Seuchen sind in aller Munde dieser Tage. Sie sind hoch ansteckend, und wenn sie sich unbegrenzt ausbreiten, heißen sie Pandemien.
Mit solchen Merkmalen kann es ein Wort weit bringen: Im Fall der Schweinegrippe nicht nur monatelang in die Schlagzeilen, sondern anschließend bis auf Rang drei der Gesellschaft für Deutsche Sprache bei deren Wahl zum „Wort des Jahres 2009“. Auch das „Unwort des Jahres 2009“ kommt nicht ohne Seuche aus: „Betriebsratsverseucht“. Einem Beitrag des Fernsehmagazins Monitor zufolge wurde es in einer Baumarktkette von einem Chef Kollegen zugeschrieben, die von einer Filiale mit Betriebsrat an einen Firmenstandort ohne Betriebsrat wechselten.
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, und der Zynismus, ohne den ein solches Unwort unerfindlich wäre, wird zu Recht aus fast allen Richtungen gegeißelt. Ein Teilaspekt der missratenen Wortwahl aber hat auch sein Gutes: Kompetente Betriebsratsarbeit wirkt nicht nur punktuell, sondern breit. Ihre Wirkung zieht Kreise in Gruppen, Abteilungen, Betrieben, Unternehmen, Konzernen. Der Versuch, Betriebsratswahlen und Betriebsratsarbeit als Seuche zu diffamieren, entlarvt auch die Angst des Unwortschöpfers vor der Kraft, mit der sich Betriebsratsarbeit ausbreiten und seine Macht beschränken kann. Insofern kommt das „Unwort des Jahres“ zur rechten Zeit ans Tageslicht. Denn in diesem Frühjahr werden in Deutschland turnusgemäß neue Betriebsräte gewählt – auch in der Medienbranche.
In Verlagen, privaten Rundfunksendern, filmtechnischen Betrieben und Kinos endet in Kürze die Amtszeit der meisten 2006 gewählten Gremien. Die Betriebsräte haben keine einfache Wahlperiode hinter sich. Rigides Kostenmanagement auch in wirtschaftlich gesunden Unternehmen zwang die betrieblichen Arbeitnehmervertreter und die Gewerkschaften in schwierige Kämpfe. Tarifflucht durch Leiharbeit oder Ausgliederung, Organisationsumbau und Personalabbau: Immer waren und sind auch die Betriebsräte gefordert. In solchen Zeiten sind Sozialpläne zum Ausgleich oder zur Milderung der Folgen von Managerentscheidungen nicht das einzige Beispiel, aber ein sehr anschauliches für die Notwendigkeit von Betriebsräten, denn: Kein Betriebsrat, kein Sozialplan.
Einen Zwang zur Einsetzung von Betriebsräten kennt das Gesetz nicht, die Belegschaft oder wenigstens ein paar Arbeitnehmer/innen des Betriebs müssen die Wahl schon selbst in die Hand nehmen. Wer das be- oder verhindert, macht sich strafbar. Die Rechtslage ist also komfortabel, komfortabler als manchmal die betriebliche Wirklichkeit, denn beileibe nicht alle Chefs handeln rechtskonform. Eine gewisse Portion Courage gehört neben der qualifizierten Beratung und Begleitung durch die Gewerkschaft also dazu. Ein prominentes Beispiel dafür aus der Verlagswelt lieferten jüngst Kolleginnen und Kollegen des Nachrichtenmagazins Focus, die angesichts erwarteter Umwälzungen im Unternehmen erstmals einen neunköpfigen Betriebsrat gewählt haben. Vielleicht noch mutiger setzten im vergangenen Jahr Zusteller eines privaten Postdienstes in Oldenburg erstmals einen Betriebsrat durch: Bei der Nordwest Post- und Presselogistik (NWPP), einem abgespaltenen Betriebsteil einer Zustellgesellschaft, die zur Unternehmensgruppe der Nordwest-Zeitung gehört.
Nicht klein beigeben
Nicht zu unterschätzen ist auch der rechtliche Rahmen, in dem gewählte Betriebsräte agieren (können). Forderungen nach Ausweitung der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte sind berechtigt, zumal in der Medienbranche mit den Einschränkungen der Betriebsratsrechte durch den so genannten Tendenzschutz (§ 118 Betriebsverfassungsgesetz), der zum Beispiel in Verlagen den Anspruch auf einen Wirtschaftsausschuss beseitigt. Dennoch ist das vorhandene Regelwerk ein nützlicher Werkzeugkoffer, der keineswegs Foltergeräte für irgendeine Partei enthält, sondern Instrumente für einen fairen Ausgleich der Interessen mit zivilisierten Methoden. Wenn dieser Ausgleich in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber nicht zustande kommt, braucht der Betriebsrat beileibe nicht klein beizugeben. Ein Arbeitgeber der dem BR die kalte Schulter zeigt, riskiert in vielen Fällen den Gang in die Einigungsstelle – ein Verfahren, das viele Arbeitgeber auch der Kosten wegen scheuen. Sie stehen dann vor der Wahl, doch noch einzulenken oder sich dem ungewissen Spruch der paritätisch besetzten Einigungsstelle mit einem neutralen Vorsitzenden zu unterwerfen und das Verfahren obendrein zu bezahlen. In einem solchen gesetzlichen Rahmen die Arbeitsbedingungen im Betrieb mit zu gestalten, ist eine reizvolle Aufgabe für Betriebsratsmitglieder, und viele von ihnen empfinden Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats auch als eine Art Entschädigung für Sorgen und Belastungen, die das Amt als Interessenvertreter im Betrieb ebenfalls zuweilen mit sich bringt.
Die im Betriebsverfassungsgesetz verankerte Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber (übrigens „im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen“, wie es in § 2 BetrVG heißt) wird von Arbeitgebervertretern gern missverstanden oder bewusst umgedeutet in eine einseitige Pflicht des Betriebsrats zum Entgegenkommen oder gar Verzicht. Sie bindet aber beide Seiten gleichermaßen und lässt keinen Raum für Seuchenvergleiche. Gleichwohl werden immer wieder Versuche ruchbar, Kollegen gegen die Verbreitung von Betriebsräten und ihrer Arbeit zu „impfen“.
Gerade neu gewählte Betriebsräte werden demnächst vor der Aufgabe stehen, sich in Betriebsratsschulungen mit den Werkzeugen des Betriebsverfassungsgesetzes und ihren Handlungsmöglichkeiten vertraut zu machen. Die ver.di-Tochter Bildung und Beratung (ver.di b + b) sowie die ver.di-Bildungswerke haben Seminarprogramme auch speziell für neu gewählte Betriebsratsmitglieder aufgelegt. Wissen stärkt auch das Immunsystem.
Links zum Thema
http://br-wahl.verdi.de/
http://www.verdi-bub.de/
Infobox
Ulrich Janßen
ist Betriebsratsvorsitzender der Nordwest-Zeitung (Oldenburg) und Bundesvorsitzender der dju in ver.di.