Bürgerportale im Netz – eine Bereicherung für die lokale Berichterstattung
Das Bürgerreporter-Portal myheimat.de vermeldete kürzlich seinen 500.000sten Nutzer. Und auf den 25 Lokalzeitungsportalen mit gogol-Technologie sollen im deutschsprachigen Raum bereits rund 250.000 so genannte Leserreporter schreiben. Drei der zehn größten Regionalzeitungsverlage (u.a. Springer, Funke-Gruppe, Madsack, Regionalmedien Austria) nutzen das System des Augsburger Anbieters gogol medien bereits – weitere werden sicher folgen. Werden so mitteilungsfreudige Bürger zu kostenlos arbeitenden Reportern? Stellt die Entwicklung eine Bedrohung für den Journalismus dar oder fördert dieTechnologie Lesernähe und Themenvielfalt?
Die Firma gogol medien aus Augsburg bietet ein „cloudbasiertes Multikanal-Publishing-System“, durch das die Zusammenarbeit mit Leserreportern technisch einfach möglich ist: „Durch seine einfach zu nutzenden Best-Practice-Branchenlösungen ist es insbesondere für Anzeigenblätter, Lokalzeitungen, Corporate Publishing und Fachmedien geeignet“, heißt es in der Selbstdarstellung des Unternehmens. Gogol bezeichnet sich zudem als „Experte für digitalen Journalismus und nutzergenerierte Inhalte“. Dr. Martin Huber, Gründer und Geschäftsführer von gogol medien lässt vermelden: „Unter Verlegern von Lokal- und Regionalzeitungen, mit denen wir täglich sprechen, wird eigentlich nicht mehr diskutiert, ob man Leserreporter für lokale Informationsangebote einbindet, sondern nur noch wie.“ Viele Verlage schreckten vor dem Aufbau einer Community zurück oder hätten es bereits mit wenig Erfolg versucht: Zu teuer, zu hoher Betreuungsaufwand, zu wenig Erfahrung im Aufbau und der Arbeit mit Communities. Und hier kommt gogol ins Spiel: „Unsere Lösung ist deshalb so attraktiv, weil in ihr alle notwendigen Erfahrungen stecken, die für den Aufbau und Betrieb einer Community notwendig sind.“ Hubers Unternehmen bietet nicht nur die Software für Bürger- oder Leserportale, sondern auch Schulungen und Literatur zum Thema an. Darin werde das Feedback aus der Community und von den Verlagen immer wieder eingearbeitet. Das alles klingt einleuchtend. Jedoch die Behauptung, die Technologie-Firma gogol sei „Experte für digitalen Journalismus“ wirft Fragen auf, die sich bei einem Ausflug in die digitale Welt eventuell beantworten lassen.
myheimat.de
Finde das Wichtige im Belanglosen. Das nach eigenen Angaben „größte Bürgerreporterportal Deutschlands“ myheimat.de wird ebenfalls von gogol medien betrieben. Im Unterschied zu den redaktionell begleiteten Portalen bzw. Seiten mit einem Print-Pendant ist das Getümmel auf myheimat vor allem von persönlichen Eindrücken von Menschen geprägt. Die könnten ebenso gut auf ihrer privaten Facebook-Seite oder ihrem Blog stehen. Klickt man sich zum Beispiel in die Region Naumburg/Saale ein, so finden sich am 16. Juli aktuell Tipps und Rezepte zum Grillen von Sandra D.; Karl-Heinz T. hat unter dem irreführenden Titel „Rechts hat Vorfahrt“ Fotos von seinem Spaziergang mit Hund auf dem „Russengelände“ eingestellt. Von Gunter H. gibt es unter dem Titel „Napoleonstein“ einen kurzenText und sechs hübsche Fotos von Schmetterlingen und anderen Insekten. Seit 2010 ist der Naumburger Hobbyfotograf bei myheimat.de registriert und offenbar bis heute aktiv. Der eine oder andere Beitrag seiner bislang 75 Artikel hat es auch in die Printausgabe des Naumburger Tageblatts geschafft, das kann man in der rechten Spalte auf dem Bildschirm – auf den zweiten Blick – sehen. „Das Angebot, dass Bürger ihre Tageszeitung von nun an mitgestalten können, ist von Beginn an toll aufgenommen worden. Wir erhalten mit den Beiträgen wichtige Hinweise, was die Menschen in der Region beschäftigt und in den verschiedenen Orten aktuell geschieht. So manches Thema haben wir für eine weiterführende Recherche aufgegriffen“, wird Albrecht Günther, Redaktionsleiter Naumburger Tageblatt/Mitteldeutsche Zeitung, auf der Internetseite von gogol medien zitiert.
Das vermeintlich Wichtige
„Leserbeiträge aus der Online-Community werden über Partnerverlage in regionalen Zeitungen und sublokalen Magazinen mit einer gemeinsamen Auflage von über 1,4 Millionen Exemplaren abgedruckt“, wirbt gogol. Im Klartext heißt das: Lokale/regionale Medien beobachten das Geschehen auf myheimat und suchen sich das vermeintlich Wichtige aus dem Berg von Privatem und/oder Belanglosem heraus. Das Ganze ist garniert mit viel, viel Werbung – man muss gut aufpassen beim Klicken, um nicht ständig auf der Seite einer großen deutschen Bank oder eines Supermarktes zu landen. „Wir haben bereits nach sieben Monaten den 5.000sten Bürgerreporter bei uns in der Region begrüßt. Inzwischen bekommen wir täglich über 80 Beiträge und Bilder (…). myheimat ist inzwischen fester Bestandteil unserer Produkte und täglichen Arbeit“, lässt sich auch Peter Taubald, Chefredakteur der sechs Heimatzeitungen der Hannoverschen Allgemeinen (Madsack), auf der gogol-Seite zitieren. Eine davon ist der Deister-Anzeiger mit Nachrichten für Springe, Bad Münder und weitere Ortschaften im Landkreis Hameln-Pyrmont. Auf der Seite der Printausgabe gibt es keinerlei Hinweise auf die Zusammenarbeit mit den 490 Bürgerreportern, die es laut Statistik auf der myheimat-Seite für Springe in der kleinen Stadt gibt. Und dort ist dann – auf den dritten Blick – ganz rechts auf dem Bildschirm zu erkennen, dass schon Beiträge vom Bürgerportal im gedruckten Deister- oder Calenberger Anzeiger erschienen sind.
Lokalzeitungsportale nutzen Feedbackschleife
Dann doch lieber transparent und offensiv – so dachten sich offenbar die Macher der Gießener Zeitung, die 2008 als „Deutschlands erste Mitmach-Zeitung“ im Netz startete. Es ist eine Kombination aus Leserreporter- und lokalem Nachrichtenportal, die zweimal wöchentlich mit vier kostenlosen Printtiteln als Mitmach-Zeitung in der Region Gießen mit einer Auflage von 125.000 Exemplaren erscheint. Nachrichten gibt’s täglich aktuell auf giessener-zeitung.de – ein Angebot, das offenbar rege genutzt wird: So sind am 18. Juli morgens um 9 Uhr mehr als 1.400 Gäste online, wie man auf dem Bildschirm rechts oben ständig aktuell beobachten kann. Ähnlich ist es beim Sonntag Morgenmagazin in Südhessen, das mit dem Portal mein-suedhessen.de für Bürgernähe sorgt.
Auch in Thüringen setzt man auf den Dialog und die offene Zusammenarbeit mit den Nutzern: „Bürgerreporter werden. Jetzt kostenlos mitmachen.“ So wirbt ein auffälliger Button auf meinanzeiger.de, der mit der Anzeigenzeitung Allgemeiner Anzeiger(AA) in Thüringen verkoppelten Internetplattform. Wer bisher nur Leser war, kann als freier Mitarbeiter aus freien Stücken aktiv werden. Das ist ganz einfach: Registrieren und anmelden, Beitrag schreiben und/oder Fotos knipsen, hochladen. Und schon kann die ganze Welt mitlesen, was er oder sie erlebt hat, was ihm besonders wichtig war oder sie mitteilenswert findet. Wie interessant das der Rest der Nutzer findet, lässt sich nachvollziehen: So lasen bis zum 17. Juli immerhin 272 Leute die am 4. Juli eingestellte Geschichte des Bürgerreporters René A. über das Fußballcamp im Erfurter Norden, während der von der Lokalredaktion Mühlhausen/Bad Langensalza am 1. Juli verfasste Beitrag „Mühlhausen hat eine wandelbare Bibliothek“ gerade einmal 28 Nutzer interessierte. Auch die monatlichen Zugriffsraten auf meinanzeiger.de werden auf der Seite veröffentlicht. Die Macher des AA haben sich für größtmögliche Transparenz entschieden und nehmen damit vielen Kritikern den Wind aus den Segeln.
Seit Anfang 2011 wird beim AA mit der Publishing Cloud gearbeitet. In den Redaktionen schaffen 18 fest angestellte Redakteure und etwa 20 Freie. Dazu kommen 2.857 registrierte Bürgerreporter (Stand 16. Juli 2013). Nur ein Teil von ihnen ist wirklich aktiv. Wer die „Hitliste“ mit den meisten Beiträgen anführt, ist auch auf der Seite zu sehen. „Die Anzahl der Redakteure und auch der Freien ist seitdem stabil geblieben. Sie arbeiten vor allem für die Printausgaben – ihr Engagement auf dem online-Portal obliegt dem eigenen Ermessen. Einige Redakteure sind dort sehr aktiv, moderieren Diskussionen oder steuern selbst Beiträge bei“, so Chefredakteur Emanuel Beer.
Auf Augenhöhe mit der Leser(reporter)schaft
Die Beiträge der Bürgerreporter geben den Redakteuren oftmals hilfreiche Hinweise und interessante Artikel werden in die Printausgabe übernommen. „Im Netz befinden wir uns auf Augenhöhe mit den Nutzern, da stellen wir absolut gleichberechtigt mit ihnen Beiträge ein und sind in derselben Feedbackschleife“, erklärt der Chefredakteur. Dass die Rezipienten nicht so blöd sind, wie es manche Verleger offenbar gern hätten, beweist eine Themenumfrage, die der AA auf meinanzeiger.de startete: „Worüber möchten Sie lesen, was interessiert Sie besonders, wo wünschen Sie sich Hintergrundinformationen?“ lautete die Fragestellung. Auf der Liste der am meisten nachgefragten Themen landeten Fracking, Burnout, Dyskalkulie oder Ehrenamt. „Diese Themen haben wir dann in der Printausgabe ausführlich behandelt und bekamen darauf im Netz wiederum ein unmittelbares Feedback unserer Leser. Das hält uns auf Trab, lässt uns wirklich nahe dran an ihnen und ihren Themen bleiben“, sagt Beer.
Nach eineinhalb Jahren mit der Bürgercommunity im Netz zieht der Chefredakteur eine positive Zwischenbilanz: „Der neue bimediale Auftritt hat sich als erfolgreiches Modell erwiesen: Die Idee, die Leser mehr einzubinden, ist nichts Schlechtes und erst recht kein Risiko.“ Die kostenlose Printausgabe mit ihrer hohen Reichweite, lokale Kompetenz und Leserforum im Netz würden gut zusammen passen. Es sei eben nicht so wie bei vielen Lokalzeitungen, die im Netz im Grunde eine abgespeckte Version ihrer Printausgabe anbieten: „Unser Konzept macht zwischen Print und Online klare Unterschiede: Online darf jeder, die Printausgabe gestalten professionelle Redakteure“, betont Beer. „Wenn Journalisten Angst vor Bürgerreportern haben, zeigt das aus meiner Sicht nur mangelndes Selbstvertrauen.“