Das Telefonieren im Radio hat viele Facetten. Wir erzählen von der Telefonarbeit im Studio.
Wer sind quasi die „Türsteher“, die beim Hörfunk jene Anrufe auswählen, die wert erscheinen, in der Sendung besprochen zu werden? Sie stehen im Schatten der Moderatoren.
Der Telefonarbeiter ist Mädchen für Alles – Situationen am Arbeitsplatz
Wie sehen Arbeitsplatz und Alltag eines Telefonarbeiters, noch dazu einer Aushilfe, im Hörfunk aus? Hier im O-Ton:
„Der Hotline-Arbeitsplatz befindet sich direkt hinter dem Mischpult des Moderators. Die Lärmbelästigung ist oft hoch, da die komplette Redaktion im hinteren Bereich angeschlossen ist, wo immer mehrere Fernseher laufen, telefoniert wird, O-Töne abgespielt werden und natürlich das aktuelle Radio-Programm läuft.
Ich nehme an der Hotline die Blitzermeldungen auf, gebe den Hörern telefonisch Auskunft sowohl zum Sendeablauf als auch zum Inhalt und natürlich auch zu allen anderen Fragen des täglichen Lebens. Das Fragenspektrum ist also sehr weit gefächert: von „Welches Lied wird gerade gespielt?“, „Wie war noch die letzte Meldung?“ über „Was wurde Samstag nacht wiederholt?“ „Wann moderiert mein Lieblingsmoderator?“ bis zu „Wo ist heute was los in der nächstgrößeren Stadt?“ „Kannst Du mir den Tourplan meiner Lieblingsband mal faxen?“ oder dem verzweifelten Anruf eines Vaters „Zu welcher Ausbildung soll ich meinem Kind raten?“ usw. Ich nehme Musikwünsche und Weckrufe als O-Ton auf, schneide diese auch, wenn Zeit ist, beantworte dazwischen Leserpost, verschicke Gewinne und nehme Bewerber für Gewinnspiele auf, stelle diese dann gegebenenfalls „on air“ zum Moderator. Für solche on-air-Aktionen ist es unbedingt erforderlich, den Sendeablauf ständig mitzuverfolgen, um jederzeit über spontane Ablaufänderungen, Gewinnspielmodalitäten u.ä. auf dem Laufenden zu sein.
Generell macht es die Vielfalt an Aufgabengebieten erforderlich, bei täglich, ja teilweise stündlich geänderten Vorgaben immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Die Informationen muss ich mir aus verschiedensten Dateien und am Arbeitsplatz deponierten Ordnern zu Beginn oder auch während der Arbeitsschicht zusammensuchen. Oft sind die Informationen unvollständig und man ist in der unangenehmen Situation, die dauergestressten Redaktionsmitglieder behelligen zu müssen. Bevor man zu dieser letzten Instanz schreitet, überprüft man sorgfältig die mannigfaltig zur Verfügung stehenden Datenarchive (steht es in diesem oder in jenem Dateiordner, im Tages- oder Wochenplan oder aber vielleicht doch im Internet auf der Homepage oder ist dazu etwas im Ordner abgeheftet?), denn wenn das der Fall ist und man vorschnell jemanden befragt, statt sich selbst zu bemühen, trifft vielleicht der Chefredakteur in der Pause meinen Chef. Die beiden tauschen sich gern bei Käffchen und Kippe über die Unzulänglichkeiten ihrer Untergebenen aus. Mein Chef, der in einer ganz anderen Abteilung sitzt, hat ein gutes Gedächtnis für solche Kleinigkeiten.
Es gibt eine Vielzahl an Datenbanken, die zu verwalten sind und zu Ende der Schicht stimmen, d.h. datensynchron sein müssen. Wenn ich aus dem Sender gehe, dann nie ohne ein ungutes Gefühl, vielleicht doch einen Gewinner falsch eingetragen zu haben oder einen Gewinn nicht ausgetragen zu haben, oder, oder, oder.
Außerdem ist es Pflicht, zu den wöchentlich stattfindenden Redaktionssitzungen zu erscheinen. Natürlich unbezahlt, denn als Gehalt sind 12,- DM/h ausgemacht. Da bin ich gerne in meiner Freizeit ein paar Stunden unbezahlt vor Ort. So verlief bereits die Einarbeitung: sie erfolgte durch mindestens eine Woche unbezahltes Danebensitzen bei verschiedenen Schichten, immer in der Hoffnung, von den Kollegen viel Nützliches zu erfahren und zu merken.
Mehr Fun? Mehr Action? Mehr Stress! – Gewinnspiele lassen mein Herz höher schlagen
Der aufmerksame Hörer muss bei einem Gewinnspiel sofort anrufen, um einen Gewinn zu erhalten. Der Sponsor verlangt, dass kein Hörer zweimal gewinnt. Generell gibt es auch sonst für alle Gewinnspiele eine „Giftliste“, die abgecheckt werden muss, bevor der Hörer auf Sendung („on air“) kommt.
Wenn nun ein Hörer anruft, muss ich den genauen Namen, das Alter und den Wohnort erfragen, um sofort verifizieren zu können, ob der Anrufer entweder schon in meiner (Word!)-Datei steht oder in einer anderen, allgemeinen Gewinnerdatei auftaucht. Er darf nicht älter als 23 Jahre alt sein, sollte einigermaßen geradeaus sprechen können und wollen, sollte möglichst aus dem Sendegebiet kommen und, wichtig, die Qualität der Telefonverbindung muss stimmen. Um einen Hörer zu finden, der diesen Kriterien entspricht, bleibt genau die Länge eines Lieds, d.h. circa 2-4 Minuten Zeit. Dieses Spiel läuft nun schon seit einem halben Jahr. Leider ist das Sendegebiet nicht allzu groß und der größte Teil der Zielgruppe ist um diese Zeit in der Schule. Bis der Musiktitel erkannt wird, vergeht auch schon eine halbe Minute. Viele rufen aus dem Auto an, fallen also wegen der schlechten Verbindung von vornherein weg. Diejenigen dürfen das aber „so“ nicht wissen; man muss ihnen das Gefühl vermitteln, sie seien in den Kreis der potenziellen Gewinner aufgenommen worden.
Die Befragung läuft dann wie folgt: „Radio XXL, Hallo! Hier ist die Tanja“… „Du hast also den Titel erkannt – Nenn mir bitte Deinen vollständigen Namen!“… (Wie bitte?…) … – Mein Blick in die word-Datei, ob der schon mal gewonnen hat – … „Wie alt bist Du?“… „Woher kommst Du?“… „Sag mir bitte Deine Telefonnummer, damit ich Dich zurückrufen kann, wenn Du dabei bist!“… (Du hast Deine eigene Telefonnummer nicht im Kopf?)… „Tschüß!“
Hat man dann glücklicherweise einen geeigneten Hörer „drin“, gilt es wieder schnell zu handeln, denn das Gespräch muß auf DAT (Digital Audio Tape) mitgeschnitten werden. Dabei muss ich hellwach sein, denn meist erhält der Sponsor den Mitschnitt auf einem Extra-DAT – also muss ich schon vorher das entsprechende DAT eingelegt haben, sonst ist alles zu spät. Danach: DAT abschalten, entsprechenden Eintrag auf der richtigen Mitschnitt-
Liste machen, Hörer wieder zurücknehmen, Adresse in die Gewinnerdatenbank aufnehmen. Danach eventuell gleich in die Abteilung „Customer Relationships“ gehen, um den entsprechenden Gewinn abzuholen, zu verpacken und zu verschicken – dabei aber nicht vergessen: Vermerk in der Gewinnerdatenbank, wer was wann verschickt hat.
Tage meines Lebens – ein typischer Wochenanfang
Montag
Pünktlich 4:30 Uhr morgens aufstehen, um ab 6.00 Uhr die Frühschicht an der Hotline machen zu dürfen! Im Sender wird gerade ein neues Format geprobt: statt alle halbe Stunde Nachrichten, nun alle 20 Minuten eine Kurzinfo mit Doppelmoderation. Das neue Format sorgt generell noch für einige Konfusion. Um diese Zeit sind nur vier Leute im Studio: Moderator, Co-Moderator, Sendeassistent, Hotline-Agent. Normalerweise liegt für die Sendung ein Ablaufplan vor. Der Versuch, das Original des Moderators zu meiner Info zu kopieren, scheitert am defekten Kopiergerät. Improvisation durch Zurufe.
Mehrere Weckanrufe sind zu erledigen. (anzurufen, on air zu schalten und mit zu schneiden). On Air wird ein Aufruf gestartet, sich an der Hotline zu melden, um Konzertkarten zu gewinnen – alle Anrufe sollen aufgenommen werden – die Leitungen glühen. Weiterhin soll in der Frühsendung der Gewinner eines Party-Wochenendes on air genommen werden, den eigentlich der Chefredakteur bereits am Abend zuvor ausgesucht haben sollte, was er aber leider versäumt hat. Mein Fehler ist, dass ich mich nicht am Morgen bereits vor Schichtbeginn vergewissert habe, ob ein Gewinner ausgewählt worden ist. Die Assistenz setzt mich von dem Anruf des Chefredakteurs in Kenntnis, dass „wir das heute selbst entscheiden sollen“, während immer noch die Leitungen glühen – wegen der Konzertkarten.
Jetzt muss schnell ein Gewinner aus den Bewerbungen ausgewählt werden – das einzige Kriterium, das mir bekannt ist (weil es eigentlich nicht meine Aufgabe ist und ich keine Angaben im Datenwust finden kann): witzig soll’s sein. Haben Moderator und Ko-Moderator nicht sowieso schon was ‚rausgesucht? Die kennen die Kriterien doch besser als ich und haben mit dem Chefredakteur telefoniert! Aber schon der erste Auserwählte geht nicht ans Telefon. Noch zwei Minuten. „Nimm den, der drunter steht!“, ruft mir der Moderator zu. Gesagt, getan.
Dienstag
Vermerk im Übergabeordner: „Gewinner von gestern war erst 17! Außerdem auf der Giftliste!“ Dass er auf der Giftliste stand, hatte ich nicht mehr gegenchecken können. Und dass er 18 sein sollte, konnte ich nicht ahnen und auch nicht aus den verfügbaren Daten ersehen. Angst: ob das ein Nachspiel hat?
Keine Zeit zum Überlegen – ein neues Gewinnspiel läuft: „Erkenne einen verzerrten Musiktitel!“ – Ich habe genug Zeit, um die Anrufer auszuwählen. Meine Frage an den gutgelaunten Moderator: „Männchen oder Weibchen? – Haben beide das Lied erkannt, wissen aber den Interpreten nicht!“ Er: „Das Mädchen bitte – macht nix, wenn sie die Band nicht kennt, das mach ich ihr schon klar!“ – O.K. – Allein – er vergisst, ihr zu sagen, wie die Band heißt, und sie kommt on air ins Stottern. – Das wird mir als Fehler angekreidet. Der Programmchef hört auf dem Weg zum Sender
„Radio XXL“. Sein erster Weg führt zum Chefredakteur: das sehe ich aus dem Augenwinkel. Der Chefredakteur erkundigt sich bei mir nach den heutigen Gewinnern. Anruf vom Chef, nach der Schicht vorbeizukommen. Er will nicht mit der Sprache rausrücken, sagt nur, dass es Ärger gab (aha?) und dass es jetzt Konsequenzen für mich haben wird. Nach mehreren Nachfragen erklärt er mir Folgendes: Ich sei hundertprozentig für alle Telefonangelegenheiten verantwortlich. Ich hätte den Partyweekend-Gewinner überprüfen und, wenn das so nicht möglich war, eine Programm-Änderung veranlassen müssen. Ich bin dafür verantwortlich, wer on air geht, und darf dabei keine Rücksicht nehmen auf die Wünsche des Moderators (der das Studio inzwischen fluchtartig verlassen hat). ER duldet keinen Widerspruch.
Das scheinbar lustig-lässige Arbeitsklima hat mich wohl das Ausmaß meiner Verantwortlichkeiten unterschätzen lassen. Ich beginne, an mir und meinen Leistungen zu zweifeln. Die Organisationsstrukturen sind selbstverständlich völlig in Ordnung. Ich kann sagen, dass ich sehr gut am eigenen Leib die für Call Center beschriebenen psychischen Belastungen nachempfinden kann: das Gefühl der permanenten, aber undurchsichtigen Kontrolle, die sehr geringe Wertschätzung der geleisteten Arbeit bei den Vorgesetzten, das sich missverstanden fühlen, Selbstzweifel, ein dumpfes Gefühl des Ausgeliefertseins, bohrende Unzufriedenheit, bis hin zu paranoiden Angstvorstellun-gen, derartige Fehler gemacht zu haben, dass diese bald von anderen mit großem Aplomb „aufgedeckt“ werden.