„Die Nürnberger hängen keinen – es sei denn, sie hätten ihn“

40 Jahre Deutscher Presserat – viel Kritik und wenig Alternativen

Es gibt Institutionen, die ständig Kritik auf sich ziehen, für deren Abschaffung jedoch am Ende kaum einer eintritt. Dazu zählt der Deutsche Presserat. Der regelmäßige Verzicht auf die Forderung nach Abschaffung ergibt sich vermutlich aus einem Vakuum: niemand hat eine Alternative anzubieten, die erstens machbar ist, die zweitens wirksamer ist und die drittens zum Teil sich widerstreitende Ansprüche in sich vereinigen kann. Aber besser machen sollte der Presserat schon alles. Das ist ein faires Verlangen, zumal ihm schwerwiegende Fehler – folgt man den Kritikern – kaum unterlaufen.

Machtlos? Wirkungslos?

Auf Podien und in Seminaren, in Aufsätzen und Artikeln ist es immer wieder zu hören und zu lesen: Der Presserat sei relativ machtlos und weitgehend wirkungslos. Was für viele schon doppelt gemoppelt ist. Erstens erwische er nicht alle Sünder. Zweitens, wenn er sie erwische, kämen sie zu gut davon und (ergo!) sündigten sie in einem fort. Und drittens würde trotz der 40 Jahre Existenz des Presserats immer noch gesündigt. Die Institution habe die Presse offensichtlich nicht Mores lehren können.Zu erstens: Wer alle Sünder erwischen will, muß ein dafür geeignetes Instrument haben. Eine Art Überwachungsbehörde böte sich an, deren MitarbeiterInnen Tag für Tag und Woche für Woche alle Presseprodukte filzten. Willkür bei der Auswahl brauchten sie sich kaum vorwerfen zu lassen – es sei denn, sie mißbrauchten das Instrument. Was in der Pressegeschichte als Form der Zensur schon vorgekommen sein soll. Vorgeschlagen hat das noch keiner. Aber viel Kritik hat der Presserat schon einstecken müssen, weil er den Lesern und „Opfern“ in der Regel die Auswahl der Sünden und Sünder überläßt. Da kommen zwangsläufig viele ungeschoren davon.Mit dem „Zufallsverfahren“ wird aber sichergestellt, daß niemand sich sicher fühlen kann, daß niemand sich überwacht fühlen muß und daß der Presserat frei vom Willkürvorwurf bleibt.Zu zweitens: Das Bild vom prächtigen Wappentier, das sein Maul aufreißt und am Ende nicht zubeißt, begleitet den Presserat schon eine gute Weile als symbolisierte Kritik (gelegentlich auch lammfrommer Pazifisten): von seinen Hinweisen und Mißbilligungen nach einem festgestellten Regelverstoß erführen nur BeschwerdeführerIn, VerlegerIn und die kritisierte Redaktion. Die in der Regel öffentlichen Rügen drucke (immer noch) nicht jedes betroffene Blatt ab; und wenn, dann versteckt und so spät, daß sich kaum ein Leser mehr an den Anlaß erinnert. „Strafen müssen weh tun“ murmelt mancher Enttäuschte. Als Pein wird dabei so ziemlich das gesamte Arsenal von Straf- und Standesrecht: von der „saftigen Geldbuße“ bis zum „Verbot der Berufsausübung“ genannt … Vorgeschlagen werden die Strafen allerdings nie von Journalisten und Verlegern.

Staatsanwalt oder Selbstkontrolle?

Niemand der Enttäuschten und Kritiker möchte allerdings selbst vom Löwen gebissen werden … Und schon gar nicht von diesem. Denn – bitte schön – wer davon bedroht sein könnte, müsse wenigstens in einem der Strafprozeßordnung vergleichbaren Beweisverfahren überführt werden und in einem Instanzenzug gegen Fehlurteile kämpfen können. D’accord! Dann aber auf der Basis von Gesetzen mit der zwangsläufigen Zuständigkeit von Staatsanwälten und Gerichten. Bei der Vorstellung, daß Pressegesetze in Kraft gesetzt und die Qualitätskontrolle journalistischer Arbeit Staatsanwälten überlassen werden könnte, werden viele doch wieder von der Liebe zur (unvollkommenen) Selbstkontrolle erfaßt. (Sehr viel schneller als beim Presserat ginge das ja obendrein nicht.) Die Sympathisanten für Pressegesetze, Staatsanwälte und Gerichte sind vor allem außerhalb der Presse zu finden. Zum Beispiel in Teilen der Gesellschaft, die gerne wieder etwas mehr unter sich wären und unbehelligt von „demokratischen Umtrieben“ ihre Geschäfte machen möchten.Und daß es bei hartem Biß keine Sünder mehr gäbe, bleibt mit Blick auf das Verhältnis von Strafgesetzen, Strafvollzug und Kriminalität zumindest zweifelhaft. Die unvollkommene Prävention läßt sich sogar in Ländern mit Todesstrafe beobachten. Daß andererseits mit milden, dialogischen Mitteln etwas bewirkt werden kann, wird nicht zu bestreiten sein.

Aktualität?

Und soweit es die Aktualität betrifft: Der Pranger wirkt mit der Bekanntgabe einer Rüge und mit der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung. Die Mitteilung über eine Rüge des Presserats an die eigenen Leser bleibt zwar immer noch ein peinlicher und gewollter Akt. (Zumindest spricht die Anstrengung von Verlegern bei der Abwehr von Rügen-Urteilen für diese Annahme.) Die kritischen Buchhalter der Rügenstatistik und Verteidiger des Vollkommenheitsideals sollten aber beachten, daß sich die Medienwelt auch ein wenig zum Positiven gewendet hat: Der Krähen-Grundsatz ist nicht mehr vollkommen wirksam. Mehr und mehr berichten Medien auch kritisch über Medien und stellen Öffentlichkeit für Rügen des Presserats aktuell her.

Konsequenzen?

Zum Schluß: Es gibt für den Presserat ein schwerwiegendes objektives Problem. Er bleibt angreifbar für die Behauptung der Unwirksamkeit, weil er seine Wirksamkeit nicht beweisen kann. Er erfährt in der Regel nicht, was seine nicht veröffentlichten Entscheidungen (das sind die weitaus meisten!) genau bewirken und auslösen. Aussagen machen dazu könnten viele hundert Redaktionen und Verlage, die der Presserat in Wahrnehmung der Pressefreiheit gegen ungerechtfertigte Angriffe, Begehrlichkeiten und vermeintlich gerechtfertigte Ansprüche erfolgreich verteidigt hat. Zeugnis geben könnten auch jene, die aus der diskreten oder offenen Kritik des Presserats diskret Konsequenzen gezogen haben. Sagen könnten auch etwas jene dazu, denen über den Presserat Genugtuung widerfahren ist.Diese Wirksamkeit ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß über einschränkende Pressegesetze in den Gesetzgebungsorganen ständig nachgedacht und daß entsprechende Forderungen regelmäßig von den „Löwen-Fans“ kommen. Bei aller berechtigten Kritik am Presserat – Journalisten und Verleger sollten genau darauf achten, wem sie das Wasser auf die Mühlen schütten.Alles dies tröstet die Opfer von Mißbrauch der Pressefreiheit nicht. Alternativvorschläge sind aber weiter gefragt.


 

  • Manfred Protze gehört seit zehn Jahren für die dju bzw. die IG Medien dem Presserat an und ist zur Zeit Sprecher des Beschwerdeausschusses des Presserats, den die IG Medien jährlich abwechselnd mit dem DJV stellt.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »