Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Innehalten und sich fragen: Was leite ich da eigentlich weiter? Illustration: 123rf

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?

Die gezielte Verbreitung von Falschinformationen bereitet den Menschen in Deutschland Sorge. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung vom vergangenen Jahr sagten 84 Prozent der Befragten, dass Desinformation im Internet ein großes oder sogar sehr großes Problem für die Gesellschaft sei. Besonders in den Tagen, im Vorfeld der Bundestagswahl, war die Alarmbereitschaft hoch. So informierte die Bundeswahlleitung ausführlich über Fake News, die im Zusammenhang mit der Wahl kursieren.

Ein großes Problem: Viele Menschen haben Schwierigkeiten, die Inhalte, auf die sie stoßen, einschätzen zu können – auch das zeigt die Studie. Fast die Hälfte der Studienteilnehmer*innen gab an, unsicher zu sein, ob Informationen im Netz der Wahrheit entsprechen. Offenbar ist hierzulande einiges an Aufklärungsarbeit nötig.

Finnland wehrt sich erfolgreich gegen Desinformation

In der Frage, was ein Staat tun kann, um die Resilienz der Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu stärken, geht der Blick regelmäßig nach Norden. Finnland gilt in diesem Bereich international als Vorbild. Deutsche Politiker*innen wollen sich daran ein Beispiel nehmen: „Länder wie Estland oder Finnland (…) weisen eine hohe gesellschaftliche Immunität gegen Desinformationskampagnen auf. Davon können wir lernen“, schreibt die Grünen-Politikerin Anna Lührmann, Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt, gemeinsam mit zwei Parteifreund*innen in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“. Auch die FDP, bekanntermaßen selten einer Meinung mit den Grünen, forderte in einem Beschluss des Bundesparteitags im April vergangenen Jahres: „Medienkompetenz wie in Finnland“.

Tatsächlich kann das 5,6-Millionen-Einwohner-Land, das eine 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, beste Resultate vorweisen: Finnland führt seit Jahren den European Media Literacy Index an. Das Ranking des Open Society Institut aus Bulgarien misst, wie widerstandsfähig die Bevölkerung der 41 untersuchten Länder gegenüber Desinformation und Fake News ist. Deutschland lag in der jüngsten Erhebung von 2023 auf dem 11. Platz. Auch bei den digitalen Kompetenzen liegt Finnland vorn, wie eine Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) herausgefunden hat.

Verlässliche und seriöse Medien sind wesentlich im Kampf gegen Desinformation. Doch sie bilden nur eine Seite der Medaille, denn die Menschen müssen diesen Medien auch vertrauen. In Finnland ist dieses Vertrauen offenbar besonders hoch: Dem Digital News Report 2024 des Reuters Institut zufolge vertrauen in keinem anderen der 47 untersuchten Medienmärkte weltweit die Menschen den Medien ihres Landes so sehr wie in Finnland.

Finnische Strategie für Medienkompetenz

Leo Pekkala ist Anfragen aus aller Welt zu seiner Arbeit gewohnt. Er ist stellvertretender Direktor des National Audiovisual Institute in Helsinki, kurz KAVI, das die Umsetzung der finnischen Strategie für Medienkompetenz koordiniert und überwacht. Finnland habe schon früh Medienbildung in den nationalen Lehrplan aufgenommen und die Anforderungen nach und nach an die sich wandelnde Medienlandschaft angepasst, sagt Pekkala im Gespräch mit M.

Es gebe kein eigenes Fach dafür, stattdessen ziehe sich das Thema durch den gesamten Lehrplan. Möglichkeiten gebe es in jedem Fach: In Geschichte könne man über Propaganda sprechen, im Matheunterricht über Algorithmen. Damit geht es früh los. „Finnland schult Sechsjährige darin, Fake News zu erkennen“, titelte kürzlich die „Helsinki Times“ und mutmaßte, dass finnische Kinder dies besser beherrschen könnten als die eigenen Leser*innen.

Geht es in Deutschland um Medienkompetenz, beschränkt sich die Diskussion häufig auf die Schule. Pekkala hingegen schildert den Kampf gegen Desinformation als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die im Alltag passiert, manchmal geradezu nebenbei. Um möglichst viele Menschen, auch in den ländlichen Gebieten, zu erreichen, arbeitet der Staat mit NGOs zusammen, die vor Ort gut vernetzt sind. Wie zentral diese Kooperation ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Organisationen, die etwa auf Kinderschutz und Menschenrechte spezialisiert sind, bei der Entwicklung der nationalen Medienstrategie mitreden durften.

Anlaufstellen für alle Altersgruppen

Wichtig sind auch bestimmte Anlaufstellen. Ein Beispiel: In vielen Bibliotheken gibt es Ehrenamtliche, die ältere Menschen bei Anliegen unterstützen, die sich oft nur noch digital erledigen lassen, etwa Steuerangelegenheiten. Die Ehrenamtlichen helfen also, und nebenbei kommen sie mit den Senior*innen ins Gespräch über das Internet und dessen Inhalte. Hier zeigt sich, dass die finnische Strategie gezielt auch Erwachsene anspricht – denn es sind längst nicht nur Schüler*innen, die im Umgang mit Desinformation Nachholbedarf haben können.

Deutschland und andere Länder sollten sich ein Vorbild an Finnland nehmen, sagt der österreichische Rechtswissenschaftler Matthias Kettemann, der unter anderem am Leibniz-Institut für Medienforschung zu digitalen Kommunikationsräumen forscht. „Ich finde, dass wir in Deutschland und Österreich falsch über Desinformation sprechen – nämlich so, als gäbe es keine Rezepte dagegen, als seien wir ohnmächtig angesichts der Schwemme an falschen Informationen. Das stimmt aber nicht“, sagt er. Die Elemente der finnischen Strategie ließen sich durchaus auf Deutschland übertragen. „In den Lehrplänen der Länder steht das alles schon drin. Aber es wird sehr unstrukturiert und wenig systematisch umgesetzt“, sagt Kettemann.

Vertrauen ist der Schlüssel

Er sieht in Deutschland auch gute Voraussetzungen dafür, Medienbildung außerhalb des Klassenzimmers voranzutreiben. Wichtige Partner dafür könnten die Volkshochschulen sein, Bildungswerke, die Kirchen, mittelständische Unternehmen – und Vereine. „Deutschland hat so ein starkes Vereinswesen“, sagt Kettemann. Es sei zum Beispiel denkbar, einfach mal eine Expertin in den Gymnastikclub einzuladen, damit diese etwas über Fake News erzählt.

Doch glaubt man Leo Pekkala, zeigen all diese Maßnahmen nur Wirkung, wenn es die richtige Grundlage gibt. „Vertrauen ist der Schlüssel“, sagt Pekkala – in die Gesellschaft, in den Staat und seine Institutionen. Es mache die Menschen widerstandsfähiger gegen jede Form von Desinformation. Das führt zurück zur Schule, denn die Grundlage dafür sieht er im Bildungssystem. Die Schule sei der Ort, an dem die Menschen in Finnland lernen, wie der Staat, wie eine demokratische Gesellschaft funktioniere. Ist Vertrauen etwas, das man unterrichten kann? Pekkala hat darauf eine kurze Antwort: „Ja.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »

dju: Mehr Schutz für Journalist*innen

Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. Mai fordert die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union (dju) in ver.di von Arbeitgeber*innen und Auftraggeber*innen in Rundfunk und Verlagen, den Schutz angestellter und freier Medienschaffender zu verbessern.
mehr »

ROG: Rangliste der Pressefreiheit 2025

Es ist ein Historischer Tiefstand. Die neue Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt: Nur in sieben Ländern ist die Lage "gut", alle liegen in Europa. Deutschland rutscht auf Platz 11 ab. Neben einer fragilen Sicherheitslage und zunehmendem Autoritarismus macht vor allem der ökonomische Druck den Medien weltweit zu schaffen.
mehr »

Studie: Soziale Folgen von KI in den Medien

Soziale Ungleichheiten, Diskriminierungen und undemokratische Machtstrukturen: Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht, wie soziale Folgen von KI in den Medien verhandelt werden. Warum dies generell eher oberflächlich und stichwortartig geschieht, hängt auch damit zusammen, dass die Berichterstattung bei KI-Themen von Ereignissen und Akteuren aus Technologie-Unternehmen dominiert wird.
mehr »