Das Bundesarbeitsgericht Erfurt urteilt am Beispiel des „Mannheimer Morgen“ über die Bedeutung von Redaktionsstatuten
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – diese immer gültige Regel aus dem Mund des Mannheimer Fußballtrainers Sepp Herberger bewahrheitet sich in diesen Tagen erneut mit besonderer Wirkung für den Ort seines einstigen Wirkens. Einerseits fällte der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt am Dienstag, dem 19. Juni, um 15.13 Uhr im Saal 3 ein historisches höchstrichterliches Urteil – eines, das in der Geschichte der deutschen Rechtsprechung einmalig und presserechtlich wie verfassungspolitisch von erheblicher Bedeutung ist (Az.: 1 AZR 463/00).
„Die Pressefreiheit steht der Schaffung solcher Redaktionsstatute nicht entgegen“, sagte Richter Friedrich Hauck und meinte damit das seit dem 4. Januar 1996 umstrittene Redaktionsstatut des „Mannheimer Morgen“. Die damals erfolgte außerordentliche Kündigung des Statuts durch Verlag und Geschäftsführung des „Mannheimer Morgen“ sei unwirksam, weil in der Kündigung „kein wichtiger Grund“ genannt worden sei, erläuterte BAG-Präsident Hellmut Wißmann, Vorsitzender des Ersten Senats. „Bis heute ist uns allerdings verborgen geblieben, warum der Vertrag, der freiwillig mehr Mitbestimmungsrechte einräumt, nicht mehr zeitgemäß sein soll“, hatte sich auch der Anwalt des Redaktionsrats, Albrecht Götz von Olenhusen, gewundert.
Andererseits steht nun definitiv zur Diskussion, ob sich der in vollem Maße als rechtmäßig installierte MM-Redaktionsrat und die Geschäftsführung des „Mannheimer Morgen“ über den Fortbestand des Statuts einigen können oder ob es von Seiten des Verlags gegebenenfalls mit Hilfe von Änderungskündigungen außer Kraft gesetzt wird.
„Die Pressefreiheit steht der Schaffung solcher Redaktionsstatute nicht entgegen.“
„Das Statut ist durch die Kündigung nicht beendet worden.“
Klar ist jedenfalls, dass die Position des Verlags, derzufolge erstens das Statut nicht mehr zeitgemäß sei, zweitens das Vertretungsmonopol des Betriebsrats beschneide und drittens die Pressefreiheit gefährde, juristisch in keiner Weise aufrechterhalten werden kann. Das Statut „ist durch die Kündigung nicht beendet worden“, hebt das BAG in seiner Pressemitteilung Nr 36/01 hervor. Zum einen ist das Statut Teil der Arbeitsverträge, die sich nicht in Teilen kündigen lassen, verdeutlichte Wißmann; zum anderen werde der Betriebsrat nicht in seinen Rechten beschnitten, weil der Redaktionsrat gerade in denjenigen Bereichen mitspracheberechtigt sei, in denen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus Gründen des Tendenzschutzes ohnehin ausgeschlossen seien – etwa bei der Besetzung von Chefredakteurs- und Ressortleiterstellen; und schließlich könne das Statut schon deshalb nicht die verlegerische Pressefreiheit einschränken, weil das Statut im Jahre seiner Formulierung 1969 und seiner Novellierung 1975 gegen staatliche Eingriffe gedacht war, mithin gerade zum Schutz der Pressefreiheit. Auch die Sorge des Verlags wies das Gericht zurück, dass der Redaktionsrat zum Beispiel die Besetzung der Chefredaktion willkürlich blockieren könne.
„Es kann sich nicht darin erschöpfen, dass das Redaktionsstatut
einfach wieder in Kraft gesetzt wird.“
Erstens ist für eine Ablehnung eine Vierfünftel-Mehrheit im fünfköpfigen Redaktionsrat erforderlich, zweitens könnte eine solche Ablehnung nicht nach Belieben erfolgen, sondern müsste sachlich begründet sein und drittens könnte dagegen juristisch vorgegangen werden.
In einem Punkt allerdings wies das Gericht den Revisionsantrag des MM-Redaktionsrats zurück. Was die Bestellung von Horst Roth zum Chefredakteur des „Mannheimer Morgen“ angeht – sie erfolgte nach der nun als nicht rechtmäßig anerkannten Kündigung des Statuts und ohne Rücksprache mit dem Redaktionsrat -, könne im Nachhinein kein Mitbestimmungsrecht festgestellt werden. Das sei für vergangene, abgeschlossene Tatbestände nicht möglich. Weiter betonte der Senat, dass das Statut „keinen Ewigkeitswert“ haben müsse. Als Bestandteil der Arbeitsverträge könne es durch Änderungskündigungen aufgehoben werden – der Weg betriebsbedingter Kündigungen sei dafür gangbar.
„Bis heute ist uns allerdings verborgen geblieben, warum der Vertrag, der freiwillig mehr Mitbestimmungsrechte einräumt, nicht mehr zeitgemäß sein soll.“
Jetzt sind wieder Geschäftsführung und Redaktionsrat des „Mannheimer Morgen“ am Zug. Sie hatten sich in den vergangenen Monaten vor dem erwarteten Urteilsspruch aus Erfurt auf eine vorläufige Befriedung verständigt. Weil weiterführende Gespräche erst dann konstruktiv verlaufen könnten, wenn das Bundesarbeitsgericht einen klaren Rechtsrahmen für den grundsätzlichen Umgang mit Redaktionsstatuten gezogen haben würde, wollten beide Parteien bis zum Urteilsspruch mit Vorstößen warten. Der Verlag nahm vorerst von seinem Plan Abstand, Änderungskündigungen vorzunehmen, und der Redaktionsrat verzichtete auf rechtliche Schritte gegen Personalentscheidungen, die ohne Befragung des Redaktionsrat getroffen wurden oder getroffen werden sollten. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Neuwahl des Redaktionsrats bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausgesetzt.
Gemäß dem Sprecher des Redaktionsrats, Gert Goebel, ist nun, nach dem Urteilsspruch, eine schnelle Neuwahl des Redaktionsrats „unbedingt notwendig“. Dazu wird es „in allernächster Zeit eine Redaktionsvollversammlung“ geben. Das Statut sei „ab sofort wieder zu praktizieren“. Im Übrigen wertete Goebel das Erfurter Urteil als einen „Meilenstein in der deutschen Medienpolitik“ und weiß die Journalistenverbände hinter sich. Er könne sich ferner nicht vorstellen, dass sich der Verlag nun durch Änderungskündigungen der Arbeitsverträge vom Statut lösen werde: „Die Möglichkeit der Änderungskündigungen hätte eine verheerende psychologische Wirkung“.
Genau diese Möglichkeit wirft jedoch Dr. Björn Jansen als einer der beiden MM-Geschäftsführer in die Runde. In einer Stellungnahme an die Redakteurinnen und Redakteure des „Mannheimer Morgen“ unterstrich Jansen, dass jetzt Rechtssicherheit herrsche, was das Ziel beider Parteien war. Es sei eindeutig geklärt, dass sich der Verlag von dem Redaktionsstatut nur durch Änderungskündigungen der Arbeitsverträge trennen könne. Ob der Verlag diesen Weg gehen werde, ließ Jansen aber noch offen und kündigte an, sich alsbald mit Vertretern der Redaktion an einen Tisch setzen zu wollen, um über die weitere Zusammenarbeit zu sprechen.
„Leser müssen sich darauf verlassen können, dass Journalisten nicht unter ständig wechselnden Eigentümern oder Managern ständig ihre Meinungen und Haltungen wechseln, je nach Geschäftslage. Qualitätszeitungen – und das ist das Geheimnis ihres wirtschaftlichen Erfolgs – können nur von selbstbewussten Redaktionen gemacht werden, die sich ernst genommen fühlen können in ihren Verlagen.
Dies genau ist der Sinn von Redaktionsstatuten. Und deshalb sind sie so zeitgemäß wie eh und je.“
Herbert Riehl-Heyse in der „Süddeutschen Zeitung“, 22. 6. 01
Vom Ergebnis dieser Gespräche werde es abhängen, welchen „anderen rechtlichen Weg wir ggf. einschlagen werden“, sagte Jansen und betonte zugleich, dass Geschäftsführung, Chefredaktion und Redaktion in den vergangenen Jahren „auch ohne Statut erfolgreich zusammengearbeitet und eine gute Zeitung gemacht“ hätten. Er sei überzeugt, dass sich daran auch nach dem Urteil nichts ändern werde. Verlags-Anwalt Georg Jaeger bekräftigte, dass das Verhältnis von Redaktionsrat und Geschäftsführung neu definiert werden müsse: „Es kann sich nicht darin erschöpfen, dass das Redaktionsstatut einfach wieder in Kraft gesetzt wird“.
Geschäftsführer Jansen zeigte sich zudem zufrieden, dass die Bestellung von Horst Roth zum Chefredakteur „jetzt endgültig bestätigt wurde“. Laut Goebel lasse sich dagegen noch nicht absehen, welche Auswirkungen der Richterspruch auf Personalentscheidungen habe, die in der Vergangenheit ohne Beteiligung des Redaktionsrats getroffen wurden.