Kopierwerk – wie lange noch?

Aussterbende Berufe, weniger Arbeitsplätze, Qualifizierungschancen

Die Kinotechnik wird sich in den kommenden Jahren stark verändern. Getrieben wird diese Entwicklung von den großen US-amerikanischen Major-Studios, die sich in der Digital Cinema Initiative zusammen geschlossen haben. Um Kosten beim Vertrieb ihrer Filme an die Kinos zu sparen, arbeiten sie daran die physische, analoge Filmkopie durch eine Digitale zu ersetzen. In Folge werden zumindest in entwickelten Kinomärkten ein Trägermedium und die zu seiner Herstellung und Bearbeitung notwendigen Berufe aussterben. Arbeitsplätze verschwinden ersatzlos. Denn wo einst eine schwere Kopie aus Polyester pro Leinwand vonnöten war, wird in Zukunft die Kopie eines auf einem Zentralserver abgelegten Masters reichen, die überdies noch eine bessere Qualität gegenüber der Massenkopie aufweist.

Bei der zur Cinemedia Film AG gehörenden Cine Postproduction GmbH mit vier Niederlassungen in Berlin, Hamburg, Köln und München, dem größten deutschen Kopierwerk sind die Veränderungen schon voll im Gange, erzählt Vera Mewing, Betriebsrätin am Standort Hamburg. Als sie 1986 dort anfing, waren noch rund 500 Menschen an allen Standorten beschäftigt, heute sind es um die 350. Davon arbeiten ca. 100 bereits im digitalen Bereich. Am Standort München, der Bavaria Bild & Ton, wurden die ersten Maßnahmen schon eingeleitet. 20 Stellen wurden über Teilzeitverträge und Altersteilzeitverträge abgebaut. Es kam nur zu einer betriebsbedingten Kündigung. In Hamburg, bei Atlantik Film, wurde der Betrieb um 10 Mitarbeiter sozialverträglich verkleinert und bei Geyer Köln um 4. Für die Massenkopierung ist Berlin der größte Standort. In der Regel wird hier im Zwei-Schichtbetrieb gearbeitet. Als 800 Kopien für „Operation Walküre“ hergestellt werden mussten, wurde im Drei-Schichtbetrieb gefahren, was dieses Jahr noch häufiger vorkommen wird. Ist dies nötig wird Personal aus den anderen Betrieben nach Berlin geholt. München ist die zweitgrößte Niederlassung in der Serienkopierung. Dort wird gerade auf Ein-Schichtbetrieb umgestellt. In Hamburg werden nur noch Kopien bis zu zehn Stück gefertigt. Auf kurz oder lang wird der Massenkopierbetrieb wohl in Berlin zusammengeführt.

Keine komplette Übernahme

Mitbewerber beim Erstellen von Serienkopien sind in Deutschland nur Arri, sowie auf dem internationalen Markt die Schwergewichte Technicolor und DeLuxe, die beide in Rom sitzen und sehr stark in den deutschen Markt drängen. Diese haben alle internationalen Studios unter Vertrag und decken somit den größten Teil des weltweiten Marktvolumens ab. Ein Major-Verleiher in London, so erzählt Stefan Müller, Geschäftsführer der Cine Postproduction, ist mit den Kopien für seine deutschen Produktionen zu Technicolor gegangen. Sie haben dort zwar qualitative Einbußen, die aber keine Rolle spielen, weil die Firma bei Technicolor pro Jahr rund 2 Mrd. Meter in Auftrag geben.

Die jährliche maschinelle Gesamtkapazität bei Cine Postproduction beläuft sich auf 150 bis 180 Mio. Meter. Global macht es durchaus Sinn weltweit alle Kopien zu den Schwergewichten Technicolor oder Deluxe zu geben, weil dies erhebliche Einsparungen bedeutet. Von einem Master können ca. 1000 Kopien gezogen werden. Für Synchronfassungen in kleinerer Menge kann das Bild in der Maschine bleiben, während nur das Lichttonnegativ ausgetauscht wird. Ein Harry Potter-Film startet weltweit mit rund 15.000 Kopien. Technicolor kann zu geringeren Preisen anbieten und dennoch kostendeckend arbeiten.
Eine digitale Kopie kostet deutlich weniger und hat zudem eine unveränderbare Qualität, die sowohl der Analogkopie als auch einer DVD oder HD-DVD weit überlegen ist. So geben sich weder Vera Mewing noch Olaf Hofmann von conexx.av der Illusion hin, dass der Umstellungsprozess von analogem Kino auf das Digitale aufzuhalten ist. „Ein Produkt verschwindet quasi vom Markt“, sagt Olaf Hofmann. Ältere Arbeitnehmer, die immer klassische Kopierwerksarbeit geleistet haben, haben dann kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, weil es Vergleichbares nicht gibt. Bei Cine Postproduction stammen aus der Serienkopierung 50 Prozent des Gesamtumsatzes, der durch die Digitalisierung durch Nichts ersetzt werden kann. Die entscheidende Frage lautet also, wie diese Transition abgefedert und sozialverträglich gestaltet werden kann. Nach unterschiedlichen Angaben wird von einer Übergangszeit von fünf bis neun Jahren ausgegangen. „Der Übergang der kommenden Jahre wird mit einem erheblichen Personalabbau einher gehen“, sagt Vera Mewing. „Daher ist es wichtig, schon jetzt ein längerfristiges Konzept zu entwickeln und nicht erst dann über Maßnahmen nachzudenken, wenn es soweit ist.“ Tatsächlich laufen diese Diskussionen im Betrieb schon, nur ein Zeitplan für die Aufnahme konkreter Gespräche mit dem Vorstand gibt es noch nicht.
Allen Beteiligten ist klar, dass es keine komplette Übernahme von der analogen in die digitale Welt geben kann, weil die Arbeitsprozesse in der digitalen Welt mit deutlich weniger Arbeitskräften auskommen. Umschulungen machen daher nur in Einzelfällen Sinn zumal nachrückende junge Arbeitnehmer einen natürlichen Umgang mit Computertechnologie haben und darin im Zweifel besser ausgebildet sind. Sinnvoller ist es da schon zu überlegen, ob man die dann leer stehenden Gebäude nicht für Branchenfremdes nutzt, das aber weiterhin ‚analog’ hergestellt wird und wovon die eingesessene Belegschaft profitieren kann (s. Interview). Im Zweifel muss ein Ausscheiden mit einer Abfindung unterlegt werden, für die man jetzt schon Rückstellungen bilden muss, so Vera Mewing. Wie gut die Verhandlungspositionen in den einzelnen Standorten sind, hängt von den Mitbestimmungsstrukturen im Betrieb und von der Belegschaft selbst ab, erklärt Olaf Hofmann. „Hamburg ist sehr gut aufgestellt“, sagt er. „München nicht. Das muss man bis zur nächsten Wahl noch verbessern.“ Und er fügt hinzu: „Die Stellung einer Belegschaft hängt von der Stärke der Betriebsräte und der Schlagkraft der Gewerkschaft ab. Wenn die Leute organisiert sind, können wir sie tariflich begleiten.“

Lukrativ für Nischenanbieter

Es sind aber nicht nur die Massenkopien, die vom Markt verschwinden auch der Dreh auf Negativmaterial wird sowohl im Fernseh- als auch im Filmbereich auf Dauer verschwinden. Aus Kostengründen werden einige Serien wie „SoKo Leipzig“ bereits elektronisch aufgezeichnet. Allerdings mit einem einfacheren, kostengünstigen System, das keinen anspruchsvollen Postproduktionsworkflow benötigt, wie ihn nur ein Postproduktionsdienstleister anbieten kann.

Das alles heißt aber nicht, dass Film komplett verschwinden wird. Auch der lange tot geglaubte Super8-Film ist ja für Liebhaber noch immer zu haben. Und in Frankreich entwickelt das Gulliver Kopierwerk ausschließlich 65mm-Negativ und 70mm-Positiv-Film. Solche Idealisten und kleine Betriebe wird es noch lange geben, doch als Industriezweig wird das Kopierwerk sterben. Aber kleine Märkte können für Nischenanbieter sehr lukrativ sein. Und alleine durch die Filmarchive und -institute wird es auch in 30, 40 Jahren noch möglich sein, Film zu bearbeiten.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Klimakiller in der TV-Werbung

Knapp ein Drittel aller Spots in TV und auf YouTube wirbt für klimaschädliche Produkte. Das verstößt gegen den Medienstaatsvertrag, wie die am 6. Mai veröffentlichte Studie „Reklame für Klimakiller“ der Otto Brenner Stiftung offenlegt. Denn der Medienstaatsvertrag untersagt explizit Werbung für „in hohem Maße“ umweltschädliches Verhalten. Die Autoren fordern von der Medienpolitik eine strengere Regulierung klimaschädlicher Werbung.
mehr »

ARD und ZDF: Offene technische Plattform 

ARD und ZDF stellen sich mit einer Open-Source-Initiative und einer gemeinsamen Tochterfirma für den Betrieb ihrer Mediatheken als Streaming-Anbieter auf dem deutschen Markt neu auf. Beide wollen künftig zentrale Komponenten arbeitsteilig entwickeln und gemeinsam nutze, teilten sie gemeinsam mit. Zugleich sollen wichtige Bausteine als Open Source anderen Dienstleistern offen stehen. Das gelte unter anderem für den Player, das Empfehlungs- und das Designsystem.
mehr »

Beitragsanpassung unter der Inflationsrate

Seit die aktuelle Empfehlung der KEF zur Beitragsanpassung vorliegt, gibt es mehrere Ministerpräsidenten, die eine Zustimmung zu einer Erhöhung kategorisch ausschließen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren bereits geurteilt, dass sich ein Bundesland dem Vorschlag der KEF im bislang gültigen Verfahren nicht einfach so widersetzen darf. M sprach mit dem KEF-Vorsitzenden Prof. Dr. Martin Detzel über die aktuelle Debatte um die Rundfunkfinanzierung.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »