Anhörung im Fall Tillack vor Europäischem Gerichtshof
Es gibt keine Beweise. Wer vertrauliche Dokumente an den Stern gegeben hat, ist auch nicht bekannt. „Das ist das Positive an dem Fall, dass sie noch immer nicht meine Quellen gefunden haben“, kommentierte Hans-Martin Tillack die jüngste Anhörung des Europäischen Gerichtshofes Erster Instanz Mitte Mai in Luxemburg. Der Journalist hat die Antibetrugsbehörde der Europäischen Union, kurz OLAF (Office de la Lutte Anti-Fraude) verklagt. Er hofft auf Schadenersatz.
Vor zwei Jahren hatte ein Gerücht ausgereicht, dass die Polizei die Arbeit des investigativen Journalisten lahm legte. Neunzehn Kisten Archivmaterialien zu unzähligen Betrugs- und Korruptionsgeschichten, Handys, Laptop und alles was nur irgendwie Hinweise auf seine Informanten geben könnte, nahm eine Spezialeinheit zur Korruptionsbekämpfung der Belgischen Polizei am 19. März mit. Zehn Stunden wurde er in seinem Büro festgehalten, durfte mit niemanden sprechen – weder mit seiner Frau, noch mit seinem Anwalt oder Arbeitgeber.
Nicht ohne Informantenschutz
Die Luxemburger Richter wollten wissen, in wie weit die Arbeit eines investigativen Journalisten beeinträchtigt wird, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass seine Quellen nicht mehr geschützt sind. Andreas Bartosch, der als Jurist den Internationalen Journalistenverband (IFJ) vertrat, verwies auf Informanten, die sich bei ihren Kontakten mit Journalisten in heiklen Fällen auf Vertraulichkeit verlassen müssten. Ohne Informantenschutz wäre eine journalistische Recherche, wie sie Tillack und andere Journalisten betreiben, nicht denkbar. Bartosch forderte das Gericht auf, das Vorgehen OLAFs gegen Tillack zu verurteilen, weil in diesem konkreten Einzelfall gegen die einschlägigen Vorschriften der Menschenrechtskonvention des Europarates zur Pressefreiheit verstoßen wurde. Nur so könne verhindert werden, dass künftig auch andere Ermittlungsbehörden auf der Welt sich auf den Tillack-Fall in der EU berufen und mit ähnlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen unliebsame Journalisten vorgehen. Ohne freie Presse sei eine funktionierende Demokratie undenkbar, so der Jurist.
Schließlich interessierte die Richter, ob sich die Ermittler an die hauseigenen Regeln gehalten hätten und ob die Polizei-Aktion gegen den Stern-Korrespondenten verhältnismäßig war. OLAFs-Anwalt Clemens Ladenburger erklärte, die Ermittler hätten sich strikt an das hausinterne Handbuch gehalten. Nachdem OLAF den Verdacht gemeldet hatte, hätten die nationalen Strafverfolgungsbehörden tätig werden müssen.
In Hamburg war damals OLAFs-Strafanzeige verpufft. Für die Staatsanwaltschaft war das Gerücht, der Stern habe für vertrauliche Dokumente „8.000 Euro oder DM-Mark“ bezahlt, nicht genug, um damit einen Anfangsverdacht und schließlich eine Hausdurchsuchung bei Gruner und Jahr zu begründen. Die belgischen Kollegen entschieden anders: Weil damals laut Gesetz die Pressefreiheit weniger wichtig als die Bekämpfung der Korruption war, gab der Untersuchungsrichter grünes Licht für die Polizei-Razzia. Die Beschlagnahmungen und das Festhalten Tillacks sei allein auf Beschluss der belgischen Behörden erfolgt, die dafür die Verantwortung zu tragen hätten, so Ladenburger.
Gerüchte als Vorwand
Was stand tatsächlich in den Strafanzeigen, die OLAF an die deutsche und belgische Justiz geschickt hatte? Abgesehen von dem „8.000 Euro oder D-Mark“ Gerücht forderte OLAF die Ermittler zu umgehendem und koordiniertem Handeln auf. Denn es bestünde die Gefahr, dass Tillack demnächst für den Stern nach Washington versetzt werde und damit wichtige Beweisstücke verschwinden könnten. Doch auch dies sei lediglich ein Gerücht gewesen, wie der OLAF-Justitiar nunmehr einräumen musste. Für Tillacks Anwalt Ian Forrester war damit ein weiterer Beleg dafür gegeben, wie OLAF mit fadenscheinigen Begründungen die Polizei-Razzia organisieren und koordinieren wollte. OLAF habe in diesem Fall seine Macht missbraucht.
Für Prozessbeobachter ist offen, ob die Luxemburger Richter in den nächsten Monaten eine Grundsatzentscheidung fällen werden oder auf das von Tillack parallel angestrengte Verfahren in Straßburg verweisen werden. Wegen Verstoßes gegen die Menschenrechtskonvention des Europarates hat der Journalist Belgien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Dort beträgt die Verfahrensdauer mehrere Jahre.
Unabhängig von den juristischen Auseinandersetzungen wird das Vorgehen der Anti-Betrugsbehörde OLAF im Fall Tillack immer stärker kritisiert. Der Bürgerbeauftragte der Europäischen Union, der Grieche P. Nikiforos Diamandouros, wirft ihr vor, mehrfach irregeleitet und falsch informiert worden zu sein. Beispielsweise hatte OLAF behauptet, nicht seit 2002 gegen Tillack ermittelt und deshalb auch keine Daten über den Journalisten gespeichert zu haben. So geht der Stern davon aus, die vertraulichen Papiere, die 2004 veröffentlicht wurden, exklusiv erhalten zu haben. Als OLAF einem namenlosen Journalisten Bestechung vorwarf, habe niemand anderes als Tillack gemeint sein können. Und in internen OLAF-Vermerken wird der Stern-Korrespondent bereits seit März 2002 genannt. Unter „Subject: Leak Enquiiry“ schrieb ein OLAF-Beamter, Tillack habe laut „glaubhafter Quelle“ einen Beamten geschmiert und die erhaltenen Geheim-Dokumente nicht nur für den Stern verwertet, sondern womöglich auch noch an andere Journalisten weiter verkauft. Das führt zu dem Schluss, dass sich die Ermittlungen seit 2002 zielgerichtet auf Tillack konzentriert haben.
Der Bürgerbeauftragte wiederholte seine Vorwürfe gegen OLAF Mitte Mai vor dem Petitionsausschuss des Europaparlaments. Seine Aufgabe sei es auf Mängel in der Verwaltung in den EU-Institutionen hinzuweisen, dazu gehöre auch OLAF. Die Verfehlungen seien so gravierend gewesen, dass er einen Sonderbericht zum Fall Tillack herausgab, den das Parlament zur Grundlage einer Resolution nehmen könnte. Mehrere Europaabgeordnete schlossen daraus, dass die Arbeitsweise von OLAF gesetzlich neu geregelt und nachgebessert werden müsste.
Lediglich „Missverständnisse“
Der Generaldirektor von OLAF, Franz-Hermann Brüner, entgegnete, es sei „unerträglich“, dass man ihm als ehemaligen Richter „Lügen“ vorwerfe. Es gehe lediglich um „Missverständnisse“ und unterschiedliche Rechtsauffassungen. OLAF weigere sich, über die Tillack-Ermittlungen Informationen an die Öffentlichkeit zu geben, da sich ansonsten auch jeder „Zigarettenschmuggler über den Fortgang der Ermittlungen bei OLAF erkundigen“ könnte.
In den nächsten Wochen werden die Fraktionsvorsitzenden entscheiden, ob und wie der Petitionsausschuss den Tillack-Fall weiter aufgreifen wird. Dies hat M zum Anlass genommen, die Politiker um eine Stellungnahme zu bitten. Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion, sagte, dass es sich um einen „gravierenden Vorwurf“ des Bürgerbeauftragten handele, der geklärt werden müsse. Das Verhalten der belgischen Justiz gegen Tillack schiene ihm unangemessen gewesen zu sein. Es sei jedoch fraglich, ob hierfür OLAF verantwortlich gemacht werden könne. Daniel Cohn-Bendit befürwortete für die Grünen einen Bericht des Petitionsausschusses, um damit die Vorwürfe zu klären und fügte hinzu: „Wir sind für einen absoluten Quellenschutz“, unabhängig von der politischen Ausrichtung der Medien. Ähnlich äußerte sich Graham Watson, Fraktionsvorsitzender der Liberalen. Der Fall müsse aufgeklärt werden, wobei man einen Bericht nicht ausschließen dürfe. Für die Konservativen meinte der Vorsitzende Hans-Gert Pöttering, dass das Thema nach wie vor im Petitionsausschuss gut aufgehoben sei.