Nach einem Jahr: Der Mindestlohn wirkt

„Wir befinden uns mit dem gesetzlichen Mindestlohn nicht auf dem prophezeiten Holzweg, sondern auf dem Wachstumspfad“, erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gestern in der Berliner ver.di-Zentrale. Die positive Bilanz untermauerte sie auf einem tarifpolitischen Kooperations-Workshop von Hans-Böckler-Stiftung und ver.di mit aktuellen Arbeitsmarktzahlen.
Allein in der Hotel- und Gaststättenbranche, die vor Einführung der Lohnuntergrenze die lautesten Klagelieder angestimmt habe, sei zwölf Monate später ein Plus von 61 000 Stellen, das entspricht 6,6 Prozent Zuwachs, zu verzeichnen. Parallel habe es in der Branche Umsatzsteigerungen gegeben. Die Arbeitslosenquote sinke bundesweit bei einem gleichzeitigen Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Lediglich die Zahl der Minijobs sei rückläufig, doch das sei gewollt, so die Ministerin. Dennoch bleibe noch etliches zu korrigieren im prekären Beschäftigungsbereich. Mit der Gesetzesnovelle zu Werkverträgen und Leiharbeit solle Missbrauch ein Riegel vorgeschoben und eine weitere Zergliederung von Arbeitsprozessen aufgehalten werden. „Das betrifft keinesfalls nur den Bereich der Medien“, wo das bekanntlich besonders krass auftritt. „Auch in der Chemieindustrie werden ganze Schichtbelegschaften in Werkvertragsarbeiter umgewandelt“, so Nahles.
Zuvor hatte Referatsleiter Thorsten Schulten eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zu „Ein Jahr Mindestlohn in Deutschland“ vorgestellt. „Der Mindestlohn wirkt so, wie die Befürworter erhofft und nicht, wie die Kritiker befürchtet haben“, resümierte er. Es sei ein Zuwachs an 700 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und ein Rückgang von 130 000 Minijobs zu konstatieren. Die Studie belege auch positive tarifpolitische Auswirkungen.
„Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn energisch verteidigen und dafür sorgen, dass er weiterentwickelt wird,“, sagte ver.di-Vize Andrea Kocsis. Seit mehr als zehn Jahren habe ver.di um die Lohnuntergrenze gekämpft. Nun stehe die Forderung, sie möglichst zügig auf 10 Euro zu erhöhen. Außerdem habe die Gewerkschaft „keinerlei Frieden mit den Ausnahmen vom Mindestlohn gemacht“, wie sie etwa für die Zeitungszusteller gelten. Eine Ausweitung von Ausnahmetatbeständen sei erst recht nicht akzeptabel, sagte sie mit Blick auch auf Flüchtlinge. „Der Mindestlohn steht für den Wert der Arbeit“ und sei nicht nach der individuellen Lebenssituation von Arbeitnehmer_innen differenzierbar.

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