Lobbygruppe INSM bedrängt Journalisten
Fünf Jahre ließ die Öffentlichkeit die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mehr oder minder in Ruhe werkeln. Im Hintergrund rekrutierte die Lobbygruppe des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall seit Oktober 2000 Botschafter aus Politik und Wissenschaft, um sie als vermeintlich unabhängige Experten in der Öffentlichkeit auftreten zu lassen. Auch wenn sich die Initiative gern volksnah gibt und ihren Internet-Auftritt „Chancen für alle“ nennt, so setzt sie sich im Wesentlichen für ein unternehmerfreundliches Klima ein. (M 12 / 04 – 01 / 05; 2 / 05)
Doch die INSM hat es zunehmend schwer, in Deckung zu bleiben. Immer wieder zerren die Medien an der Initiative herum, ziehen sie mitunter auch ins Rampenlicht. Kritische Beiträge häufen sich. Der Kreis derer, die wissen, wer sich hinter den angeblich neutralen Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Finanzfakten der Initiative verbirgt, wird größer. Das gefällt den beiden Geschäftsführern Tasso Enzweiler und Dieter Rath nicht. Sie greifen an. In einer Form, die bislang beim Umgang mit Journalisten unüblich war. „Die INSM sucht das Gespräch direkt bei der Redaktionsleitung“, sagt Thomas Leif, Vorsitzender der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Mit Beschwerdebriefen an Chefredakteure oder Intendanten wolle die Initiative die Redaktion einschüchtern und sie zur Vorsicht beim nächsten Beitrag ermahnen. Langfristiges Ziel dabei sei, der Kritik an der Initiative „die Spitze zu nehmen“. Daran kann die INSM nichts Ungewöhnliches entdecken. Schließlich würde man nur die „zuständigen redaktionell Verantwortlichen“ über unkorrekte Berichterstattungen informieren. Übrigens: Es kam bislang noch zu keiner Gegendarstellung. Obwohl die Initiative „natürlich“ davon überzeugt sei, zu Recht Beiträge kritisiert zu haben.
„Ich war froh, dass ich meinen Beitrag fast fertig hatte, bevor ich mit der INSM in Kontakt trat“, berichtet die freie Journalistin Brigitte Baetz. Für den Deutschlandfunk hatte sie zum Thema Lobbyismus recherchiert. Protagonisten ihres Beitrags „Meinung für Millionen“ waren die Bertelsmann-Stiftung, der Bürgerkonvent und die INSM. Nur noch ein Interview mit der Lobbygruppe der Arbeitgeber Gesamtmetall fehlte. Rath vertröstete Baetz anfangs, „weil die Initiative immer wieder von Journalisten hereingelegt worden sei“. Dann bedrängte er sie. „Er wollte, dass ich ihm das fertige Stück zur Abnahme vorlegen sollte und erklärte, ich als Freie sollte mir überlegen, dass ich noch weitere Aufträge bräuchte.“ Erst nachdem Rath noch einmal mit dem verantwortlichen Redakteur gesprochen hatte, ließ sich Tasso Enzweiler im Beisein des INSM-Sprechers Carsten Seim interviewen. „Trotzdem zu keinem Zeitpunkt ein Zweifel daran bestand, dass mein Redakteur hinter mir steht, überlege ich mir nach dieser Erfahrung besonders, wie ich über die Initiative schreibe, um bloß nicht angreifbar zu sein.“
Gern sagt die Initiative kritischen Journalisten Gewerkschafts- oder Parteinähe oder andere angebliche Befangenheiten nach. Damit versuchen die PR-Profis, die Qualität der Arbeit und die Glaubwürdigkeit des Journalisten in Frage zu stellen. Diese Praxis komme aus den USA, nenne sich dort „Blaming“ und würde bei uns erst neuerdings angewendet werden, um Kritiker hart zu bekämpfen, erklärt Thomas Leif. Wegen seines Beitrags beim Magazin Plusminus versuchte die Initiative, den SWR-Redakteur Dietrich Krauß zu diffamieren, indem sie ihm unterstellte, mit der globalisierungskritischen Organisation Attac zu sympathisieren. Auf Nachfrage bestreitet die Initiative dies mittlerweile allerdings. Ein aufgebrachter Oswald Metzger, ohne Amt bei den Grünen und Botschafter der INSM, fragte den Journalisten am Ende seines Interviews allerdings noch gereizt: „Sind sie von Attac bezahlt?“ Dietrich Krauß lassen die Anspielungen kalt. Für ihn ist der Rufschädigungsversuch nichts anderes als ein rhetorischer Kniff, um keine Stellung beziehen zu müssen. „Kritische Fragen haben kein Parteibuch, sondern sind einfach Fragen“, sagt der Redakteur. Das PR-Team der Gesamtmetaller schrieb auch im Fall Krauß an die höheren Instanzen. Ein Brief ging nach dem Senden seines Beitrags an die Intendanz, an ausgewählte Mitglieder des Rundfunkrates und den Programmbeirat „Ich erhielt das Schreiben als Letzter – wenige Stunden vor Beginn der Programmbeiratssitzung.“ Die pauschale Beschwerde lautete: Krauß habe einseitig über die INSM berichtet. Nicht selten widerspricht sich die Initiative. So warf sie Krauß noch vor, kein direktes Gespräch für den aktuellen Beitrag gesucht zu haben. Ein paar Wochen später waren es dann allerdings die Kölner Lobbyisten, die auf ein Interview-Angebot des WDR-Magazins Monitor verzichteten.
Enzweiler und Rath schüchtern offensichtlich nur da ein, wo sie glauben, sie könnten Journalisten verunsichern. Der Journalist Volker Lilienthal vom Evangelischen Pressedienst (epd) stieß mit dem PR-Flaggschiff des Unternehmerverbandes Gesamtmetall vor zwei Jahren zusammen. Lilienthal hatte über einen ARD-Fernseh-Dreiteiler, der mit der Sozialpolitik und dem Reformstau in Deutschland abrechnete, geschrieben. Finanziell ermöglicht wurde die HR-Produktion unter anderem durch die Zusammenarbeit mit der INSM – das kritisierte Lilienthal in „epd medien“ als Fremdfinanzierung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Anwalt der Initiative schrieb daraufhin einen Protestbrief an den Journalisten. Doch die Lobbyisten erreichten nicht viel: epd-Chefredakteur Thomas Schiller stellte sich hinter Lilienthal. „Enzweiler sagte später ganz offen zu mir, dass die Initiative zu anderen Mitteln greife, wenn sie mit ihren Einwänden gegen kritische Berichterstattung nicht durchdringe“, erinnert sich Lilienthal, mittlerweile leitender Redakteur von epd-Medien. Die Initiative hält sich jetzt zurück. Jüngst arbeitete sie dem Journalisten sogar zu. Für seinen Beitrag über die Schleichwerbung in der ARD stellte INSM ihm interne Dokumente zur Verfügung.
Enzweiler und Rath sind Zocker am Tisch der PR- und Medienwelt. Sie bluffen, wenn nötig zinken sie auch die Karten oder aber halten die Spielregeln peinlich genau ein. Doch wenn die INSM damit kokettiert, die Grenze zwischen Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und Journalismus auflösen zu wollen, dann ist Wachsamkeit geboten. Gerade wenn dies auch mit Druck auf einzelne Journalisten und Redaktionen geschehen soll. „Tasso Enzweiler meinte bei einem Gespräch, dass er die Kritik an der INSM nicht verstehe, weil er doch ein Dienstleister der Medien sei“, so die freie Journalistin Brigitte Baetz. Und Dieter Rath erklärte dem epd, doch nur „Grundkenntnisse über unsere Wirtschaftsordnung“ vermitteln zu wollen. Botschaften, wie in der ADR-Serie Marienhof platziert, hätten laut Rath „dem Bildungs- und Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ entsprochen. Den Unterschied zwischen Marketing und Journalismus können die Initiative und ihre Sprecher dann bezeichnenderweise auch nicht beschreiben, weil es ihnen unmöglich ist, allein die Frage danach zu verstehen.