Eingänge wie in Kafkas Schloss

Die Wintersonne bricht durch das Grau in Grau am Himmel über dem Bremer Industriehafen. Ein zarter Strahl erwischt doch noch das Zimmer-Atelier von Jenny Kropp. Hier, in dem nüchternen Industriebau, wohnt die junge Videofilmerin mit zwei anderen Künstlern. Der Blick durchs Fenster geht auf ein kleines Hafenbecken, in dem in der vergangenen Nacht ein Frachtschiff angelegt hat. Wie das Licht im trüben Wasser glitzert, erscheint dieser Ort ein wenig wie nicht von dieser Welt und trotzdem mittendrin.

Jenny Kropp, eine kleine Frau mit einem ausdruckstarken Mund, erblickte 1978 in Frankfurt am Main das Licht der Welt. Schon früh entwickelte sie eine Leidenschaft für Film. Heute ist sie Videokünstlerin. Noch studiert sie im 5. Semester an der Bremer Hochschule für Künste – im Atelier für Zeitmedien, unter Professor Jean-Francois Guiton.

Zu viele Regeln und Muster

Durch ihre Arbeit ist Jenny in der Bremer Filmszene bereits zu Anfang ihres Studiums aufgefallen. Vom Bremer Filmbüro wurde sie im Jahr 2001 aus rund 150 Bewerbungen für den jährlich ausgeschriebenen Videofilm-Förderpreis ausgesucht.

Nach dem Abitur zog Jenny Kropp nach Berlin, um Filmwissenschaften zu studieren. Hier kam sie zum ersten Mal spezifisch mit Videokunst in Berührung. „An der Videokunst hat mich angesprochen, dass sie so viele Eingänge hat, wie in Kafkas Schloss.“, erklärt die junge Frau begeistert. „Man weiß nicht was passiert bei diesen abstrakten Bildern, diesen seltsamen Schnitten und Übergängen, die logisch keinen Sinn machen, die aber über das Empfinden bestimmte Sachen auslösen.“ Anders als beim Film, bei dem es darauf ankommt, eine Geschichte zu erzählen, schätzt Jenny an der Videokunst die ganz anderen Möglichkeiten mit Begriffen wie Rhythmus, Geschwindigkeit oder Komposition zu arbeiten. Am meisten aber fasziniert sie das Leuchten und die Bewegung.

So in den Bann des Films gezogen, entschloss sich Jenny für einen Studienwechsel. Doch anstatt für die Ausbildung an einer Filmhochschule, entschied sie sich für das freie Kunststudium. Als sie die Zusage aus Bremen bekam, zog sie im Jahr 2000 in die Hansestadt. Hier kann sie machen, was sie will, und zwar interdisziplinär. Nicht allein im Bereich Video zu arbeiten, ist ihr sehr wichtig. Beispielsweise beteiligte sie sich an einem Projekt der Bildhauerklasse und beschäftigte sich mit Videoinstallationen – dreidimensionalen Arbeiten, in denen das Video in eine Installation eingearbeitet ist.

Jenny Kropp sieht sich bewusst als Künstlerin, nicht nur als Filmemacherin. Die heutige Art zu filmen hat ihr viel zu viele Regeln und Muster. Festlegen will sie sich in den nächsten Jahren nicht. Jenny bevorzugt Arbeiten, die langsam funktionieren, die ohne viele Schnitte auskommen, die Zeit erfordern und die ihrer Meinung nach im ersten Moment vielleicht auch Langeweile hervorrufen. Die Langsamkeit an sich scheint eines ihrer großen Themen zu sein. „Die wirkt ja auch gegen die Beschleunigung der Zeit.“, erläutert sie und nimmt einen Schluck aus der riesigen Teeschale. Als Jenny Kropp im vergangenen November ihren Förderpreis realisierte, sorgte dies für großes Interesse in der lokalen Presse. Für ihre Arbeit hatte sie die Videoüberwachung einer großen Supermarktkette in Anspruch genommen. Mit Hilfe der im Laden aufgestellten Kontrollbildschirme und Überwachungskameras, ließ sie Bilder aus Fiktion und Wirklichkeit unseres Konsumlebens miteinander verschmelzen. Da fliegen zwischen einkaufenden Normalverbrauchern in der Gemüseabteilung auch schon mal Sahnetörtchen wie Ufos durch die Luft.

Andere Visionen

Zur Zeit arbeitet Jenny an Videoinstallationen und dem Dokumentarfilmprojekt „Oma“, für das sie jedes Jahr einen kleinen Film über ihre Oma dreht. Außerdem denkt sie gerade über einen Kurzfilm nach und hat noch ganz andere Visionen fernab von der ungewissen Situation – zwischen Künstlerstipendien und Filmförderung – nach dem Studium: „Ich würde gerne eine Weile als Seemann in Island auf einem Fischerboot leben. Das ist zwar ’ne Spinnerei“, amüsiert sie sich selbst, „aber das kann man sich doch mal erlauben.“ Immerhin passt der Gedanke zu dem Ausblick auf den Bremer Hafen.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »