Ein widerspenstiger Film mit großartigen Schauspielern
Es war ein grausiges Szenario, das sich im Juli 2002 in Potzlow, einem Dorf in der Uckermark ereignete: Zwei Jugendliche, die Brüder Marco und Marcel Schönfeld und ihr Freund Sebastian Fink demütigten und peinigten den 16-jährigen Marinus Schöberl in einem Schweinestall. Über Stunden hinweg schlugen die Skinheads auf ihr Opfer ein, dann zwangen sie es in einen Futtertrog zu beißen. Schließlich sprang Marcel auf Marinus’ Hinterkopf und tötete ihn.
Andres Veiel, mehrfach ausgezeichnet für so präzise eindringliche Dokumentationen wie „Die Überlebenden“, „Black Box BRD“ oder „Die Spielwütigen“, dreht erstmals keinen klassischen Dokumentarfilm. Aus plausiblen Gründen, die der Kieslowski-Schüler in Interviews darlegt: Weil die Tat bei Projektbeginn noch nicht lange zurücklag und Potzlow einer Medieninvasion ausgesetzt war, wollten Angehörige, Beteiligte, Freunde und Nachbarn in ihrer Befangenheit nicht vor die Kamera treten, zudem wollte sich der Regisseur angesichts der Monstrosität der Tat ein Bilderverbot auferlegen.
Ergebnis ist nun ein Kammerspiel, zunächst auch 2004 als Theaterstück im Berliner Maxim Gorki-Theater uraufgeführt, besetzt mit nur zwei Schauspielern, die wechselweise mehr als 20 Rollen spielen: Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch, die diesen gewollt sperrigen, unbequemen Film tragen.
In einer alten Fabrikhalle schlüpfen sie in die Rollen von Tätern, Angehörigen und Freunden der betroffenen Familien, offenbaren Wut, Unverständnis oder finden Erklärungsansätze für die Tat. Dabei sind es keineswegs allein die Texte, durch deren unterschiedliche Mundart man die Figuren näher kennen lernt, Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch drücken Befindlichkeiten und Emotionen vor allem auch mit ihrer subtilen Körpersprache aus: hoch gezogenen Schultern, gekrümmtem Rücken, herunter gezogenen Mundwinkeln, breitbeinigem Auftreten oder nervösem Kratzen.
Die einzelnen Monologe funktionieren wie Mosaikstücke, die sich im Kopf des Betrachters am Ende zu einem verstörenden Bild zusammenfügen. Der Dualismus von Täter und Opfer wird aufgelöst. Dieselbe Frau, die eben noch einen der Täter gespielt hat, verkörpert im nächsten Moment die Mutter des Opfers. Auf diese Weise kann man die Figuren nicht mehr eindeutig einer Kategorie zuordnen. Klar hervor tritt die bei allen Beteiligten ausgeprägte Unfähigkeit zur Kommunikation. Über Misshandlungen wird zum Beispiel erst Jahre später gesprochen, wenn überhaupt.
Das „Ursachengestrüpp“, wie Veiel es nennt, ist allerdings zu komplex, um eine umfassende Antwort auf die Frage zu finden, wie diese Tat geschehen konnte. Das aber provoziert eine kontroverse, facettenreiche Diskussion. „Der Kick“ ist ein kleiner sperriger, widerspenstiger Film mit großartigen Schauspielern.
D 2006,
Regie: Andres Veiel
Darsteller:
Susanne-Marie Warge, Markus Lerch,
82 Min.