Teilen und herrschen nach Gutsherrenart

Rhein-Zeitung Koblenz auf dem Weg zum Betrieb ohne Mitbestimmung?

Mit der systematischen Ausgründung von Lokalredaktionen und anderen Betriebsteilen sowie der Kündigung von Tarifverträgen versucht die Rhein-Zeitungs-Gruppe Koblenz mit ihrem Mutterhaus Mittelrhein-Verlag seit Jahren, die betriebliche Mitbestimmung zu umgehen und ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu etablieren. Der Betriebsrat fühlt sich in einem gemeinsamen Betrieb mit allen outgesourcten Unternehmensteilen und unterlag mit dieser Auffassung jüngst vor dem Landesarbeitsgericht Mainz. Kein Grund zum Aufgeben, meint Betriebsratsvorsitzender Lothar Junk, denn noch sind juristische Wege offen und es gibt für das 13köpfige Gremium viel zu tun: „Ein Erfolg ist, dass es uns überhaupt gibt.“

In Marmor geschlagen steht in der Eingangshalle das Redaktionsstatut der Rhein-Zeitung in Koblenz: „Die Rhein-Zeitung wahrt das christlich-humanistische Kulturerbe, ist jedoch unabhängig von Staat und Parteien…“ beginnt das ethische Bekenntnis. Zum christlich-humanistischen Kulturerbe gehört offenbar nicht, dass der Betriebsrat mit Menschen von ver.di spricht: Ich darf das Gebäude in Begleitung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden nicht betreten, weil ich „für den Betrieb nicht zuständig bin“. Und so erzählen mir die ver.di-Betriebsräte Lothar Junk und (…) zusammen mit Herbert Eberth (DJV) in einem nahegelegenen Café von Schikanen, Einschüchterungsversuchen und zermürbenden Auseinandersetzungen mit einer Geschäftsleitung, die jedes Gespräch mit dem Mitbestimmungsgremium verweigert.
Der Mittelrhein-Verlag ist im Besitz einer weitverzweigten Familie, deren Mitglieder auch Eigentümer der zur Rhein-Zeitungs-Gruppe gehörenden GmbH‘s sind. Geschäftsführender Verleger ist Walterpeter Twer, der 1995 den Verlegerverband verließ, um sich „aus der Umklammerung durch Gewerkschaften und unzeitgemäße Tarifverträge“ zu lösen. Da Tarifverträge nur für diejenigen nicht in die Zeit passen, die von Renditen leben, gelang es der damaligen IG Medien 1996 nach einem Streik einen Haustarifvertrag abzuschließen. Seit nunmehr fünf Jahren aber beschreitet die Geschäftsleitung neue Wege der Tarifflucht und gründet die Regionalredaktionen in GmbH’ s aus, auch die rz-Druck wurde letztes Jahr ausgegliedert – mit dem einzigen Auftraggeber Mittelrhein-Verlag. Die Druckvorstufe wurde in die Firma Sapro – mit nahezu identischen Gesellschaftern wie der Mittelrhein-Verlag – ausgelagert, zum Ende dieses Jahres wird die rz-informa, zuständig für die Anzeigenverwaltung und das Anzeigengeschäft, geschlossen, 24 betriebsbedingte Kündigungen sind ausgesprochen.
Die Arbeitsgerichte sind ständig mit der Rhein-Zeitung beschäftigt, eine in letzter Zeit besonders häufige und durchaus erfolgreiche Aufgabe der Betriebsräte ist die Unterstützung bei Kündigungsschutzklagen, auch gegen alle Kündigungen bei der rz-informa wurde Widerspruch eingelegt. „Die Leute in der Druckvorstufe beispielsweise sollten sich innerhalb von acht bis zehn Tagen zu einem finanziell um 30 Prozent schlechteren Arbeitsvertrag äußern – als angeblich letzte Chance, die Druckvorstufe im Hause zu behalten“, sagt (…), der selber von dort kommt. Ein Drittel der Kollegen hat nicht unterschrieben, 24 Leute wurden entlassen, (…) selber hat seine Kündigungsschutzklage gewonnen. Auch Herbert Eberth, derzeit in der Chefredaktion für Leserbriefe zuständig, kann von Jahren der Versetzung und Ausgliederung berichten, als Wahlvorstand für die Neuwahl des Betriebsrates 2005 stand ihm plötzlich sein Arbeitsplatz „nicht mehr zur Verfügung“, bis Anfang dieses Jahres war er „vorläufig freigestellt“. Die Neuwahl des Betriebsrates war notwendig geworden, weil fünf Betriebsräte, darunter der Vorsitzende und sein Stellvertreter, aus der vor der Schließung stehenden Druckvorstufe mit hohen Abfindungen den Betrieb verließen.

„Wer wählen geht, der geht“

Die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen gilt allerorten: Nach dem Motto „teile und herrsche“ werden Stammbelegschaften mit bis zu 70 Prozent Leiharbeitern (in der Weiterverarbeitung bei rz-Druck) mürbe gemacht. Redakteuren in den Lokalredaktionen werden nach dem Motto „friß oder stirb“ Verträge unter anderem ohne zusätzliche Altersversorgung und Sonntagsdienstzulage angeboten, alles in allem ein Minus bis zu 40 Prozent, freie Journalisten arbeiten als Scheinselbständige für Tagespauschalen in den Redaktionen. In den „selbständigen“ Regionalredaktionen wurde während der Betriebsratswahlen der Satz „wer wählen geht, der geht“ aus der Leitung des Hauses kolportiert. Herbert Eberth meint, die Einschüchterung hat gefruchtet: „Es trauen sich dort nicht mehr viele, ihre Interessen zu vertreten.“ Jedenfalls nicht offen, Lothar Junk aber registriert bei seinen Besuchen in den Regionalredaktionen vermehrt „Versuche der Kontaktaufnahme“. Der Betriebsrat tut seine Arbeit transparent: Er gibt ein wöchentliches Info an die Belegschaft heraus, von dort kommt Lob für die engagierte Arbeit. Dass Arbeitnehmerrechte und sozialer Schutz außer Kraft gesetzt werden, bleibt den Kollegen schließlich nicht verborgen. „Fast das komplette rz-Imperium ist tariffrei“, konstatiert Junk nüchtern – bis auf etwa 100 Kollegen in der rz-Druck GmbH, die ihre einzelvertraglichen Regelungen beim Betriebsübergang mitnehmen konnten und die Beschäftigten des Mittelrhein-Verlages. Auf tarifvertraglicher Ebene nämlich konnte Helmut Platow, Leiter der Rechtsabteilung beim ver.di-Bundesvorstand und notgedrungen ständig mit der Rhein-Zeitung befaßt, einen Erfolg verbuchen: Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass Teilkündigungen von Tarifverträgen für bestimmte Bereiche nicht rechtens sind, wenn diese Möglichkeit nicht ausdrücklich vereinbart wurde.
Dem Verlag geht es dank der Arbeit seiner rund 700köpfigen Belegschaft wirtschaftlich gut, er verzeichnet für die Rhein-Zeitung um die 225.000 Auflage, über 680.000 Leser/innen und steigende Anzeigenerlöse. Geschäftspolitik scheint aber vor allem die Behinderung der Betriebsräte zu sein. „Wir werden totgeschwiegen“, sagt (…), „jeder Dialog wird verweigert.“ Lothar Junk, seit 12 Jahren Betriebsrat, weiß: „Die wollen Arbeitnehmer zu sogenannten marktkonformen beziehungsweise Dumpingentlohnungen in Zeiten von Hartz IV. Dabei stören wir.“

Verlagsfeier ohne Betriebsrat

Sie vermuten, dass der Zweck aller Unternehmensoperationen einzig ein vor Jahren noch vom Kartellamt verhinderter Verkauf der Rhein-Zeitung ist: Betriebsratsfrei, mit tariflosen, ungeschützten Arbeitsverhältnissen und erpressbaren Belegschaften dürfte der Verkauf für Twer und seine Mitgesellschafter lukrativer sein.
Die Politik des Verschweigens führt derweil zu Peinlichkeiten: Unter den Todesanzeigen für verstorbene Kollegen erscheint der Betriebsrat nicht mehr. Ein weiteres Beispiel: SWR 3 berichtete über die 60-Jahr-Feier des Verlages, zu der der Betriebsrat nicht eingeladen war. Sein Angebot, Auskunft zur Lage der Belegschaft zu geben, wurde von der Redaktion des öffentlich-rechtlichen Senders nicht wahr genommen. Die Kollegen haben sich wegen dieser einseitigen Berichterstattung beim Deutschen Presserat beschwert.
Vielleicht ändert sich etwas. Der Betriebsrat bat im Juli Ministerpräsident Kurt Beck um ein Gespräch, um ihm „die negativen Seiten des so genannten freien Unternehmertums und des damit verbundenen ökonomischen Zeitgeistes aufzuzeigen“. Der Landesvater nahm sich Zeit. Nun hoffen Junk,  Eberth und ihre Mitstreiter, dass Beck sich „im Interesse der arbeitenden Menschen für ein betrieblich und gesellschaftlich friedliches, respektvolles und soziales Klima einsetzt“. (…) wünscht sich nichts anderes als die „Rückkehr zum normalen Zustand einer sachlichen Kommunikation zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung. Unser Ziel sind vernünftige und gesicherte Arbeitsverhältnisse in einem halbwegs vernünftigen Arbeitsklima“.

Ulla Lessmann
(Aus Druck und Papier 5 / 2006)
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