Neue Schubkraft

Standing Ovations für die Betriebsräte der CineStars Mainz und Bamberg

Sie waren die heimlichen Stars des 10. Deutschen Betriebsräte-Tages: Die Betriebsratsmitglieder Sven Langensiepen vom CineStar Mainz und Carina Engel vom CineStar Bamberg berichteten, wie die Beschäftigten in den beiden Multiplex-Kinos es geschafft haben, Betriebsräte zu gründen, die sich für ihre Interessen einsetzen.

Die Ausgezeichneten von CineStar (v.l.n.r.): Sven Langensiepen (BR Mainz), Carina Engel (stellv. BRV Bamberg), Christian Hein (BRV Mainz) und Christian Euler (BRV Bamberg). Foto: Deutscher Betriebsrätetag
Die Ausgezeichneten von CineStar (v.l.n.r.):
Sven Langensiepen (BR Mainz),
Carina Engel (stellv. BRV Bamberg),
Christian Hein (BRV Mainz) und
Christian Euler (BRV Bamberg).
Foto: Deutscher Betriebsrätetag

Es ist erst rund zwei Jahre her, da erhielten die Mitarbeiter (140 in Mainz, 89 in Bamberg, die allermeisten davon Studenten) 6,50 Euro Stundenlohn bei Arbeitszeiten bis zu zwölf Stunden. Fehlbestände in den Kassen wurden einfach vom Lohn abgezogen. Urlaubsgeld? Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Nachtzuschläge? Fehlanzeige! Wenn zu wenige Kinobesucher kamen, schickten die Theaterleiter Personal einfach wieder nach Hause. Geld gab es nicht. Als noch Einsparmaßnahmen zu Lasten des Personals und der Wegfall der Freikarten dazu kamen, war Schluss mit lustig. Die Mainzer und Bamberger informierten sich bei ver.di und Arbeitsrechtlern über ihre Möglichkeiten. „Die Argumente der Gewerkschaft für die Gründung eines Betriebsrates haben uns in Mainz überzeugt“, sagt Langensiepen (28), der noch bis Mitte 2014 Geografie und evangelische Theologie auf Lehramt studieren wird. „Fast alle bei uns studieren und verdienen im CineStar Geld zum Lebensunterhalt. Die maximale Betriebszugehörigkeit beträgt drei Jahre, die ständigen Nachrücker machen eine kontinuierliche Betriebsratsarbeit nicht leicht. Deshalb wäre es gut, wenn sich auch Festangestellte wählen ließen.“
Wie in Mainz wollte auch der Arbeitgeber in Bamberg einen Betriebsrat verhindern. Mit weichen Knien hat der spätere Betriebsratsvorsitzende Christian Euler (festangestellter Filmvorführer) seinem Chef das Wahlausschreiben überreicht. 80 Prozent der Beschäftigten beteiligten sich schließlich an der Wahl. Die ersten Erfolge kamen rasch, etwa die Gleichstellung der teil- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, die Regelung der Mankogeld-Haftung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für geringfügig Beschäftigte, Dienstplanregelungen.
„Wir haben dann in Einigungsstellen erste Betriebsvereinbarungen abgeschlossen zu Dienstplänen, Dienstkleidung, zur Regelung der digitalen Projektion, zu Urlaubsgrundsätzen und zu Freikarten“, berichtet Carina Engel (32) aus Bamberg. Sie hat auf Gymnasiallehramt studiert und eine Lehre zur Rechtsanwaltsfachangestellten absolviert. Seit 2001 arbeitet sie nebenbei als Teamleiterin im CineStar Bamberg. Dort ist sie seit 2011 stellvertretende BR-Vorsitzende und Mitglied im Gesamtbetriebsrat (GBR) der Greater Union Filmpalast GmbH.
2012 streikten die Belegschaften in Bamberg und Mainz monatelang erfolgreich für einen Tarifvertrag. Der Arbeitgeber hatte Verhandlungen kategorisch abgelehnt. „Die Streiks haben viel gebracht“, sagt Euler, „auch wenn der Arbeitgeber Streikbrecher mit 70 Prozent Streikprämie zusätzlich bar auf die Hand entlohnt hat und Leiharbeiter ausgenutzt hat.“ Das habe ihn immerhin eine sechsstellige Summe gekostet. „Wir sind dabei, der Geschäftsführung die Mitbestimmung nahezubringen.“ Langensiepen und Euler betonen dennoch die familiäre Atmosphäre, die gute Zusammenarbeit mit den Theaterleitungen, das angenehme Klima. „Die merken jetzt auch, was der BR für die Belegschaft tun kann und wissen, dass wir ihnen selbst auch helfen können“, sagt Euler. Angesichts der Umstellung der Projektionstechnik von analog (Film) auf digital (Dateien) verhandeln die Betriebsräte Interessenausgleich und Sozialpläne, da der Beruf des Filmvorführers ausstirbt.
Weitere Ziele der Bamberger und Mainzer: Verhandlungen über ein digitales Zeiterfassungssystem, Arbeits- und Gesundheitsschutz. „Natürlich müssen wir auch die Einhaltung des Tarifvertrages überwachen“, sagt Engel, und ihrem Kollegen Euler schwebt bereits eine Betriebsvereinbarung zum Thema Mobbing vor. Angesichts der Fluktuation müssen beide Gremien sich auch noch um die Kontinuität der Arbeit sorgen, um die Zukunft dieser erfolgreichen Betriebsräte zu sichern. Langensiepen regt ver.di deshalb dazu an, Studenten verstärkt mit Gewerkschaftsarbeit bekannt zu machen. Für ihn waren der Betriebsräte-Tag im alten Bundestag in Bonn und die Vorträge absolut beeindruckend, aber auch „sehr surreal und bewegend, weil wir von den Anfängen, vom Aufbau einer Betriebsratsarbeit berichtet haben, was die meisten Teilnehmer wohl eher nicht kennen.“
Doch genau das hat die anwesenden 300 Betriebsräte berührt. Und als Langensiepen und Engel ihren Vortrag beendet haben, erheben sich alle von ihren Sitzen, applaudieren lange, herzlich und heftig. Klar, dass die Betriebsräte den erstmals ausgelobten Publikumspreis bekommen werden für den „Aufbau von Betriebsratsstrukturen in atypischen Beschäftigungssituationen“. Klar auch, dass viele Teilnehmer diese Anregungen für ihre Unternehmen mitnehmen werden, etwa dort, wo es noch keine Betriebsräte gibt. BR-Chef Euler aus Bamberg ist beeindruckt: „Wir sind von 10.000 Jahren Betriebsratserfahrung hier im Saal ausgezeichnet worden.“ Beeindruckt ist er aber auch von den Projekten und Leistungen der anderen 13 nominierten Betriebsräte für den Betriebsrätepreis (www.betriebsraetetag.de). „Der Betriebsräte-Tag hat uns motiviert und Schubkraft gebracht.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »