Weniger Demokratie wagen

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Mit dem Slogan „Medienvielfalt stärken – Meinungsfreiheit sichern“ ist die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD angetreten.  Keine Koalitionsvereinbarung ohne Bekenntnis zur „flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten“. Aber halt: Hieß es nicht bei der Ampel (und der letzten Merkel-Regierung!) noch „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“?

Meinung

Von staatlicher Vertriebsförderung für Printmedien ist aber längst keine Rede mehr. „Die Herausforderungen der Zustellung der Zeitungen werden wir mit den Verlagen erläutern“? Diese schiefe Formulierung – gemeint ist vermutlich „erörtern“ – markiert wohl definitiv das Aus für die Hoffnungen der Verleger, doch noch aus öffentlichen Subventionstöpfen alimentiert zu werden.

Kassiert wurde nebenbei auch das ursprüngliche Versprechen, „die Mehrwertsteuer auf gedruckte und digitale periodische Presseprodukte auf null Prozent“ zu senken. Geschenke im Volumen von geschätzten 700 Millionen Euro mag sich der trotz Lockerung der Schuldenbremse klamme Staat nicht mehr leisten. Ein „Tritt in den Hintern“ der „unabhängigen Presse“, wie die FAZ indigniert attestiert.

Ein Evergreen ist auch das Gelöbnis, Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen. Eine entsprechende Forderung nach Anerkennung von Non-Profit-Journalismus war in der Ampel-Regierung vor allem von den Grünen verfolgt worden und verlief letztlich im Sande. Ob die Neuauflage des Projekts ausgerechnet von einer „christsozial“ geführten Regierung durchgesetzt wird, erscheint eher zweifelhaft.

„Dem Medienstandort zugutekommen“ soll eine „Abgabe für Online-Plattformen, die Medieninhalte nutzen“. Offenbar die  etwas verschämt daherkommende Überlegung, Google, Facebook & Co. eines Tages doch noch mal für das Absaugen des deutschen Werbemarktes zur Kasse zu bitten. Da es sich aber vorsichtshalber nur um einen Prüfauftrag handelt, müssen die US-BigTech-Oligopole davor wohl ebenso wenig zittern wie vor dem faktisch in der Versenkung verschwundenen deutschen Leistungsschutzrecht.

Einiger Zündstoff verbirgt sich hinter der harmlos daherkommenden Ankündigung, eine „wettbewerbsrechtliche Bereichsausnahme“ für Kooperationen im öffentlich-rechtlichen zu schaffen sowie auch „Kooperationen privater Medienhäuser“ zu erleichtern. Damit könnten zum Beispiel Projekte wie eine gemeinsame Streaming-Plattform von ARD und ZDF oder der privaten Marktführer ProSiebensat.1 und RTL wieder aufleben. Noch 2013 war die von ARD und ZDF geplante gemeinsame Online-Videothek „Germany’s Gold“ mit Film- und TV-Highlights der vergangenen 60 Jahre am Veto der Kartellwächter gescheitert.

Auffällig im Koalitionspapier wirkt neben dem erwartbaren Bekenntnis zum dualen Mediensystem und einem „pluralen“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Betonung „fairer Regulierungs- und Refinanzierungsbedingungen für private Medien“. Der Verzicht auf „zusätzliche Werbebeschränkungen“ kann als Beleg für erfolgreiche Lobbyarbeit der Kommerzfunker gewertet werden. Die Ampel-Koalition hatte zuvor noch zum Verdruss vor allem der Privaten das Ziel verfolgt, Werbung für ungesunde, an Kinder gerichtete Lebensmittel einzuschränken.  Eine letzte Niederlage des abgetretenen Grünen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir.

Wie befürchtet, blieben auch diesmal die Forderungen der Mediengewerkschaften nach dem überfälligen Bundespresseauskunftsgesetz unerfüllt. Allzu viel öffentliche Kontrolle und Transparenz der Regierungsarbeit sind in der schwarz-roten Koalition offenbar unerwünscht.  Vorsicht geboten erscheint bei der Absichtserklärung, man wolle das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) „in der bisherigen Form (…) mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren“. Gemessen am ursprünglichen Verhandlungspapier der Koalitionäre – da war noch von „Streichen“ die Rede – klingt das zunächst mal nach Entschärfung. Bürger*innen, Medienverbände und Zivilgesellschaft sollten aber aufmerksam prüfen, ob und welcher „Mehrwert“ für sie bei der Reform erzielt wird. Falls dabei ein Transparenzgesetz mit weitergehenden Veröffentlichungspflichten herauskommt, umso besser.

Positiv zu werten ist selbstredend das Gelöbnis, sich „für sichere und gute Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten“ einzusetzen. Die Möglichkeit, eine „Auskunftssperre im Melderegister“ zu erwirken, soll für besseren Schutz sorgen. So weit, so gut. Aber auch so dünn. Was genau sind sichere und gute Arbeitsbedingungen? Wie steht es mit prekärer Beschäftigung, Tarifflucht der Verlage, Medienkonzentration, physischen Attacken auf Journalist*innen? Mit vagen Absichtserklärungen ist den Medienschaffenden nicht geholfen.

Im Fall der europäischen SLAPP-Richtlinie, die es erschweren soll, Medien mit Klagen einzuschüchtern, hat die Koalition die Absicht immerhin leicht konkretisiert. Zwar muss Deutschland diese Richtlinie ohnehin durchsetzen, doch das soll laut Koalitionsvereinbarung jetzt „zeitnah“ geschehen, „um zu verhindern, dass unser Rechtsstaat und unsere Justiz zur Einschüchterung, zum Beispiel von Journalisten sowie zivilgesellschaftlich Engagierten, missbraucht werden“.

Besonders ausführlich widmet sich der Koalitionsvertrag dem Problemkomplex Desinformation und Fake News in sozialen Netzwerken. Beide werden als „ernste Bedrohungen“ für Demokratie, Institutionen und gesellschaftlichen Zusammenhalt angesehen. Einige normative Leitsätze erscheinen allerdings selbst gefährlich für das, was sie zu schützen vorgeben. Etwa wenn es heißt: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“

Ein Leitsatz, der gleich mehrere Verständnis- und Definitionsfragen nach sich zieht: Wer bestimmt, was „bewusst falsch“ ist? Wo liegt die Grenze zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung? Der Graubereich ist bekanntlich recht breit, eine saubere Abgrenzung oftmals kompliziert. Was heute als Lüge diffamiert wird, kann schon morgen als legitime Position anerkannt sein. Die „Laborthese“, zu Coronazeiten als Verschwörungserzählung gebrandmarkt, gilt zum Beispiel heute als plausibel bis wahrscheinlich.

Ähnlich gruselig klingt die Vorstellung einer „staatsfernen Medienaufsicht“, die „unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können“ soll.  Hass und Hetze? Für Medienrechtler sind das pseudojuristische Formeln, schwammige Begriffe, die Willkür und Rechtsmissbrauch Tür und Tor öffnen können.

Schlimmer: Es drängt sich der Verdacht auf, die schwarz-rote Koalition wolle unter dem Vorwand eines Kampfes gegen die Bedrohung von Demokratie und Institutionen vor allem sich selbst schützen –  vor lästiger Kritik durch die  außerparlamentarische Opposition. Was auf einer Linie liegt mit der in den letzten Jahren dramatischen Verschärfung des Strafrechts:  durch neue Straftatbestände wie „Ehrschutzdelikte“ und Kriminalisierung der „Politikerbeleidigung“.

Wenn die Beschimpfung des Grünen-Politikers Robert Habeck als „Schwachkopf“ beim Urheber dieser „Frechheit“ eine Hausdurchsuchung plus Geldstrafe nach sich zieht, wenn ein läppischer, auf den ersten Blick als Fake erkennbarer Post einer satirischen Montage mit dem Konterfei von Ex-Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein bayerisches Gericht veranlasst, gegen den Delinquenten eine Haftstrafe von sieben Monaten auf Bewährung  zu verhängen, dann hat das mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nichts mehr zu tun.  Achtsamkeit erscheint angebracht, damit die Meinungsfreiheit – entgegen allen Absichtserklärungen  – vor lauter staatlicher Regulierungswut nicht unter die Räder kommt.

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