Das WDR-Dschungelbuch

Spät kommt sie, aber das lange Warten hat sich gelohnt. Die zweite, völlig neu bearbeitete Auflage des WDR-Dschungelbuchs erscheint zu einem Zeitpunkt, da das Klima auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sich rapide verschlechtert hat. Wachsende Arbeitsverdichtung, Sparpolitik, Format- und Quotendenken bestimmen den Arbeitsalltag. Viele leiden darunter, vor allem die Freien.

Ulli Schauen. Das WDR-Dschungelbuch. 2. Auflage 2012. Hrsg.: ver.di Sender-Verband beim WDR, 288 Seiten, 29,90 Euro. 14,90 Euro für ver.di-Mitglieder im WDR. Versandkostenfrei über www.wdr-dschungelbuch.de

„Das WDR-Dschungelbuch ist bewusst und absichtlich aus der Position eines Freien für freie Mitarbeiter geschrieben worden“, sagt Ulli Schauen, selbst langjähriger freier Mitarbeiter des WDR und anderer ARD-Anstalten sowie einige Jahre Vorsitzender der ver.di-Bundeskommission Selbstständige. Natürlich findet sich in nahezu enzyklopädischer Vollständigkeit alles Wissenswerte über Tarifverträge, Honorare, Sozialleistungen, über Arbeitsabläufe, Infoquellen, Archive und die Konsequenzen der Digitalisierung auch auf die Produktion der Freien. Aber der Autor begnügt sich nicht mit dem Durchforsten des verwirrenden Organisationswildwuchses in Deutschlands größter und mächtigster Rundfunkanstalt. Anhand praktischer Beispiele illustriert er die vielfachen Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, analysiert die Tücken des Sozialrechts, schildert die berüchtigte „Prognose“ und ihre Folgen für die Beschäftigung Freier. Konkrete Fallstudien geben Antworten auf Fragen wie „Was tun, wenn der Urlaubsantrag verweigert wird?“ oder „Welche Konsequenzen hat der WDR-Fragebogen zur Sozialversicherungspflicht?“ Ganz neu gegenüber der Erstauflage sind Kapitel über die zunehmende Leiharbeit im Sender, über den Einstieg in die Arbeit, auch über den WDR-Personalrat, der seit dem vergangenen Jahr auch für freie MitarbeiterInnen zuständig ist.

Die neue Auflage will „noch mehr empowern“ als die erste, verspricht der Autor. Folglich gehe es auch um „Hintergründe, Zusammenhänge, Geschichtliches, auch die Interessen- und Machtkonstellationen, die die Zustände herbeigeführt haben“. Schauen fühlt sich solidarisch mit den MacherInnen des „WDR Print“-Plagiats, in dem vor anderthalb Jahren ein Undercover-Redaktionsteam in satirischer Weise auf „Programmverflachung, Quotenorientierung und das Wüten der Sparkommissarinnen im Sender“ aufmerksam machte (M 11/2010). Er liefert selbst jede Menge Material, die eine recht große Realitätsnähe der vermeintlichen Satire belegen. Die Persiflage sei „Beleg dafür, dass der WDR eine Menge kluger Köpfe hat“, kommentierte seinerzeit die Intendantin im Intranet. Monika Piel kann aber auch anders. Als eine Reihe freier MitarbeiterInnen sich in einem offenen Brief an die Intendanz über die restriktive Honorarpolitik mancher Redaktionen beschwerte, berichtete „medien-monitor.com“, habe die WDR-Chefin den Brief inklusive der Namen sämtlicher Unterzeichner an die diversen Redaktionsleitungen, für die die Freien arbeiteten, weitergeleitet.

Weitere aktuelle Beiträge

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »