellung der Ereignisse um die Neuwahlen im Jahr 2005. Der Berliner Fernsehkorrespondent verfolgte zwischen dem 22. Mai (der Ankündigung der vorgezogenen Bundestagswahl durch die SPD) bis zum Wahltag im September, wie die Medien den Noch-Kanzler Gerhard Schröder ab- und die heutige Kanzlerin Angela Merkel hoch schrieben.

Höchst detailliert, aber bei weitem nicht vollständig, wie der Autor selbst einräumt, und schon gar nicht frei von eigener Meinung arbeitet Hofmann: „Die subjektive Sicht ist dabei Prinzip.“
Auch die Kollegenschelte für die Journalisten, die sich in zahlreichen Talkshows nicht selten als die besseren Politiker profilieren wollten. Allen voran der Stern-Mann Hans-Ulrich Jörges, den Hofmann besonders gerne als Beispiel für die Wendehals-Mentalität einiger politischer Journalisten ins Feld führt: „Multi-Meinungs-Talent“, „Berufs-Zwischenrufer“.

Ob gesendet oder gedruckt: Hofmann findet überall Belege, die seine Theorie trefflich stützen – dass die Medien das Wahlergebnis beeinflusst haben. Und keine Frage, selbst wer nicht jeden Zeitungsausschnitt gesammelt hat, konnte beim täglichen Nachrichtenkonsum feststellen, dass die Zahl der Rot-Grün-Kritiker nach dem 22. Mai erheblich zunahm.
Der Chefkorrespondent von RTL und N-TV zieht nach 460-Seiten ein klares Fazit: „Möglicherweise wäre bei einem weniger angreifbaren Agieren des deutschen politischen Journalismus gar ein gewisser Gerhard Schröder noch Bundeskanzler. Es fehlte nur ein Prozentpunkt. Insofern haben die publizistischen Macher einen Teilerfolg erzielt: „Sie haben ihn weggeschrieben.“ Leidtragende, folgert Hofmann, sind nicht nur die Politiker: „Mein Berufsstand hat sich selbst beschädigt und fährt munter damit fort.“

Info:

Gerhard Hofmann: Die Verschwörung der Journaille zu Berlin
Bouvier 2007. 470 Seiten kart., 29,00 €

Weiterer Buchtipp:

Lutz Hachmeister: Nervöse Zone.
Politik und Journalismus in der Berliner Republik DVA 2007, 282 S. broschiert, 16,95 €

 
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »